Neue Kommandantur der US-Armee in Wiesbaden geplant

Stützpunkt soll zum Logistikzentrum für internationale Waffenlieferungen in die Ukraine werden

  • Anjana Shrivastava
  • Lesedauer: 4 Min.
Millitärübung polnischer Einheiten im bayerischen Grafenwöhr im Juli
Millitärübung polnischer Einheiten im bayerischen Grafenwöhr im Juli

Wie die »New York Times« berichtet, stammt das Konzept, die gesamte Tätigkeit für die Ukraine und den Schwarzmeerraum in Wiesbaden zu bündeln, von Nato-Oberbefehlshaber General Christopher G. Cavoli. Entsprechende Pläne liegen US-Verteidigungsminister Lloyd J. Austin bereits vor und werden nach Angaben von hochrangigen Offiziellen in den nächsten Wochen unterzeichnet.

In Zukunft wird die Ausbildung von ukrainischen Soldaten in Wiesbaden-Erbenheim koordiniert, dem Hauptquartier des US-Heeres für Europa und Afrika. Das neue Zentrum orientiert sich am Modell der US-Ausbildungseinsätze im Irak und in Afghanistan. Bis jetzt wurden rund 2000 Soldat*innen am Standort Wiesbaden ausgebildet, teilweise von US-Truppen, die im Februar aus der Westukraine abberufen worden waren. Das Training selbst wird auch an anderen Standorten durchgeführt, etwa in Idar-Oberstein an der Panzerhaubitze 2000 oder im bayerischen Grafenwöhr an westlichen Artilleriesystemen. Bis Juli 2022 war General Cavoli Chef in Wiesbaden, jetzt ist er oberster Befehlshaber der US-Streitkräfte in Stuttgart.

Schon im August wurde das Logistikzentrum des »International Donor Coordination Center« von Stuttgart nach Wiesbaden verlegt. Die von 40 verbündeten Nationen an die Ukraine gespendeten Waffen – wie Flugabwehrraketen, Artillerie, Haubitzen oder Drohnen – werden ab jetzt von Hessen aus verteilt. Es entsteht eine neue Kommandantur mit 300 amerikanischen Militärkräften, die von einem Drei-Sterne-General geleitet wird. Die US-Armee in Wiesbaden hat das Vorhaben bis jetzt nur allgemein kommentiert: Ein Sprecher sagte dem »Wiesbaden Kurier«, es sei Absicht, »unsere Unterstützung für die ukrainischen Streitkräfte einheitlicher auszurichten, um den Ukrainern bei der Verteidigung ihres Heimatlandes gegen die unprovozierte Invasion Russlands zu helfen«. Gegenüber der »Hessischen Rundschau« ließ ein US-Sprecher verlauten, es gäbe Bemühungen, eine »dauerhafte Stärke« zu erlangen, um »eine künftige russische Aggression abzuschrecken«. Pentagon-Sprecher General Patrick S. Ryder äußerte sich in Washington ähnlich.

Bisher hatte sich die militärische Zusammenarbeit eher informell und improvisiert entwickelt. Mit der Formalisierung der Strukturen will das US-Verteidigungsministerium dauerhaft im Ukraine-Konflikt involviert bleiben und diese Strategie im Militärapparat verankern. Traditionell sind die USA eine Seemacht, doch der heutige Ukrainekonflikt wird von Kämpfen an Land geprägt. Deshalb wird vermehrt landgestütztes Heeresgerät vom Stützpunkt in Hessen aus verteilt und die Armeeausbildung von dort aus organisiert. US-Verteidigungsminister Austin meinte schon kurz nach Kriegsbeginn, dass die russische Militärmacht zu schwächen sei. Das neue Konzept für Wiesbaden zeigt, dass das US-Militär schon seit Jahren Pläne für den Fall eines bewaffneten Konflikts in der Ukraine erarbeitet und sich auf diesen Fall eingestellt hat.

Experten für die US-Außenpolitik wie Walter Russell Mead, langjähriger Kolumnist beim »Wall Street Journal«, bemängelten, dass die US-Abschreckung unzureichend gewesen sei, um den Angriff auf die Ukraine zu verhindern. Wiesbaden war bisher oft in den Schlagzeilen, wenn es um Sparpläne der Obama- oder der Trump-Regierung für das Militär in Europa ging. Trump wollte ein Drittel der rund 30 000 US-Soldat*innen in Deutschland abziehen. Der frühere Armeekommandeur Mark Hertling sagte damals, dass die US-Armee in Europa »nur noch Muskeln und kein Fett« mehr hätte, sie kämpfe »oberhalb ihrer Gewichtsklasse«.

Mit der Wahl von Biden im Jahr 2020 kam es zu einer Wende: Das Hauptquartier der US-Afrika-Armee wurde vom italienischen Vincenza nach Hessen verlegt. Damit wurde Wiesbaden zum Doppel-Kommando, General Cavoli erhielt einen prestigeträchtigen vierten Stern. Schon im Sommer vergangenen Jahres – acht Monate vor dem Ausbruch des Ukrainekrieges – wurden 500 Soldaten samt Angehörigen aus zwei Stabseinheiten mit Koordinierungsaufgaben – etwa der Feldartillerie, Flugabwehr, Aufklärung oder Cyberabwehr – zusätzlich nach Wiesbaden verlegt. Jedoch ist offen, ob die bisherige US-Militärhilfe für die Ukraine, die bereits mehr als 16 Milliarden Dollar beträgt, längerfristig auf diesem Niveau fortgesetzt wird. Der ehemalige Alliierte Europa-Oberkommandierende, Admiral James G. Stavridis, lobte den Plan, Waffenlieferungen in Wiesbaden zu koordinieren: »Dies ist eine formelle Struktur für unsere Verbündeten und Partner, ihr Militärgerät und Training in ukrainische Hände zu legen«.

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