Bekannte sollen es gewesen sein

Im »NSU 2.0«-Prozess präsentiert der Angeklagte eine neue Version seiner Unschuld

  • Joachim F. Tornau
  • Lesedauer: 4 Min.

Rund anderthalb Stunden sind vergangen am Donnerstagmorgen im Frankfurter Landgericht, da meldet sich der Angeklagte zu Wort, wieder einmal. Eigentlich soll im Prozess um die Drohschreibenserie des »NSU 2.0« an diesem 27. Verhandlungstag die Beweisaufnahme geschlossen und mit den Plädoyers begonnen werden, doch Alexander M. hat noch etwas mitzuteilen. »Das ist mein letzter Antrag jetzt«, verkündet der 54-Jährige. »Dann bin ich fertig für diese Hauptverhandlung.«

Was dann kommt, ist allerdings kein Antrag, auch wenn der arbeitslose Berliner Computerexperte seine Ausführungen wie üblich mit Paragrafen und juristischen Termini spickt, sondern ein neuer Versuch, seine Unschuld zu beteuern. Mehr als hundert Mails und Faxe mit wüsten Morddrohungen, mit rüdesten rassistischen und sexistischen Beleidigungen, mit Hinrichtungsfantasien und volksverhetzenden Tiraden soll Alexander M. bis zu seiner Festnahme im Mai 2021 verschickt haben – im Namen eines »NSU 2.0«, unterschrieben gerne mit »Heil Hitler« und adressiert vor allem an prominente Frauen, die sich gegen rechts engagieren.

Was diese Drohschreiben so gefährlich erscheinen ließ: Häufig enthielten sie private Daten der Angeschriebenen, wie Wohnadressen oder Namen naher Angehöriger. Auf dem Computer des Angeklagten fand die Polizei Fragmente einzelner Schreiben – eines von vielen sehr gewichtigen Indizien, die auf Alexander M. als den Verfasser hindeuten. Doch der Mann will es trotzdem nicht gewesen sein. Hatte er bislang von einer geschlossenen Chatgruppe im Darknet geraunt, die, von ihm lediglich teilnehmend beobachtet, für den »NSU 2.0« verantwortlich gewesen sei, präsentierte er nun eine ganz andere Variante: Entgegen der Ermittlungsergebnisse habe er keineswegs sozial isoliert gelebt, sondern sehr viele Freunde gehabt, Bekannte aus seiner Zeit im Gefängnis auch. Die seien immer wieder bei ihm im Berliner Wedding zu Besuch gewesen – und hätten freien Zugang zu seinem Computer gehabt. Wer das gewesen sein soll, will Alexander M. freilich nicht verraten: »Namen nenne ich keine.«

Was er dagegen gerne verrät, ist das angebliche Ziel der Drohungen und Schmähungen. »Das Projekt ›NSU 2.0‹ hatte nur die Absicht, Negativschlagzeilen zu produzieren«, behauptet er. »Es ging nie darum, so viel kann ich sicher sagen, jemandem Schaden zuzufügen.« Woher er das weiß, wenn er doch gänzlich unbeteiligt war, erklärt er wiederum nicht. Und es fragt auch niemand nach.

Dass der Beginn der Plädoyers noch einmal verschoben werden muss, liegt aber nicht an der neuen Volte des Angeklagten, sondern an der Hartnäckigkeit von Antonia von der Behrens. Die Nebenklageanwältin möchte immer den Nachweis führen, dass das erste Drohfax vom August 2018, in dem der Anwältin Seda Başay-Yıldız die barbarische Tötung ihrer Tochter angekündigt wurde, aus dem 1. Polizeirevier auf der Frankfurter Zeil kam – dass die Drohserie des »NSU 2.0« also nicht mit Alexander M. begann, sondern mit dem Polizeibeamten Johannes S. Gegen ihn liegen reichlich Verdachtsmomente vor – von rechten Chats über ein mutmaßlich manipuliertes Alibi bis zur Möglichkeit, die privaten Daten von Başay-Yıldız aus dem Polizeicomputer abzurufen. Erneut stellte von der Behrens deshalb Beweisanträge. Unter anderem geht es um die Einschätzung eines Ermittlers, dass das erste Fax »mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit« von einem mobilen Endgerät verschickt wurde, alle weiteren aber von einem PC. Alexander M. soll damals jedoch weder Handy noch Tablet besessen haben.

Dass das Gericht den Anträgen nachkommen wird, erscheint eher unwahrscheinlich: Bereits am vorangegangenen Verhandlungstag hatte es alle auf eine Beteiligung von S. zielenden Beweisanträge abgewiesen. Die Begründung: Die Rolle des Beamten sei nicht in diesem Prozess zu bewerten, sondern in dem gegen ihn laufenden Ermittlungsverfahren. Ermittelt wird gegen Johannes S. aber nur wegen Geheimnisverrats, weil er die Daten von Başay-Yıldız abgerufen und weitergegeben haben könnte, und wegen seiner rechten Postings in einer Chatgruppe. Was den Versand des Drohfaxes angeht, erkennt die Staatsanwaltschaft bislang keinen hinreichenden Tatverdacht gegen den Beamten.

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