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Ein Volk mit drei Kalendern
Exakte astronomische Beobachtungen und raffinierte Formeln erlaubten der Hochkultur der Maya eine genaue Zeitrechnung
Für alle, deren Terminkalender mal wieder viel zu voll ist, ein kleiner Trost: wenigstens ist es nur ein Kalender! Die Maya etwa hatten gleich drei Kalendersysteme, jeweils für alltäglich-praktische, rituelle und geschichtliche Aspekte des Lebens.
Womit wir auch gleich beim ersten Punkt wären: Auch wenn uns im Wirtschaftsleben nur der Europäern vertraute gregorianische Kalender begegnet, so ist der nicht die einzige Zeitrechnung. In Äthiopien etwa hätte man am vergangenen Sonntag den Neujahrstag »Enkukatash« feiern können. Dort wird neben dem gregorianischen noch ein sehr viel älterer benutzt. Und die beiden Kalender unterscheiden sich dabei nicht nur beim Jahresbeginn, sondern auch bei der Zählung der Jahre (in dem nordostafrikanischen Land begrüßt man das Jahr 2015) und der Monate. So folgt auf zwölf genau 30 Tage dauernde Monate der Monat Nummer dreizehn, der fünf beziehungsweise sechs Tage zählt und so das Kalenderjahr exakt auf die Länge eines Sonnenjahres abstimmt. Damit ist Äthiopien nicht allein, auch im koptischen und alt-ägyptischen Kalender zählte man dreizehn Monate – übrigens eine Zahl, der man in vielen Ecken der Welt neutral bis freundlich gegenübersteht oder – stand.
Und damit haben wir die »Schuldigen« für einen Kalender (benannt nach dem lateinischen Schuldbuch, dem »Calendarium«) auch schon fast beisammen, nutzt man zur Festlegung von Monaten und Jahren doch zumeist astronomische Gegebenheiten wie den Umlauf des Mondes um die Erde (runder Mond, krumme Zahl: ein Mondphasenzyklus dauert im Mittel 29,53 Tage) oder die Zeitdauer des Umlaufs der Erde um die Sonne (365 Tage, 5 Stunden und fast 49 Sekunden). Eine andere Möglichkeit besteht darin, statt auf astronomische Ereignisse auf komplexe Rechenregeln zu bauen. Und da sind wir wieder bei der mittelamerikanischen Hochkultur der Maya und ihren insgesamt drei Kalendern.
Der Haab-Kalender wurde von den Maya ausschließlich für praktische Zwecke wie etwa Saat- oder Erntezeiten genutzt: die 365 Tage eines Sonnenjahres wurden dabei in 18 gleich lange »Monate« zu je 20 Tagen eingeteilt, Monat Nummer 19 bestand aus den restlichen fünf Tagen, die von den Maya als Unglückstage gesehen wurden, an denen die Grenzen zwischen unserer angenehmen Welt und der schaurigen Unterwelt verschwammen und man am besten zu Hause blieb und bestimmte Tätigkeiten (wie etwa Haarewaschen) unterließ.
Der zweite Kalender, der Tzolkin-Kalender, galt rituellen Zwecken. Er ist in 260 »Einheiten« unterteilt, die durch zwanzig Namen und dreizehn Nummern eindeutige »Tage« bestimmen. Welcher Algorithmus der Einteilung des Kalenders zugrunde liegt (ein Lunarkalender kann es nicht sein), ist bis heute Gegenstand der Forschung – so argumentieren etwa einige Wissenschaftler, dass die Bewegungen der Venus eine Rolle hätten spielen können.
Mit einer Datumsangabe aus Tag, Monat und Jahr können geschichtliche Begebenheiten oder Termine eindeutig aufgezeichnet werden – jedwede Ausrede, beispielsweise ein Knöllchen nicht rechtzeitig bezahlen zu können, ist daher selten von Erfolg gekrönt. Datumsangaben nach dem zivilen oder dem rituellen Maya-Kalender wiederholen sich nun alle 365 beziehungsweise 260 Tage, und auch die Kombinationen aus den Angaben beider Kalender kehren nach einer sogenannten Kalenderrunde (das kleinste gemeinsame Vielfache der beiden Kalenderlängen, hier also 18 980 Tage) wieder. Für astronomische Beobachtungen oder Geschichtsaufzeichnungen braucht es daher einen weiteren Kalender, der auch sehr lange Zeiträume eindeutig beschreiben kann. Neben den Zeitspannen selbst ist dazu auch ein »Startschuss« nötig, ab dem die Datumszählung losgeht: für uns ist es das Jahr »eins«, und auch die Maya hatten hier einen definierten Start im Sinn: den 11. August 3114 vor unserer Zeitrechnung. Und von dieser Stunde eins an beginnt dann die eindeutige Datumsbestimmung des Kalenders der »Langen Zählung«: ein Tag (»Kin«), 20 Tage (»Uinal«) mit weiteren Schritten bis zum »Baktun«, das eine Periode von 144 000 Tagen bezeichnete. Noch längere Zeiträume kommen nur in wenigen Inschriften und Dokumenten vor, sind jedoch auch bekannt. So wurde es möglich, jeden Zeitpunkt in der Geschichte eindeutig festzuhalten.
Einer dieser Zeitpunkte und wahrscheinlich einer der dunkelsten in der Geschichte der Maya und für all jene, die nicht ein völlig eurozentrisches Weltbild verfolgten, war der 12. Juli 1562: Diego de Landa, der als Bischof von Yucatán die Missionierung der Bewohner vorantreiben wollte, sah sich vor das »Problem« gestellt, dass die Maya mit ihrer eigenen Religion recht zufrieden waren und so gar kein Interesse an Bischof und Bibel hatten. Und so ließ er in einem Autodafé sämtliche Werke der Maya, derer er habhaft werden konnte, verbrennen. Nur vier Kodizes überstanden die Schriftenverbrennung – zumindest teilweise. Die Werke, die auf Amatl, einer Art Rindenpapier, geschrieben wurden, befinden sich heute in Madrid, Mexiko-Stadt, Paris und Dresden, wobei der Dresdner Kodex (datiert auf eine Zeit zwischen 1200 und 1250) als einziger einsehbar (auch online) ist. Die Zahlzeichen, Bilder und Hieroglyphen – seit den 1980er Jahren ist die Maya-Schrift weitgehend entziffert – deuten darauf hin, dass es sich wahrscheinlich um ein Handbuch von Kalenderpriestern handelte. So entdeckte der Bibliothekar Ernst Förstemann im Dresdner Kodex nicht nur die Beschreibung der 260-Tages-Folge, sondern auch eine Venustabelle, welche den 584-tägigen vollen Zyklus der Venus vom Morgen- zum Abendhimmel beschreibt und die Bestimmung der Position des Planeten über Jahrhunderte hinaus erlaubte.
Durch die Vernichtung der schriftlichen Werke war auch der Einblick in die mathematisch-astronomische Gedankenwelt der Maya lange Zeit sehr eingeschränkt. In den letzten Jahren erkannten Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen jedoch den Wissensschatz, den auch die großartige Architektur der Maya birgt und der Zeugnis vom astronomischen Verständnis ihrer Erbauer ablegt. Ein großer Teil der Gebäude war dabei im Laufe der Jahrhunderte dem Verfall preisgegeben – doch neue Methoden der Fernerkundung wie Lidar, eine dem Radar verwandte Methode, die sich besonders gut zur Erstellung von hochaufgelösten Geländeprofilen eignet, hat zahlreiche Siedlungsstrukturen, Ruinen und Relikte offenbart, die sonst unter dem dichten mittelamerikanischen Dschungel versteckt geblieben wären.
Eine der bedeutendsten Ruinenstätten der Halbinsel Yucatán ist Chichén Itzá, die 1988 zum Unesco-Weltkulturerbe erklärt wurde. Unzählige architektonische Merkmale lassen sich dahingehend interpretieren, dass bestimmte Zeiträume oder einzelne Tage zu besonderen Effekten an und in den Gebäuden führten, die von ihren Erbauern einberechnet wurden. So versinkt etwa zweimal im Jahr zur Tagundnachtgleiche eine Seite der imposanten Pyramide des Kukulcán (von den Spaniern »El Castillo« genannt) fast vollständig im Schatten – nur eine Treppe wird von den letzten Sonnenstrahlen des Tages so getroffen, dass sich ein Strahlenmuster zeigt, welches sich zusammen mit einer Schlangenkopfskulptur zu einer mythischen, gefiederten Schlange vereint. Ganz ausschließen lässt sich natürlich nicht, dass es sich lediglich um einen architektonischen Zufall handelt. Doch zusammen mit in Stein gemeißelten Formeln zur akkuraten Bestimmung von Mondphasen (z.B. in Palenque, Mexiko) oder offenkundigen Ausrichtungen von Bauwerken auf bestimmte Mond- oder Sonnenstände hin, ist es durchaus wahrscheinlich, dass Architekten der Maya ganz genau wussten, wie sich Himmel und Erde verbinden ließen.
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