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Atommüll: Mehr Konsens als Krach
Lagerung radioaktiver Abfälle ist kaum Konfliktthema in Niedersachsens Großer Koalition
Jenseits der aktuellen Diskussion um die Laufzeitverlängerung für die drei in Betrieb befindlichen deutschen Atomkraftwerke scheint der jahrzehntelange Großkonflikt um die »friedliche« Nutzung der Kernenergie einigermaßen befriedet. Anders ist kaum zu erklären, dass das Thema im niedersächsischen Landtagswahlkampf fast keine Rolle spielt. Dabei ist Niedersachsen das Atommüll-Bundesland Nummer eins. Für die Zukunft sind Konflikte um die bestehenden und geplanten Anlagen auch deshalb wahrscheinlich.
Vor zwei Jahren, im September 2020, schied der Gorlebener Salzstock überraschend aus dem Suchverfahren für ein atomares Endlager aus. Die mit der Suche beauftragte Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) strich ihn aus geologischen Gründen von der Liste der geeigneten Standorte. Kritische Wissenschaftler und Atomkraftgegner hatten lange zuvor immer wieder auf die Mängel hingewiesen. So liegt über dem unterirdischen Salzstock kein ausreichend starkes Deckgebirge. Außerdem hat er Kontakt zum Grundwasser.
Gleichwohl wurde Gorleben als bundesweit einziger Standort über Jahrzehnte auf die Tauglichkeit als Atommüllkippe untersucht. Mehr noch: Unter dem Deckmantel der Erkundung entstand unter Tage ein fast fertiges Endlager. In das dem Bergwerk gegenüberliegende Zwischenlager prügelte die Polizei gegen den Widerstand Zehntausender Menschen zwischen 1995 und 2011 insgesamt 113 Castorbehälter mit hoch radioaktiven Atomschrott. Sie müssen, wenn eines Tages ein Endlager gefunden und in Betrieb genommen wird, wieder aus Gorleben abtransportiert werden.
Aus dem Schneider sind Niedersachsen und das Wendland bei der Endlagersuche allerdings noch nicht. Die BGE hat mehr als die Hälfte Deutschlands als potenziell endlagergeeignet ausgewiesen. Darunter sind etliche Salz- und Tonformationen in dem Bundesland, und auch der Kreis Lüchow-Dannenberg, in dem Gorleben liegt, ist mit mehreren Gebieten weiter im Rennen.
Als eines »der größten Umweltprobleme der Bundesrepublik« hatte der frühere Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) einst das marode Atommülllager Asse II im Kreis Wolfenbüttel bezeichnet. Zu Recht: In das ehemalige Salzbergwerk wurden von 1967 bis 1978 rund 126 000 Fässer mit radioaktiven und chemischen Abfällen gebracht. Teilweise kippten Radlader die Behälter einfach über Abhänge in die unterirdischen Hohlräume. Weil die Grube instabil ist und voll Wasser zu laufen droht, sollen die Fässer geborgen und an die Oberfläche geholt werden – die Nachbarschächte Asse I und Asse III waren schon früher vollgelaufen und aufgegeben worden. Bislang hat die BGE als Betreiber aber noch keinen Antrag zur Rückholung der Abfälle gestellt.
Streit bahnt sich um den Standort eines Zwischenlagers an, in dem der geborgene Atommüll zunächst verwahrt werden muss. Während die BGE die Lagerung nahe am Bergwerk favorisiert und dort auch schon Grundstücke erworben hat, wollen Anwohner und Bürgerinitiativen, dass auch Asse-ferne Standorte geprüft werden.
Und dann ist da noch die frühere Eisenerzgrube Schacht Konrad in Salzgitter. Die BGE baut sie zum Bundesendlager für schwach und mittelradioaktive Abfälle aus. Es soll 2027 in Betrieb gehen und sukzessive bis zu 303 000 Kubikmeter Atommüll aufnehmen. Weil die Genehmigung für Schacht Konrad vor Jahrzehnten auf der Basis schon damals nicht mehr aktueller Unterlagen erteilt wurde, fordern Umweltverbände und ein breites Bündnis in Salzgitter vom niedersächsischen Umweltminister Olaf Lies (SPD), den Planfeststellungsbeschluss zu widerrufen.
Dass sich die traditionell atomkraftkritischen Grünen zu Schacht Konrad nicht recht positionieren, hat auch mit der Geschichte des komplexen Verfahrens zu tun. Denn dort ist der Bund Antragsteller und das Land die Genehmigungsbehörde – beide waren zeitweise rot-grün regiert, die Grünen stellten dabei meist auch die Umweltminister.
Auch die einzige deutsche Brennelementfabrik steht in Niedersachsen, nämlich in Lingen. Sie ist vom Atomausstieg ausgenommen, hat eine unbefristete Betriebsgenehmigung und beliefert Atomkraftwerke in halb Europa mit frischem »Brennstoff«, darunter auch unfallträchtige Pannenreaktoren in Belgien und Frankreich. Vermutlich verarbeitet sie dabei auch Uran, das vom staatlichen russischen Atomkonzern Rosatom geliefert wird.
In der Nähe von Lingen steht mit dem AKW Emsland auch eines der drei noch betriebenen Kernkraftwerke. Anders als bei den Atommülllagern, wo zumindest zwischen den großen Parteien in Niedersachsen eher Konsens vorherrscht, gibt es hier Differenzen. Während die CDU und die aktuell oppositionelle FDP verlangen, dass die Laufzeit des Reaktors über den gesetzlich fixierten Abschalttermin zum Jahresende hinaus verlängert wird, sprechen sich SPD und Grüne in Niedersachsen dagegen aus. Ob sie diese Position über den Wahltag hinaus beibehalten, bleibt indes abzuwarten. Im aktuellen »Niedersachsen-Check« antworteten 72 Prozent auf die Frage, ob die Abschaltung des AKW Emsland überdacht werden soll, mit Ja.
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