- Politik
- Ilja Seifert
Ein Kämpfer ist nicht mehr
Der bekannte Behindertenpolitiker Ilja Seifert ist gestorben
Das langjährige Mitglied im Parteivorstand der PDS und Linkspartei Ilja Seifert war einer der ersten Menschen mit sichtbarer Behinderung im Bundestag. Am vergangenen Samstag ist Seifert im Alter von 71 Jahren im Krankenhaus verstorben.
Seit einem Unfall mit 16 Jahren 1967 war Seifert querschnittsgelähmt und Rollstuhlfahrer. Die Inklusionsbeauftragte der Linkspartei, Margit Glasow, schrieb in einem Nachruf: »Zeit Deines Lebens hast Du Dich dafür eingesetzt, dass das Lebensrecht von Menschen mit Behinderungen nicht verhandelbar ist.« Durch sein »Engagement gegen die unzähligen Barrieren, vor allem die in den Köpfen der Menschen«, habe Seifert die »Behindertenpolitik in Deutschland maßgeblich mitgeprägt«.
In der DDR war es für Menschen mit Behinderung selbstverständlicher als in der Bundesrepublik, eine Ausbildung zu machen und einer Arbeit nachzugehen. Dies galt allerdings nur für die als arbeitsfähig und nützlich bewerteten, die anderen lebten häufig in Heimen, in denen sie häufig nur verwahrt wurden. Seifert studierte Germanistik an der Humboldt-Universität zu Berlin, und promovierte 1980 zu den kulturpolitischen und ästhetischen Klassenkämpfen in der Weimarer Republik. Später veröffentlichte er mehrere Lyrikbände.
Seit 1975 war Seifert Mitglied der SED. In der letzten Volkskammer war er einer von drei Menschen mit sichtbarer Behinderung und zog 1990 als einer der ersten Menschen mit Behinderung in den Bundestag ein. Seifert wollte aber auch nie nur Behindertenpolitik machen. In der ersten Legislaturperiode im Bundestag war er etwa Wohnungs- und Mietenpolitischer Sprecher der PDS-Fraktion. Dem Bundestag gehörte er insgesamt 16 Jahre an. Er war Teil des Parteivorstandes der Linkspartei bis wenige Wochen vor seinem Tod.
Ilja Seifert gründete den ersten und einzigen Behindertenverband der DDR mit, der später zum allgemeinen Behindertenverband in Deutschland (ABiD) wurde. Er war Gründungspräsident, langjähriger Vorsitzender und Ehrenvorsitzender. Der ABiD war mit daran beteiligt, dass 1994 der Satz »Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden« in Artikel 3 des Grundgesetzes aufgenommen wurde. Ihm war es immer wichtig, dass Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen sich nicht gegeneinander ausspielen ließen. Er setzte sich für ausreichende Assistenz, Barrierefreiheit und in der Corona-Pandemie auch für die sogenannten Risikogruppen ein.
In der westdeutschen Selbstbestimmt-Leben-Bewegung gab es allerdings auch Vorbehalte gegen Seifert, wegen seiner Tätigkeit als Kontaktperson und Inoffizieller Mitarbeiter der Stasi zwischen 1980 und 1983 sowie von 1986 bis 1987. Dem Spiegel zufolge lieferte er Berichte über Personen, die möglicherweise als künftige Inoffizielle Mitarbeiter angeworben werden sollten.
Ehemalige Weggefährt*innen betonten sein unermüdliches politisches Engagement und Hinterfragen. Das Verbindende sei ihm immer wichtiger gewesen als das Trennende. Noch am 5. Mai hatte er am europaweiten Protest- und Aktionstag für die Gleichstellung behinderter Menschen teilgenommen. Im Namen des ABiD sprach er sich für »einen gleichberechtigten Erfahrungsaustausch und freundschaftliche Beziehungen mit den «Partnerorganisationen in den postsowjetischen Staaten». Außerdem wies er darauf hin, dass sich unter den Geflüchteten aus der Ukraine auch viele Menschen mit Behinderung befänden: «Wir hoffen, dass unsere Verbindungen nicht abbrechen, wir multilateral wie auch bilateral im Interesse der Menschen mit Behinderungen in unseren Ländern weiter zusammenarbeiten können.»
Am Sonntag nach seinem Tod hatten Freunde ein von Seifert 1991 selbst verfasstes Gedicht auf Facebook gepostet, wie er es sich gewünscht hatte: «Die Welt ist nicht eingestellt auf mich, auf meine Lebensweise. Aber ich bin da!»
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.