- Berlin
- Friedensbewegung
Gegen den Krieg wie Karl Liebkecht
Gründungsaufruf für neues Netzwerk in Brandenburgs Linkspartei
»Die politischen Bedingungen in der Bundesrepublik haben sich seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine grundlegend geändert.« Inflation, Militarisierung, Energiekrise und ein hoher Anpassungsdruck durch die Medien prägten das Land, heißt es im Gründungsaufruf für einen Liebknecht-Kreis innerhalb der Brandenburger Linkspartei.
Der Aufruf lag dem »nd« am Donnerstagmorgen vor und sollte im Laufe des Tages im Internet veröffentlicht werden – zusammen mit der Einladung für das Gründungstreffen am 3. Oktober um 10 Uhr bei der Gesellschaft für Arbeit und Soziales (GefAS) am Fichtenauer Weg 3 in Erkner. Verschiedene Tagesordnungspunkte stehen auf dem Programm, etwa ein Austausch über die Situation der Linken und über die umstrittene Rede der Abgeordneten Sahra Wagenknecht im Bundestag. Dazu ist mit Lydia Krüger eine Mitarbeiterin Wagenknechts als Gast angekündigt. »Es passen 80 Leute in den Saal«, sagt Mitinitiator Heinz Hillebrand. Er erwartet allerdings: »Es wird wesentlich voller werden.«
Wer den Krieg in der Ukraine historisch einordne, »oder auch nur Zweifel am Konfrontationskurs des Westens äußert, wird beschimpft und politisch ausgegrenzt«, steht in dem Aufruf. Vergleiche mit 1914 drängen sich demzufolge auf: Als der damalige SPD-Reichstagsabgeordnete und spätere KPD-Gründer Karl Liebknecht im Ersten Weltkrieg gegen die Kriegskredite stimmte und die Parole »Gegen den Zarismus« kritisierte, habe dies nicht bedeutet, dass er ein Freund des russischen Zaren gewesen sei. Auf heute gemünzt betonen die fünf Initiatoren des Liebknecht-Kreises: »Wenn wir die Dämonisierung Russlands kritisieren, bedeutet dies nicht, dass wir Freunde Putins sind.« Gerade jetzt, angesichts drohender Verarmung und Wirtschaftskrieg, sei die Linke notwendiger denn je. Aber die Partei sei »in der friedenspolitischen Auseinandersetzung viel zu zaghaft«, dies auch aus Angst vieler Mitglieder, als Putin-Versteher zu gelten. »Sie tritt nicht konsequent gegen das Gas- und Ölembargo auf, obwohl diese Sanktionen eindeutig den Menschen schaden.« Beklagt wird, dass es Genossen gebe, die für Waffenlieferungen an die Ukraine einträten, selbst wenn diese Genossen in der Partei klar in der Minderheit seien.
Die Linke befinde sich in Ostdeutschland mit Ausnahme von Thüringen im freien Fall. Mit einem Umfragewert von nur sieben Prozent sei der Landesverband Brandenburg das Schlusslicht. Die Zahl der Parteiaustritte steige stark an. Genannt wird der ehemalige Finanzminister Helmuth Markov, der in den 1970er Jahren in Kiew studiert, bereits damals nationalistische Tendenzen erlebt hatte und mit dem Kurs seiner Partei jetzt nicht mehr einverstanden war. Obwohl in den Wahlkämpfen soziale Positionen ins Zentrum gerückt würden und die Fraktionen im Bundestag und in den Landtagen gute Facharbeit leisteten, sei die Linke dabei, ihre Traditionslinien zur sozialistischen Arbeiterbewegung zu kappen.
Mit der Vereinigung der Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) mit der Wahlalternative Arbeit & soziale Gerechtigkeit (WASG) zur Partei Die Linke im Jahr 2007 habe es zunächst Wahlerfolge gegeben. Doch inzwischen fehle vielen Parteimitgliedern marxistisches Wissen. Denken in Widersprüchen werde ersetzt durch Moral und Verhaltensregeln. »Diese Partei wird schlichtweg von vielen Menschen nicht mehr verstanden.«
Den Namen Liebknecht-Kreis haben sich die Brandenburger von einer ähnlichen Initiative in Sachsen abgeguckt. Es sei keine neue Organisation innerhalb der Partei geplant, kein vom Landesverband anerkannter Zusammenschluss, der Delegierte zu Parteitagen entsenden könnte, keine Arbeitsgemeinschaft also, sondern ein Netzwerk.
Die Landesvorsitzende Katharina Slanina kennt den Gründungsaufruf. »Ich werde mir das in Ruhe ansehen«, sagt sie »nd«. Die fünf Initiatoren des Aufrufs sind die Kreisvorsitzende Rita Sybille Heinrich, Kreisgeschäftsführer Uwe Tippelt und Kreistagsfraktionschef Artur Pech aus Oder-Spree, der Kreisvorsitzende Niels-Olaf Lüders aus Märkisch-Oderland und der Wildauer Linksfraktionschef Heinz Hillebrand aus Dahme-Spreewald. Außerdem sind unter dem Text 36 Erstunterzeichner des Aufrufs aufgeführt. Dazu gehören vor allem Genossen aus den genannten drei Kreisverbänden, etwa der ehemalige Sozialbeigeordnete Lutz Amsel aus Märkisch-Oderland und der frühere Wildauer Bürgermeister Uwe Malich. Aber es findet sich beispielsweise auch der Name von Bernd Lachmann vom Kreisvorstand Potsdam-Mittelmark. Lachmann sorgte gerade mit einer von ihm angemeldeten Friedensdemonstration in Brandenburg/Havel für Schlagzeilen. Denn unter den bis zu 3000 Teilnehmern wurden am Samstag der Landtagsabgeordnete Lars Hünich und andere AfD-Mitglieder gesichtet. Sie hatten in ihren Kreisen dafür geworben, bei der Demonstration mitzulaufen. Lachmann wehrt sich gegen den Vorwurf, mit der AfD gemeinsame Sache zu machen. Dies entspreche nicht den Tatsachen.
Derweil erscheinen AfD-Mitglieder auch zu anderen Versammlungen der Linken, etwa zu einer Friedenskundgebung am Dienstag auf dem Märkischen Platz in Rathenow. Zehn von 200 Leuten seien da aus dem Spektrum der AfD gewesen, berichtet der Bundestagsabgeordnete Christian Görke (Linke). Er selbst habe dort aber klar gesagt: »Eine Vereinnahmung der Proteste durch AfD und Co. werden wir nicht tolerieren.« Unabhängige Beobachter bestätigen seine Darstellung einer klare Kante.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.