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- »Wir könnten genauso gut tot sein«
Zum Sterben
Doch nicht so leicht, Satire zu machen: Der quälende Spielfilm »Wir könnten genauso gut tot sein«
Dass es schwer sei, keine Satire zu schreiben, schrieb der römische Dichter Juvenal, aber schwer ist es eben doch, weil der Gedanke so nahe liegt, es sei leicht. Irgendwo hinterm Wald steht das Phoebus-Haus. Es ist ein Apartmenthaus, umgeben von Golfplatz und Gelände, und das Gelände ist eingezäunt. Wer hier einziehen will, braucht Glück, einen tadellosen Lebenslauf und irgendetwas, das sich auf dem Weg durch den Wald als Waffe verwenden lässt. Deshalb will jeder ins Phoebus-Haus, der Sicherheit wegen, und die Bewerbungsgespräche sind welche auf Leben und Tod.
»Wissen Sie nicht, wie schwer es ist, da draußen ein Kind großzuziehen?«, fragt die Bewerberin, deren Mann gleich händeringend vor der Wachfrau Anna auf die Knie fallen wird. Draußen, da geht die Welt unter, doch im Phoebus-Haus passen sie auf dich auf: »Achtung! Langsam gehen! Verletzungsgefahr!«, warnt das Schild im Foyer, und Späße, gar auf Kosten anderer, werden auch nicht so gern gesehen. »Sich über das Leid anderer lustig zu machen ist unsozial, unmoralisch und unüberlegt«, betet Anna Delinquenten vor, denn schließlich ist Phoebus der Beiname Apollos, nicht von Dionysos.
Anna hat eine halbwüchsige Tochter, die im Badezimmer lebt, weil sie glaubt, das zweite Gesicht zu haben: »Wenn ich rauskomme, sind wir alle verloren!« Nein, hinaus darf keiner, denn Freiheit ist der Preis der Sicherheit; falls Sicherheit nicht Freiheit ist. Jedenfalls klaut Anna bei einem Kontrollgang einen Deko-Engel. Und wie das so ist in abgeschlossenen, paranoiden Gemeinschaften: Sie werden bei der kleinsten Störung faschistisch, bilden eine Einwohnerwehr, vermöbeln den unschuldigen Sonderling, »evaluieren« die Mieterinnen, und Anna schweigt. Denn Anna ist eine polnischstämmige Jüdin. Wobei: Zahlt man im Phoebus-Haus Miete? Kauft man sich ein? Was arbeiten die Leute da und wo?
»Wir könnten genauso gut tot sein« von Natalia Sinelnikova besteht auf seiner Abstraktheit; der Film ist reine Idee, und die Idee ist schlecht, weil durchschaubar und gebraucht. Und dass man die Welt, von der sie sich hier so verkniffen separieren, nur ahnen soll, hilft da auch nicht weiter. Die Konstruktion ist so karg wie das Haus, das von innen wie eine nicht mehr ganz neue Seniorenresidenz wirkt, und auch das kann natürlich Gott weiß wie symbolisch sein, strahlt aber nur auf einen Film zurück, der auf Schauwerte – oder sagen wir gleich: Ästhetik – zugunsten seiner restlos banalen, einer Theater-AG der Mittelstufe würdigen Botschaft verzichtet.
Die verwandte Kinodystopie »Elysium« (2013) war ja wenigstens Star- und Effektkino, Profiarbeit. »Wir könnten genauso gut tot sein« ist hingegen, beim beziehungsreichen Titel angefangen, Filmschulmist, den auch Jörg Schüttauf als einziger gesichtsbekannter Schauspieler im Ensemble nicht rettet. Nach einer Minute ist klar, was das alles soll, weiter passiert nichts, und dann will es durchgestanden sein, und geradezu verzweifelt klammert man sich an die vergleichsweise originelle Interpretation, hier gehe es selbstironisch um die Farb- und Humorlosigkeit des eigenen, gern als »hypermoralisch« gescholtenen Milieus. Aber es ist auch egal, was der Film uns sagen will, denn er hat ja keine Sprache, und lustig wird es auch nicht. Denn wo soll in einer geschlossenen Welt der Humorlosen der Humor herkommen? Im Phoebus-Haus sind sie stolz darauf, dass ihr System keine Lücke habe, aber dieses laut »New York Times« »herausragende Debüt« ist ja ebenso vernagelt, nämlich streng parabolischer Aufklärungskitsch. Es sei denn, man wollte das zutiefst Quälende, Tote, den Zuschauer grausam Unterfordernde als Wink von der Metaebene verstehen, wenn die Spießerhölle nicht dekonstruiert, sondern imitiert wird. Wie es ist, sein Leben im Phoebus-Haus zu verbringen, vermittelt der Film unerbittlich, und wer unbedingt möchte, kann ihm das gutschreiben.
»Wir könnten genauso gut tot sein«: Deutschland 2022. Regie: Natalia Sinelnikova. Buch: Natalia Sinelnikova, Viktor Gallandi. Mit: Ioana Iacob, Pola Geiger, Jörg Schüttauf. 96 Min. Start: 29.9.
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