Gefahr in Verzug

Der Bundesfinanzminister klammert sich an die Schwarze Null. Das ist volkswirschaftlich kontraproduktiv, meint Heinz-J. Bontrup

  • Heinz-J. Bontrup
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Staat verschuldet sich wegen der Corona-Pandemie und des Krieges in der Ukraine immer mehr. Allein die wegen der aktuellen Inflation aufgelegten sogenannten Entlassungspakete werden nur in diesem Jahr um die 80 Milliarden Euro kosten, die auf dem Konto Staatsverschuldung landen. Im nächsten Jahr kommen Milliardenbeträge dazu. Schon heute hält der Staat die 2009 ins Grundgesetz geschriebene Schuldenbremse nicht annähernd ein.

Daran wird sich auch in den nächsten Jahren nichts ändern. Neben den äußeren Verschuldungsursachen sind zukünftig enorme systemische staatliche Investitionen zu finanzieren. Die öffentliche Infrastruktur ist in Deutschland in einem erbärmlichen Zustand. Selbst die Unternehmer beklagen mittlerweile den gigantischen Investitionsstau mit seinen negativen Wirkungen in der Wirtschaft. Und auch in so wichtigen gesellschaftlichen Bereichen wie Gesundheit, Bildung und Digitalisierung liegen massive öffentliche Unterinvestitionen vor. Außerdem sind die Rentenfinanzierung und die Pflegeversicherung ein Problem. Ganz zu schweigen von der Armuts- und Arbeitslosigkeitsbekämpfung.

Heinz-J. Bontrup

Heinz-J. Bontrup ist Wirtschaftswissenschaftler. Er hat von 1996 bis 2019 an der Westfälische Hochschule gelehrt.

Trotzdem ist Finanzminister Christian Lindner (FDP) in Sachen staatliche Schuldenbremse unbelehrbar. Jeder Unternehmer würde auf die Barrikaden gehen, wenn man ihm verfassungsrechtlich das Aufnehmen von Krediten für Investitionen, aber auch für den laufenden Geschäftsbetrieb verbieten würde. Und jeder private Haushalt wäre in seinem Ausgabenverhalten behindert, könnte auch er sich nicht verschulden. Ein privater Hausbau oder der Kauf eines Autos oder nur der Kauf langlebiger Wirtschaftsgüter wäre für viele nicht möglich. Die Wirtschaft würde kollabieren, sie benötigt den Kredit. Das gilt genauso für den Staat.

Kreditnehmern (Schuldnern) stehen dabei immer Kreditgeber (Gläubiger) gegenüber. Der monetäre Saldo ist null. Vor allem brauchen Reiche die Schuldner, um ihre »räuberischen Ersparnisse« (John Maynard Keynes) aus dem angeeigneten Mehrwert (Zins, Grundrente und Profit) anlegen und verwerten zu können. Die dabei von den Schuldnern zu leistenden Zinszahlungen machen die Reichen dann noch reicher, ohne dass sie dafür selbst arbeiten müssen. So wundert sich nur der ökonomische Laie darüber, dass die Reichen nach jeder Krise noch reicher und die Armen noch ärmer geworden sind.

Warum sprechen sich dann aber insbesondere Reiche und ihre politischen Fürsprecher in den Parlamenten gegen eine Staatsverschuldung aus? Das ist im Ergebnis paradox. Dahinter verbirgt sich die große Sorge der Wohlhabenden, dass eine Verschuldung des Staates von heute die Steuererhöhungen auf Einkommen und Vermögen von morgen sind. Und das ist für Reiche unerträglich. Dann lieber keine staatliche Verschuldung und dafür eine wirtschaftlich kontraproduktive Austeritätspolitik mit Kürzungen, möglichst viel im sozialen Bereich. Kein Problem haben die Reichen dabei aber offensichtlich mit einer verfassungsrechtlich abgesicherten Kreditaufnahme für Militärausgaben in Höhe von 100 Milliarden Euro. Mit einer derartig bornierten Politik wird ein maximaler gesellschaftlicher Schaden angerichtet. Die Wirtschaft läuft nur suboptimal, der Staat verspielt wichtige Handlungsoptionen und am Ende verlieren selbst die Reichen.

Lindner will aber paradoxerweise nicht nur die Abschaffung der Schuldenbremse verhindern. Er will auch keine Steuererhöhungen für Reiche, um ihnen damit zu schaden. Im Gegenteil, er fordert zur angeblichen Belebung der Wirtschaft sogar Steuersenkungen. Setzt sich der Bundesfinanzminister in der Ampel-Regierung mit seinen absurden wirtschaftspolitischen Vorstellungen durch, so ist für Deutschland schlimmstes zu befürchten. Die schon heute in Arm und Reich zerrissene Gesellschaft wird noch weiter auseinanderdriften. Es wird zu einem noch größeren politischen Rechtsrutsch und einer Demokratiegefährdung im Land kommen. Es ist Gefahr in Verzug.

App »nd.Digital«

In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.