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Geflüchteter als Schmuggler verurteilt
In Griechenland erhält 58-jähriger Iraner 18 Jahre Haft für das Fahren eines Schlepperautos
Es ist ein fragwürdiges Gesetz: Das griechische Gesetz 4251/2014, Art. 30, identifiziert diejenigen, die in einem Boot oder einem anderen Fahrzeug hinter dem Steuer erwischt werden, als »drahtziehende Profiteure einer Flucht«. Verhaftet wird in solchen Fällen stets nur der Fahrer oder die Fahrerin. Das Gesetz entspricht den europäischen Vorgaben, die im Programm Empact (Europäische multidisziplinäre Plattform gegen kriminelle Bedrohungen) festgelegt sind. Für Verstöße gegen dieses Gesetz wurde in Griechenland das Strafmaß zuletzt 2019 erhöht; pro beförderter Person drohen dem Fahrer eine Geldstrafe bis zu 30 000 Euro und eine Haftstrafe bis zu 15 Jahren, in der Praxis jedoch nie mehr als 20 Jahre Haft.
Der krebskranke 58-jährige Iraner Homayoun Sabetara wurde am 26. September auf der Grundlage dieses Gesetzes zu 18 Jahren Haft verurteilt. Am Anfang stand seine Reise mit einem One-Way-Ticket von Teheran nach Istanbul, die ihn über Griechenland zu seinen in Berlin lebenden Töchtern führen sollte. In Thessaloniki wurde er vor gut einem Jahr verhaftet – als Fahrer eines Autos mit sieben Insass*innen (drei im Kofferraum). Der Vorwurf: Menschenschmuggel, wegen Förderung der illegalen Einreise aus Drittstaaten in die Europäische Union. Sabetara wurde ohne Widerstand festgenommen.
Zum Verhängnis wurde dem Iraner, dass der Schlepper die Gruppe während der Flucht verließ. Auf dem letzten Abschnitt der Fluchtroute fuhr deshalb er das Fluchtauto, nachdem er unter Druck gesetzt worden war, das Auto zu fahren und dafür Abschlag bei den »Reisekosten« zu erhalten oder das Ende der Flucht zu riskieren. Ein »Angebot«, das Sabetara »aus Angst annimmt«, wie sein Verteidiger Haris Ladis vor Gericht erklärt. Das Auto gehört einem Griechen, der angibt, nicht einmal von der Existenz des Fahrzeugs zu wissen, und freigesprochen wird. Sabetara sieht sich als Geflüchteter und in keiner Weise als Menschenschmuggler.
Dass die Gruppe überhaupt bis Thessaloniki kam, ist nicht selbstverständlich: Im Militärsperrgebiet am Evros herrscht nicht nur Rechercheverbot für Journalist*innen, hier sind schon Menschen ums Leben gekommen oder wurden bei sogenannten Pushbacks in die Türkei zurückgedrängt. Ein mit Radar, Wärmesensoren, Kameras und Drohnen ausgestattetes und von der EU finanziertes Grenzüberwachungssystem wurde vor einem Jahr fertiggestellt. Es soll »Pushforwards«, wie die griechische Regierung eine vermeintlich gezielte Entsendung von Migrant*innen in Richtung Griechenland bezeichnet, unterbinden. Erst vergangene Woche hinderte die griechische Grenzschutzbehörde laut Agenturmeldungen etwa 1500 Migrant*innen daran, den Fluss zu überqueren.
Leise spricht Sabetara im Prozess, als er auf die Fragen der Richterin antwortet. Mit Nachdruck verhört sie ihn, sodass der Persisch-Dolmetscher mit der Übersetzung schwer hinterherkommt. »Wusste er nicht, was ihm droht, wenn er auf diese Weise nach Griechenland einreist?« Der Angeklagte verneint schweigend. Wie die Flucht vor sich gegangen sei, will die Richterin auch von der Tochter Mahtab wissen, die sich vor dem Richterpult nicht klein macht. Sie erfuhr erst Monate später von der Verhaftung ihres Vaters und reiste unterstützt durch die NGO Borderline Europe bereits zum dritten Mal mit ihrer Schwester an, denn dreimal wurde der Prozess bereits vertagt. Sie deckt die Reisekosten aus Verkaufserlösen des Buches von Carola Rackete »Handeln statt hoffen«. Borderline Europe sorgt auch für juristische Unterstützung. Deswegen wird Sabetara von einem Verteidiger wie Haris Ladis vertreten, der in seinem Schlussplädoyer den Angeklagten als ehrbaren und auch schwerkranken Menschen zeichnet, der sich bis auf »diese falsche Entscheidung« nichts zuschulden kommen ließ. Er verbindet die aktuellen Proteste im Iran mit Lob der in Deutschland lebenden Töchter, deren richtige Lebensentscheidungen vom Vater unterstützt wurden. Die Argumentation verfängt bei Gericht, sodass immerhin Strafmilderung erreicht wurde. In einem Berufungsverfahren bis Herbst 2023 hofft sein Anwalt auf weitere Strafmilderung.
Unzählige andere Geflüchtete – wie dem Aushang vor Gerichtssaal zu entnehmen ist, dreht sich die Mehrzahl der Prozesse hier um sie –, die wegen der Beförderung von Bürger*innen aus Drittstaaten vor Gericht stehen, sehen ihrem Prozessbeginn entgegen. Wie viele es sind, und ob die Zahl der wegen Schmuggel vor Gericht stehenden Geflüchteten mit der aktuellen griechischen Regierung zugenommen hat, lässt sich nicht genau sagen. Lokale NGOs können dem »nd« keine genaue Auskunft geben. Laut Pro Asyl und Angaben des griechischen Justizministeriums bildet diese Gruppe im Jahr 2019 die zweitgrößte Gruppe der Inhaftierten in Griechenland. Fest steht, dass unter der Mitte-rechts-Regierung von Kyriakos Mitsotakis die Asylanträge schneller bearbeitet werden – nicht unbedingt zum Vorteil der Antragsteller*innen, denn die Zahl der abgelehnten Anträge steigt. Auch Sabetara hat bereits einen erhalten.
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