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Politik wie im Supermarkt
Die Begüterten müssten mehr zur Sicherung von Staat und Sozialsystem beitragen, meint Christoph Ruf
Mit Meinungsumfragen ist das so eine Sache. Zumindest, wenn man von den ermittelten Einstellungsmustern auf den tatsächlichen Zustand einer Gesellschaft schließen möchte. Denn leider gehört es zur menschlichen Natur, dass man sich nicht unbedingt besser verhält, nur weil man weiß, was besser wäre. So kann man sehr gut behaupten, man sei bereit, für ökologisch produzierte Waren mehr zu bezahlen, um dann doch konventionelle Bananen zu kaufen. Aber was sagt diese Feststellung schon aus, wenn »die Politik« mindestens genauso widersprüchlich handelt wie der Supermarktkunde und sich oft mehr vom Wahlkampfmanagement als von der Wissenschaft leiten lässt?
Trotz allem verraten großangelegte Untersuchungen über die Einstellungsmuster in der Bevölkerung einiges über das Land, in dem sie erhoben wurden. Im Fall des gerade durchgeführten »Surveys Ungleichheit und Konflikt« lassen sich zwei Schlussfolgerungen ziehen, die Kulturpessimisten wie mich ebenso nachdenklich stimmen müssten wie all die Autorinnen und Journalisten, in deren Texten der Eindruck erweckt wird, dass in Berlin und den Ländern rationale Regierungen handelten, während die Bevölkerung immer unvernünftiger und demokratieferner werde. Manche Leitartikel lesen sich derzeit so, als sei jede Form der Kritik an Regierungspolitik oder gar des Protestes gegen sie undemokratisch. Oppositionsführer Fritze Merz wird dann wohl demnächst vom Verfassungsschutz observiert.
Der Survey wird im Detail noch ausgewertet, ein paar Parameter sind allerdings bereits öffentlich. Sie zeigen das Bild einer vernünftigen Bürgerschaft, die gerne in einer sozialeren, solidarischeren und ökologischeren Gesellschaft leben würde und nicht ansatzweise so reaktionär tickt, wie man ihr das gerne unterstellt. So gibt die vom Soziologen Steffen Mau ausgewertete Untersuchung die Erkenntnis wieder, dass die Mehrheit der Bevölkerung in Genderfragen progressiv denkt: Nur neun Prozent widersprechen dem Satz »Personen, die ihr Geschlecht ändern, sollten als normal betrachtet werden«; das wären vor 20 Jahren wohl noch drei Mal so viele gewesen. Eine gegenderte Sprache wird aber laut Mau generationsübergreifend abgelehnt. Nur in Redaktionen bestehe in dieser Frage ein Generationenkonflikt. Das deckt sich mit meinem Eindruck, wenn ich eine Bubble verlasse, der ich mich meist zugehörig fühle, von der ich aber weiß, dass sie klein (und tendenziell ignorant) ist. In der wäre es ja mal einen Gedanken wert, ob man – ohne Wenn und Aber – richtige Ziele vielleicht eher erreicht, wenn man sie nicht ausgerechnet so durchzusetzen versucht, dass drei Viertel der Menschen, die man gewinnen will (oder etwa nicht?), irritiert bis abgestoßen sind. Gilt übrigens auch für Medienleute, insbesondere öffentlich-rechtliche, sofern die nicht den Eindruck haben, dass ihr Ansehen gesamtgesellschaftlich gerade richtig hoch ist.
Wichtiger ist mir hier aber, dass laut der Untersuchung 79 Prozent der Bevölkerung die Vermögensunterschiede hierzulande für zu krass halten. Das deckt sich mit vielen anderen Studien, die nachweisen, dass die Mehrheit eine gerechtere Steuerpolitik und eine Umverteilung von oben nach unten will. Stattdessen aber wächst die Zahl der Millionäre, und die Regierung betreibt Sozialpolitik mit der Gießkanne. Ohne an die großen Vermögen zu gehen. Und ohne Hand an die Macht der Energiekonzerne zu legen, die sich gerade wieder prächtig die Taschen vollmachen. Dabei wird es höchste Zeit, dass diejenigen, die das können, einen weitaus größeren Beitrag für all die staatlichen Aufgaben leisten, die gelöst werden müssen, damit die soziale Spaltung nicht noch krasser wird. Weil das an sich ein Gebot der Vernunft und der Gerechtigkeit ist. Und weil man sich derzeit nur mit halbwegs wachen Sinnen in Bussen und Cafés umhören muss, um zu merken, dass es nur einen einzigen Grund gibt, warum die AfD nicht schon bald bundesweit triumphale Ergebnisse erzielen wird: In den kommenden Monaten finden keine bundesweiten Wahlen statt.
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