Reich an Phrasen, arm an Sorgen

Der neue Leiter der Berliner Festspiele, Matthias Pees, stellt sein Programm vor

Bloß keine Sorgen: Die vier neuen Leiterinnen des Berliner Theatertreffens
Bloß keine Sorgen: Die vier neuen Leiterinnen des Berliner Theatertreffens

Nach dem überstürzten Weggang des langjährigen Intendanten der Berliner Festspiele, Thomas Oberender, zum Ende des vergangenen Jahres und der Interimsleitung unter Yvonne Büdenhölzer steht seit September Matthias Pees ganz oben an dieser Bundeseinrichtung mit internationaler Ausstrahlung. Unter dem Dach der Berliner Festspiele werden im Martin-Gropius-Bau vorrangig Werke der bildenden Kunst und der Fotografie ausgestellt, während im Haus der Berliner Festspiele den darstellenden und performativen Künsten Raum gegeben wird, flankiert von einem anspruchsvollen musikalischen Programm. Das Jazzfest Berlin, Maerz Musik und das Musikfest Berlin sind renommierte und bewährte Festivals. Kein Wunder also, dass Pees hier auf Kontinuität setzt, wie bei einer Pressekonferenz am Mittwoch zu vernehmen war.

Die Unaufgeregtheit spiegelte sich auch im betriebsidiotischen Jargon wider. Pees, der kaum zwei Sätze spricht, ohne dreimal das Wort »divers« zu benutzen, lud nach und nach seine Mitstreiter auf die Bühne. An Kamila Metwaly, die neue künstlerische Leiterin von Maerz Musik, richtete er die Frage, wie viel Dekolonialisierung der Begriff des Experimentellen benötige. Schwer auszumachen, wovon der Mann eigentlich spricht. Susanne Chrudina, die alte und neue Leiterin der Nachwuchsformate der Institution, sprach davon, dass wir in einer immer komplexereren Welt lebten. Aha. Wenn sie es sagt, wird es wohl so sein.

Ein bisschen Aufregung kam dann aber doch noch auf: Die vier Frauen, die künftig das Berliner Theatertreffen leiten sollen, nicht zu Unrecht als das wichtigste Festival des deutschsprachigen Raums im Schauspielbereich bezeichnet, stellten ebenfalls ihr Konzept vor. Matthias Pees, der immerhin selbst einige Jahre als Journalist tätig war, hatte schon vor der Pressekonferenz für Aufsehen gesorgt, als er nicht nur die siebenköpfige Kritikerjury als Auswahlgremium, sondern überhaupt die Möglichkeit einer unabhängigen Theaterkritik infrage stellte. Olena Apchel, Marta Hewelt, Carolin Hochleichter und Joanna Nuckowska ruderten dann etwas zurück. Die Zehner-Auswahl, die Einladung der zehn bemerkenswertesten Inszenierungen aus dem deutschsprachigen Raum, sowie die aus Kritikern bestehende Jury sollten erhalten bleiben. Zumindest vorerst. Erweitert werde das Programm um zehn transdisziplinäre und internationale Veranstaltungen.

Mit der Formulierung »Keine Sorge« richten sich die Frauen, die gemeinsam nun für einen Bereich verantwortlich zeichnen, den Yvonne Büdenhölzer über Jahre alleine leitete, gleich dreimal an die versammelten Journalistinnen und Journalisten. Jeder Mensch mit einem gesunden Maß an Misstrauen ahnt da schon, dass Sorge wohl durchaus angemessen wäre. Den Stückemarkt, eine viel beachtete Fördermaßnahme für zeitgenössische Dramatik, werde man einstellen. Nicht mehr zeitgemäß, hieß es lapidar. Zudem sei der bisherige Fokus auf deutsch- und englischsprachige Stücke ausschließend.

Das neue Leitungsteam, das aus Deutschland, Polen und der Ukraine kommt, will künftig den Blick gezielter nach Osteuropa werfen. Dass das nun ein universalistischer Anspruch wäre, kann man allerdings auch nicht gerade behaupten. Die aus der Ukraine stammende Apchel spricht im Zusammenhang mit dem derzeit wütenden Krieg von »Heroic Justice« – heldenhafter Gerechtigkeit –, und einem wird angst und bange.

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