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Für Gott, Familie, Vaterland
Bei der Parlamentswahl in Italien droht ein Rechtsruck. Anleihen aus dem historischen Faschismus schaden der stärksten Partei nicht
Seitdem die Mehrparteienregierung Mario Draghis von den Populisten des Movimento 5 Stelle und der Lega gestürzt wurde, ist gegenwärtig ein deutlicher Rechtsruck in Italien spürbar. Den Prognosen zufolge könnte die postfaschistische Fratelli d’Italia (FdI) als stärkste Partei aus den Wahlen hervorgehen. Doch wie viel Faschismus ist bei den selbsternannten »Brüdern Italiens« zu finden?
Seit zwei Wochen schon dürfen keine Wahlprognosen mehr veröffentlicht werden. Gemäß der letzten Vorhersage vom 10. September kann der Mitte-Rechts-Block – wie er noch genannt wird, obwohl er deutlich rechts steht – auf einen Anteil von 47,2 Prozent hoffen. Seinem Widerpart von Mitte-Links werden aufgrund seiner inzwischen chronischen Zerstrittenheit nur 28 Prozent eingeräumt. Sollte sich diese Prognose am Wahlabend bewahrheiten – und dies befürchten viele Menschen innerhalb und außerhalb Italiens – so würde Italien ab Oktober von rechten Kräften regiert werden. Und zwar unter Führung der postfaschistischen FdI, die mit schätzungsweise 25 Prozent der Stimmen stärkste Einzelpartei würde. Die neue Premierministerin hieße dann Giorgia Meloni. Die 45-jährige Rechtspolitikerin wäre die erste Frau im Chefsessel des Palazzo Chigi.
Postfaschistisch? Meloni weist Vorwürfe in Hinsicht auf Faschismus und Postfaschismus weit von sich. In ihren inzwischen häufigen Selbstdarstellungen gibt sie sich als moderne Politikerin, die sich vor allem treu an die atlantischen Verbindungen hält. Meloni unterstreicht gern, dass sie an Seite der USA und der Nato-Verbündeten solidarisch mit den Kämpfenden in der Ukraine ist und eine Regierung unter ihrer Führung auch präzise alle Verbindlichkeiten aus den Bündnisverpflichtungen erfüllen wird. US-amerikanischen Medien gegenüber betont sie allerdings, dass die Politik der Vereinigten Staaten, insbesondere unter der Führung des Ex-Präsidenten Donald Trump, für ihre Vorstellungen wegweisend und nachahmenswert ist. Aus Trumps »America first« adaptiert die FdI-Chefin »Italia first«.
Meloni gibt sich lammfromm
Giorgia Meloni ist eine Frau mit einer überaus raschen Auffassungsgabe und einem Gespür für politische Trends. In der Vergangenheit spielte die von ihr gegründete FdI – der Name ist aus der ersten Zeile der durchaus als martialisch zu bezeichnenden italienischen Hymne abgeleitet – eher eine marginale Rolle. Ihr früherer Weggefährte und ehemaliger Parteichef Gianfranco Fini hatte sich seinerzeit stromlinienförmig an die Politik des lange Regierenden Silvio Berlusconi angepasst. Als Fini seine Alleanza Nazionale aus dem postfaschistischen und noch von Mussolini-Anhängern gegründeten Movimento Sociale Italiano (MSI) ins Leben rief, übernahm er zwar dessen faschistische Symbolik. Beim Aufgehen in Berlusconis Popolo della Libertà (PdL) verschwand dann aber die lodernde Tricolore aus der Symbolik und Fini wenige Jahre später in der Bedeutungslosigkeit.
Militante Parteigänger wie Giorgia Meloni und der Ex-Verteidigungsminister Ignazio La Russa wollten den Schmusekurs mit der PdL nicht mitmachen und gründeten stattdessen die Fratelli d’Italia. Im aktuellen Wahlkampf jedoch verzichtete Meloni auf die traditionellen Verbindungen. In Interviews wandte sie sich gegen die »faschistische Unterdrückung der Demokratie und die antijüdischen Rassegesetze«. Kurzzeitig, so hieß es, sei sie sogar bereit gewesen, in ihrem Parteisymbol auf die grün-weiß-rote Flamme zu verzichten. Letzten Endes hat die Partei dieses Symbol auf den Wahlkampfplakaten dennoch beibehalten. Die lodernde Flamme über dem Grab Benito Mussolinis – als schwarzer Balken unter der Tricolore dargestellt – war bereits Symbol des MSI und der Aleanza Nazionale.
Überhaupt scheinen die Brüder Italiens einen Hang zur Symbolik zu haben – und zu großen Namen: Bei ihrer Kandidatur um einen Stadtratsposten in Rom posierte Rachele Mussolini, die Enkelin des »Duce« vor dem Rathausturm von Sabaudia, einer der während des italienischen Faschismus erbauten Retortenstadt. Ihr gleich tat es der Urenkel Caio Mussolini, der sich anlässlich seiner Kandidatur für das Europaparlament vor den ebenfalls in der faschistischen Epoche entstanden Bauten des römischen Stadtteils EUR fotografieren ließ. Doch nicht nur bildhafte Symbole werden für die politische Darstellung der FdI genutzt. Die Jugendorganisation der Partei, die Azione Universitaria, greift auch gern auf Parolen der dreißiger Jahre des vergangenen Jahrhunderts zurück: Für »Glauben, Kampf und Sieg« tritt der Verband zu den Wahlen an.
Militanter Glaube als Parteikonzept
Nicht nur, dass sowohl die Fratelli als auch Matteo Salvinis Lega ihre Partei- und Wahlkampfveranstaltungen von militanten Schlägertrupps der »Forza Nuova« schützen lassen. Auch in ihren Aussagen geben die Politiker der extremen Rechten – lassen sie einmal alle Scheu fallen – militant-konservative Argumente von sich. Fühlt sich Meloni unter ihresgleichen, so gibt sie geradezu fanatisch ihre Ziele und Gangart preis. Auf einer Veranstaltung der rechtsextremen spanischen Partei Vox erklärte die Fratelli-Chefin: »Vermittlung ist nicht möglich – man sagt ja oder nein. Ich sage: Ja zur natürlichen Familie; Nein zur LGBT-Lobby; Ja zur sexuellen Identität; Nein zur Gender-Ideologie; Ja zum Leben; Nein zur Kultur des Todes; Ja zu den christlichen Werten; Nein zur islamistischen Gewalt; Ja zur Souveränität des Volkes; Nein zu den Brüsseler Bürokraten; Ja zu sicheren Grenzen; Nein zur Masseneinwanderung. Hoch lebe Spanien, hoch lebe Italien, hoch lebe das Europa der Patrioten!«
Fast auf jeder ihrer Veranstaltungen gibt sie sich als bekennende Mutter und Katholikin, als Abtreibungsgegnerin, als Gegnerin einer grünen Umweltpolitik und Leugnerin des Klimawandels. Als in der vergangenen Woche ein verheerendes Unwetter die von der FdI regierte Region Marche überspülte und mindestens elf Menschenleben forderte, ließ sich der Regionalgouverneur und Parteikollege Francesco Acquaroli auf einem Wahlkampfbankett feiern.
Gott, Familie, Vaterland – der Wahlspruch galt bereits zu Zeiten Benito Mussolinis. Dessen hartgesottene Verehrer, Spitzenpolitiker der Partei, pilgern heute noch zur Grabstätte des »Duce« in Predappio, sie verzichten auf Protest, wenn auf Parteiveranstaltungen der »römische Gruß« – vergleichbar mit dem Hitlergruß – gezeigt wird. Und sie freuen sich schon im Vorfeld darauf, dass im Oktober, zum einhundersten Jahrestag von Mussolinis Marsch auf Rom wieder eine extrem rechte Regierung in Rom amtieren könnte.
Sollte Meloni an der Spitze aus einer Koalition von Fratelli d’Italia, Lega und Forza Italia die neue Regierung in Rom stellen, braucht zwar niemand zu fürchten, dass sie ein nazi-faschistisches Regime errichtet. Jedoch werden in ihrer Politik viele politisch-kulturelle Identifikationselemente der zwanziger und dreißiger Jahre des vergangenen Jahrhunderts enthalten sein, wie sie sich auch in fast acht Jahrzehnten in der italienischen Bevölkerung überlebt haben und integriert sind. Wenn Giorgia Meloni dies wirklich überwinden und ihre Partei in eine moderne Rechte überführen will, braucht sie mehr als nur den Austausch von Symbolen – obgleich nicht einmal dieser stattfindet.
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