- Politik
- Biotechnologie
Der Weg zum veganen Milchkäse
Der Biotechnologe Marius Henkel im Interview über Alternativen aus dem Labor zu tierischen Lebensmitteln
Sie haben seit Kurzem an der TU München eine Professur für, wenn man es übersetzt, Zelluläre Landwirtschaft. Warum zellulär und was ist daran Landwirtschaft?
Marius Henkel ist der erste Professor für
Cellular Agriculture. Er baut an der Technischen Universität München ein Studien- und Forschungszentrum für diesen Bereich auf. Steffen Schmidt fragte im Vorfeld eines Symposiums nach Möglichkeiten und Grenzen der sogenannten zellulären Landwirtschaft bei der Umstellung der Nahrungsmittelproduktion.
Zellulär deshalb, weil es grundsätzlich darum geht, mit biotechnologischen Verfahren Alternativen zu konventionellen Produkten der Landwirtschaft – vor allem tierischen Produkten – herzustellen. Das fängt bei einzelnen Proteinen an, die in Bioreaktoren von Bakterien oder Pilzen produziert werden, und geht dann perspektivisch bis zu ganzen Geweben – also Fleischstücken, die aus Zellkulturen erzeugt werden sollen. Und Landwirtschaft insofern, da wir einige von deren Produkten substituieren möchten, also mögliche Alternativen zu etablierten Produkten erforschen. Ohne die zahlreichen bekannten Komplikationen für die Umwelt – denken sie unter anderem an Tierwohl und Klimawandel.
Bioreaktoren brauchen Energie und Nährlösungen. Ist das dann tatsächlich weniger umweltbelastend?
Ein solch radikaler Wandel sorgt natürlich für sehr viel Skepsis. In vielen Fällen ist das durchaus noch angebracht. Wir stehen ja noch ziemlich am Anfang. Es gibt glücklicherweise einige Untersuchungen, die sich mit den Auswirkungen befassen. Allerdings noch nicht genug.
Eine Art Technologiefolgenabschätzung?
Ja, genau. Die müsste man relativ früh mit einbinden. Dann kann man Sackgassen vermeiden. Und ja, die Geräte verbrauchen Energie. Und es gibt durchaus Studien, die den Energieaufwand bei großtechnischen Gewebe- und Zellkulturen kritisch sehen. Manche sagen, dass das nur möglich ist, wenn wir stärker auf regenerative Energiequellen bauen.
Für Fleisch aus Zellkulturen gibt es schon Beispiele, etwa aus Israel und den Niederlanden. Bislang sündhaft teuer. Lässt sich abschätzen, wann solche Produkte konkurrenzfähig werden könnten?
Das ist schwierig, zumal die aktiven Unternehmen den Stand ihrer Technologie nicht unbedingt schon breit kommunizieren. In Singapur gibt es bereits frittierten Hähnchenteile, die zu knapp über 50 Prozent tatsächlich aus kultivierten Hähnchenzellen bestehen. Die kann man zwar kaufen, sind aber meiner Meinung nach eher Marketing, ein Testprodukt, das kommerziell noch nicht lohnt. Unsere Erfahrungen mit Zellkulturen stammen ja aus der Pharmaindustrie. Das waren ganz andere Aufgabenstellungen, meist im kleinen Maßstab produzierte spezialisierte, hochreine Zielmoleküle. Und jetzt geht es plötzlich um große Mengen für die Nahrungsmittelindustrie und damit um Kosteneffizienz.
Das Fleisch aus dem Bioreaktor ist also noch Zukunftsmusik.
Es geht hier nicht nur um Fleisch. Auch einzelne Proteine können wirtschaftlich interessant sein. Da passiert gerade in den USA einiges. Hier sind bereits seit etwa fünf Jahren biotechnologisch hergestellte naturidentische Kuhmilchproteine in Produkten wie Trinkmilch, Frischkäse, Käse und Speiseeis im Handel.
Das wäre dann sozusagen veganer Käse, der trotzdem wie Milchkäse wäre?
Genau. Diese US-Firma stellt mit genetisch veränderten Pilzen im Bioreaktor Original-Milchproteine her, wie man sie aus der Kuh kennt. Als Test starteten sie mit Milch-Speiseeis, ziemlich teuer – drei Pakete für 60 Dollar. Das war trotzdem schnell ausverkauft. Und jetzt sind die in mehreren tausend Supermärkten in den USA vertreten mit ihren Produkten. Inzwischen liefern sie Molkenprotein und Casein, Hauptbestandteile der Milch, an andere Unternehmen, die dann beispielsweise vegane Backmischungen produzieren. Wir haben in Europa grundsätzlich noch ein Problem mit Novel Food, da ist es insgesamt schwierig, sowas auf dem Markt zu platzieren.
Sind solche veganen Produkte nicht rein pflanzlich ebenso gut realisierbar und möglicherweise auch mit einer besseren Klimabilanz?
Milch ist etwas recht Besonderes, mit speziellen Eigenschaften, die man sonst kaum aus natürlichen Produkten kennt. Gerade das Casein in der Milch, das für Komplexierung und Gelbildung sorgt, was die spezifischen Eigenschaften hat, die für Textur und Sensorik von Käse wichtig sind. Das ist etwas, was man in Pflanzen sehr selten findet. In Soja findet man ein Protein, das sich zumindest ähnlich verhält. Ansonsten gibt es eigentlich nichts wirklich Vergleichbares. Ich sehe auch das Potenzial, mit pflanzlichen Produkten Alternativen zu den tierischen Produkten zu produzieren. Beispielsweise die Burger-Bratlinge aus einer Soja-Mischung, ergänzt um naturidentische Bestandteile, die für den charakteristischen Fleischgeschmack verantwortlich sind, hergestellt mit genveränderten Bakterien. Da sehe ich persönlich auch großes Potenzial für die sogenannte Precision Fermentation, also Präzisionsverfahren für die Herstellung bestimmter Naturstoffe mit Bakterien oder anderen Organismen. Ohnehin glaube ich nicht, dass wir jetzt die tierischen Nahrungsmittel komplett durch Biotech-Produkte ablösen können. Es wird weiter für die verschiedenen Lebensmittel Interessenten geben. Der Anteil der Vegetarier und Veganer nimmt sicher zu. Aber dass wir in naher Zukunft das eine durch das andere ablösen, sehe ich nicht. Es deutet sich ja auch schon an: Es gibt die traditionellen Fleischprodukte, die Ersatzprodukte, pflanzliche Produkte in Hülle und Fülle.
Bleiben wir bei den Burger-Patties. Die meisten pflanzlichen wie biotechnologischen Alternativen zu Fleisch oder Fisch sind derzeit eine Art von Hackfleischprodukt. Warum?
Hackfleisch ist ein sehr praktisches Ziel, weil es von den sensorischen Eigenschaften her auf der Basis von Ersatzprodukten leichter herzustellen ist. Dagegen wäre ein Stück Fleisch, das geschnitten werden muss, das faserig ist, das diese besondere Struktur aufweist, eine Herausforderung. Fleisch besteht ja nicht einfach nur aus Muskelzellen. Da sind auch Fettzellen und Bindegewebe, die die besonderen Eigenschaften ausmachen.
Mit Blick auf die USA rechnen Sie also eher mit einem Durchbruch bei Milchprodukten. Auch wegen der verschiedenen Unverträglichkeiten?
Es gibt neben der Laktose-Unverträglichkeit auch Milchallergien. Und da haben wir ein sehr sehr mächtiges Werkzeug, wenn wir einzelne Proteine anpassen können für Allergiker. Man könnte sogar noch weiter gehen und zusätzliche Eigenschaften einbauen, die für die Gesundheit förderlich sind. Das bekannteste Beispiel, das auch kritisch diskutiert wird, sind bestimmte Peptide, ganz kleine Fragmente von Proteinen, die einen positiven Einfluss auf den Blutdruck haben sollen. Oder eine spezielle Bodybuilder-Milch.
Deutschland zählt ja nicht unbedingt zu den Pionieren auf diesem Gebiet. Wo sehen Sie überhaupt realistische Chancen, dass wir da überhaupt noch wirtschaftlich oder zumindest wissenschaftlich mitspielen könnten?
Zum Teil haben Sie recht. Aber immerhin bin ich der erste Professor weltweit für Cellular Agriculture.
Also doch Pionier …
Auch sonst passiert gerade einiges in Deutschland. Viele meiner früheren Studenten sind in diesen Bereich gegangen, in Start-ups. Einige davon sind Ausgründungen großer Konzerne der Fleischindustrie und beforschen eben dieses Thema. Es gibt aber bisher keine öffentliche Förderung bei uns und das Thema ist noch nicht so präsent wie beispielsweise in Israel oder in den Niederlanden, wo es viele Förderprogramme gibt. Ich erwarte auch in Deutschland, dass Förderprogramme zu kultiviertem Fleisch, aber auch zu Proteinen allgemein, kommen werden.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.