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Deutschland am Pranger
Die steigenden Energiepreise spalten Europa. Denn einige Staaten haben deutlich mehr Mittel, die Teuerung aufzufangen
Ein nebliger Morgen in Prag: Ein versprengtes Häufchen proukrainischer Demonstrant*innen verliert sich am Freitag vor der Prager Burg und fordert, endlich »westliche Panzer« an die Ukraine zu liefern. Während die Rufe der Protestierenden noch über den weiten Platz hallen, beginnt in den alten Gemäuern ein informeller EU-Gipfel, der viel Sprengkraft hat. Trotz der jüngsten ukrainischen Erfolge ist die Kriegsbegeisterung in der Europäischen Union verebbt. Denn Krieg und Sanktionen haben die Energiepreise in astronomische Höhen getrieben. Und innerhalb der EU besteht keine Einigkeit, wie dieser Krise zu begegnen ist.
Schon jetzt haben mehr als 50 Millionen Europäer*innen große Probleme, ihre Energierechnungen zu bezahlen – und täglich werden es mehr. Auch die Unternehmen leiden unter den Rekordpreisen. Eine Rezession scheint unaufhaltsam. Deshalb fordern immer mehr EU-Staaten einen gemeinsamen Preisdeckel für Gasimporte. So sollen die Preise beim Import aus Nicht-EU-Staaten begrenzt werden. Der Deckel soll auch im innereuropäischen Gashandel greifen. Zu den Befürwortern zählen etwa Frankreich, Belgien, Portugal oder Rumänien.
Kein Wunder, dass der Gaspreisdeckel am Freitag im Mittelpunkt der Diskussionen in der tschechischen Hauptstadt stand. Vor allem Deutschland sträubt sich gegen eine Obergrenze beim Gasimport, fürchtet man in Berlin doch um die Versorgungssicherheit. Auch die Niederlande und Österreich hatten sich dagegen ausgesprochen. Doch die Abwehrfront bröckelt. Österreichs Kanzler Karl Nehammer zeigte sich am Freitagmorgen gesprächsbereit.
Front gegen Gaspreisdeckel bröckelt
Noch schlimmer aus deutscher Sicht ist aber das Einknicken der EU-Kommission. Bislang war Energiekommissarin Kadri Simson eine der größten Kritikerinnen des Konzepts Gaspreisdeckel. Doch bereits am Mittwoch hatte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die Blockadehaltung Brüssels aufgegeben. In ihrer Rede vor dem EU-Parlament ging es nicht mehr um das Ob, sondern nur noch um das Wie. »Eine solche Obergrenze für die Gaspreise muss so gestaltet sein, dass die Versorgungssicherheit gewährleistet ist«, so die Präsidentin, die zugleich betonte, dass so ein Deckel nur vorübergehend gelten soll.
Die Präsidentin drängt zudem auf ein gemeinsames Beschaffungssystem. Hier zeichnet sich ein möglicher Kompromiss ab. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hatte sich immer gegen einen Gaspreisdeckel ausgesprochen und stattdessen für den gemeinsamen Gaseinkauf plädiert. Mit der geballten Marktmacht des »größten gemeinsamen Wirtschaftsraums der Welt« könnte man wohl tatsächlich Rabatte aushandeln.
Ein weiterer Kompromissvorschlag kam im Vorfeld des Gipfels von Spanien, Italien, Polen, Belgien und Griechenland. Diese informelle Koalition schlägt einen »dynamischen Korridor« vor, in dem sich der Preis rund um einen bestimmten Wert bewegen müsste. Ein ähnliches Konzept vertritt auch Energiekommissarin Kadri.
Fakt ist: Selbst Habeck kritisiert mittlerweile die »Mondpreise« der Gasexporteure. Zu diesen zählen auch befreundete Staaten wie Norwegen oder die USA, die bislang keine Bereitschaft erkennen lassen, das Erdgas an ihre Freunde von der EU günstiger zu verkaufen.
Deutschland steht auch im Fokus vieler Kritiker*innen, weil es bereit ist, jeden Preis zu zahlen, um an Gas zu kommen. Das macht es für weniger finanzstarke EU-Staaten schwerer, ausreichende Mengen des begehrten Rohstoffs einzukaufen. Zumal Berlin mit seinem 200 Milliarden »Doppelwumms« eine nationale Gaspreisbremse einführen will.
Forderung nach gemeinsamen Schulden
Das Entlastungspaket für Bürger*innen und Industrie ist auch Wasser auf die Mühlen all derer, die Deutschland als Hauptverantwortlichen für die momentane Krise sehen. So hatte Italiens Ministerpräsident Mario Draghi gewarnt, Alleingänge von Mitgliedsstaaten »je nach der Größe ihres finanziellen Spielraums« seien der falsche Weg. »Auf dem kommenden Gipfeltreffen der EU-Staats- und Regierungschefs müssen wir uns stattdessen geschlossen, entschieden und solidarisch zeigen«, so Draghi. Zumindest Österreichs Kanzler Nehammer nahm Berlin in Schutz und sprach mit Blick auf das 200-Milliarden-Hilfspaket von einem »Weckruf« an die Kommission: »Wenn die Kommission nicht in die Gänge kommt, fangen die Nationalstaaten an, sich selbst zu helfen.«
In einem Gastbeitrag für die »Frankfurter Allgemeine Zeitung« hatten EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton und Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni im Vorfeld des Gipfels betont: »Nur eine europäische Antwort kann Industrie und Bürger schützen.« Nicht nur die beiden Kommissare fragen sich, was Deutschlands Milliardensubventionen für Mitgliedstaaten bedeuten, deren finanzieller Spielraum deutlich kleiner ist. »Die deutsche Wirtschaft ist so groß, dass die Unterstützung der Regierung für Unternehmen den Binnenmarkt verzerren könnte«, meinte etwa der lettische Premierminister Krisjanis Karins am Freitag.
Wie es scheint, wird hier ein Deal vorgeschlagen: die Akzeptanz der deutschen Beihilfen gegen Deutschlands Zustimmung zu gemeinsamen EU-Krisenkrediten. Bislang allerdings sperrt sich die Bundesregierung gegen ein gemeinsames EU-Kreditprogramm. Erst am Dienstag hatte Kanzler Olaf Scholz auf den EU-Wiederaufbaufonds verwiesen, der zur Bewältigung der Coronakrise aufgelegt worden war. »Da haben wir ein riesiges Programm von zusammen 750 Milliarden Euro, von dem das allermeiste Geld noch nicht in Anspruch genommen worden ist, aber gerade jetzt besonders wirksam sein kann.«
Die EU-Wirtschafts- und Finanzminister hatten bei einem Treffen am Dienstag beschlossen, einen Teil dieses Fonds für die Energiewende umzuwidmen. Doch wie viel Geld ist noch da? Im Mai sollen laut Kommission noch 225 Milliarden Euro verfügbar gewesen sein. Im besten Fall stünde den restlichen 26 EU-Staaten zusammen also genauso viel Geld zur Verfügung wie dem Krösus Deutschland. Die Schieflage ist offensichtlich. Zumal die Milliarden eigentlich nicht für Energiepreissubventionen vorgesehen sind.
Verteilung der Übergewinnsteuern
Als erster Schritt zur Entlastung der EU-Bürger*innen wurde der Beschluss der EU-Energieminister gewertet, die Zufallsgewinne am Strommarkt abzuschöpfen und das Geld an die Verbraucher*innen weiterzureichen. Wer seinen Strom also günstig mit Braunkohle, Atom- oder Windkraft produziert, soll einen Teil seiner Gewinne abgeben. Insgesamt sollen so 140 Milliarden Euro zusammenkommen, hofft die Kommission.
Doch das wird nicht reichen, um die drohende massenhafte Energiearmut in Europa zu verhindern. Zumal nicht alle Staaten gleichermaßen davon profitieren, wie das Magazin »Politico« am Freitag meldete. Demnach gehören Länder wie Frankreich oder Bulgarien, die den größten Teil ihres Stroms aus anderen Quellen als Gas erzeugen, zu den Gewinnern. Hingegen können etwa Polen, Schweden oder Italien deutlich weniger Geld einsammeln, weil es hier viele Gaskraftwerke gibt. Das dürfte für zusätzlichen Gesprächsstoff sorgen.
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