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Damit das Grün wieder wächst
Die Hasenheide in Neukölln soll widerstandsfähig gegen den Klimawandel werden
Johann Senner ist jemand, der, wenn er das macht, womit er sich auskennt, schnell alles um sich herum vergessen kann. Einer, der von sich sagt, dass er Bäume liebe. In roter Jacke, grüner Cordhose, Sandalen und mit einem Mikrofon in der Hand wirbelt er durch die Hasenheide. Sein Mitarbeiter hat Schwierigkeiten, ihm mit dem Kabel und dem transportablen Lautsprecher zu folgen. Senner steigt hinter eine Baustellenabsperrung und bleibt stehen, weil ihm das, was er zu sagen hat, so unter den Nägeln brennt, dass er damit nicht warten kann, bis er wieder zurück bei der Gruppe ist, von der ihn jetzt ein Bauzaun trennt. »Bäume zu pflanzen, wird nicht reichen«, sagt der Landschaftsarchitekt, der mit seinem Team den Neuköllner Volkspark an der Grenze zu Kreuzberg retten will.
Die Hasenheide ist krank. In den vergangenen Jahren mussten mehr als 400 Bäume gefällt werden. Das sind zehn Prozent des Baumbestands. Auch vielen Bäumen, die noch stehen, geht es nicht gut. Hinzu kommen Wiesen, die vertrocknen. An manchen Junitagen hat sein Team hier auf Wiesenflächen über 40 Grad Celsius gemessen, während es unter den Bäumen mehr als zehn Grad kälter gewesen ist. In der Hasenheide ließ sich zuletzt deutlich beobachten, welchem Stress städtische Grünflächen durch den Klimawandel ausgesetzt sind. Doch nicht nur der Klimawandel ist ein Problem für den Park. Auch die Übernutzung schadet ihm.
Als Johann Senner interessierte Anwohner am Donnerstagabend durch den Park führt und die Gruppe gelegentlich stehen bleibt, weil der 65-Jährige wieder etwas zwischen den Sträuchern im Park entdeckt hat, mit dem er zeigen will, welche Vielfalt an Pflanzen und Tierarten es in dem kleinen Biotop zu erhalten gilt, drängeln sich Rennradfahrer und Jogger durch die Menschentraube.
»Die Hasenheide ist für jeden etwas anderes«, sagt dann auch der für Grünflächen zuständige Neuköllner Bezirksstadtrat Jochen Biedermann (Grüne). In dem rund 50 Hektar großen Park habe jeder andere Lieblingsorte und das seien mitunter auch Stellen, die im Verborgenen lägen. Die einen kämen hierher zum Entspannen, die anderen, um Sport zu treiben.
Während der Monate des Corona-Lockdowns war die Hasenheide wiederum ein beliebter Ersatz für die geschlossenen Clubs der Stadt. Mehrfach löste die Polizei hier Partys mit mehreren Tausend Teilnehmern auf. Die Aufregung war ebenso im März groß, als das Bezirksamt ankündigte, dass die Neuköllner Maientage 2022 zum letzten Mal in der Hasenheide stattfinden würden. Für den alljährlich stattfindenden Rummel soll ein neuer Standort gefunden werden. Ein mehrwöchiger Jahrmarkt passe nicht mehr in eine sensible Grünanlage, hieß es.
»Ich hätte nie gedacht, wie sehr sich ein Boden verfestigen kann«, ist selbst Johann Senner überrascht von dem Effekt, den das Herankarren der ganzen Fahrgeschäfte und die Besuchermassen auf den Untergrund des Parks hatten. Senner hebt eine Eichel vom Boden auf: »Hier liegen Tausende Eicheln, aus keiner davon wird ein Baum werden.« Vierfelderwirtschaft gibt Senner als Konzept für die umgebaute Hasenheide aus. Zukünftig sollen einzelne Abschnitte des Parks zeitweise abgesperrt werden, damit sich die Natur hier wieder erholen kann. So sieht ein Teil des Plans aus, den der Landschaftsarchitekt mit seinem Team gerade unter großem Zeitdruck ausarbeitet.
Dazu gehört auch, dass 600 gegen den Klimawandel besser gewappnete Bäume neu gepflanzt werden sollen. Die größte Baustelle sind aber die Böden. »Den Böden geht es noch schlechter als den Bäumen«, sagt Senner. Diese seien sehr durchlässig. Wenn es regnet, versickert das Wasser schnell. Zudem liegt das Grundwasser sehr tief im Boden. Damit der insgesamt viel zu geringe Niederschlag länger gehalten werden kann, sollen Mulchschichten in den Boden kommen.
»Der Umbau der Hasenheide ist eigentlich ein Generationenprojekt, dafür haben wir aber keine Zeit«, sagt Grünen-Politiker Biedermann. »Nicht nur, weil der Klimawandel uns diese Zeit nicht lässt.« Für das Modellprojekt »klimaresiliente Hasenheide« wurden dem Bezirk Neukölln rund fünf Millionen Euro aus Bundesmitteln bewilligt. Das Geld stammt aus den Töpfen eines Förderprogramms, mit dem die unter Trockenheit und Erwärmung leidenden Parks in Städten für den Klimawandel fit gemacht werden sollen. Denn es sind diese Flächen, die im Sommer die Hitze in dicht besiedelten urbanen Gebieten verringern und bei den zunehmenden Starkregenereignissen Wasser aufnehmen können, damit es nicht zu Überschwemmungen kommt.
Das Geld, das der Bezirk erhält, muss allerdings schon bis 2024 investiert werden. »Die Frist hat zu vielen schlaflosen Nächten sowohl im Büro der Landschaftsarchitekten von Planstatt Senner als auch beim Straßen- und Grünflächenamt geführt«, sagt Biedermann.
Die ersten Bäume sollen schon im Dezember in die Hasenheide gepflanzt werden. Der Beginn der großen Umbaumaßnahmen ist für Februar kommenden Jahres geplant. Senner, der auf der Besichtigungstour durch den Park immer wieder Anwohnern das Mikrofon reicht, damit diese ihre Wünsche für die Hasenheide äußern können, muss auch einräumen, dass aufgrund des engen Zeitplans nicht alle Anregungen berücksichtigt werden können. Er sei sicher, dass diejenigen, die bei der Führung dabei seien und sich selbst für die Rettung der Hasenheide interessierten, mitgenommen werden könnten. Doch sie sind nicht die einzigen, die den Park nutzen.
Als der Landschaftsarchitekt mit dem Tross über eine Freifläche der Hasenheide läuft, erzählt ihm eine Anwohnerin von den Lieblingsplätzen der Drogenverkäufer im Park. Sie glaubt, dass es, solange die entsprechende Nachfrage bestehe, auch das Angebot in der Hasenheide geben werde. Es ist kein Geheimnis: Wer hier Drogen verkauft, bringt zum Teil auch seinen eigenen Stuhl mit. Etwa 50 Verkäufer gebe es im Park, als Versteck dienten ihnen auch Löcher, die in den Boden gegraben würden, erzählt Andreas Luczynski vom Straßen- und Grünflächenamt Neukölln. Klar schade auch das dem Park, sagt er. Wer hier grille, würde aber zum Teil auch Löcher graben, um seine Kohle zu entsorgen. »Egal ob Drogenhandel, Partytourismus oder fehlende Toiletten an jedem Eingang, es geht darum, wie hier alle mitgenommen werden können.« Unklar sei, wie die Verkäufer auf die größeren Eingriffe in den Park reagieren werden, man werde deshalb auch auf Sozialarbeiter setzen.
Parks für alle – das ist in Berlin mittlerweile keine Selbstverständlichkeit mehr. Da es in den Grünanlagen der Stadt immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kommt, kündigte Berlins Innensenatorin Iris Spranger (SPD) Ende Juni an, zusammen mit den Bezirken ein Konzept entwickeln zu wollen, um Gewalt und Kriminalität zu begegnen. Spranger sprach auch über Alkoholverbote. Parks müssten in den Nächten notfalls auch eingezäunt und geschlossen werden. »In Neukölln sehe ich dafür derzeit aber keine Notwendigkeit«, sagte Bezirksstadtrat Biedermann schon damals zum Vorschlag der Alkoholverbote.
Nun widerspricht die Grundidee eines Volksparks ohnhin solchen Restriktionen. Anders als die Schlossparks und Landschaftsgärten im englischen Stil, die zum Spazieren einladen und vor allem etwas für das Auge bieten sollen, sind Volksparks als Erholungsstätten entstanden, offen für verschiedenste Nutzungsarten und ausgerichtet an den Bedürfnissen der Nutzer. Auch die umgebaute Hasenheide soll kein Motiv für ein Landschaftsgemälde werden, sondern weiterhin zugänglich sein für die Anwohner in den benachbarten dicht besiedelten Räumen.
»Man kann nur an alle appellieren, auf den Erhalt der Hasenheide zu achten«, ist Senner überzeugt. Und zu »allen« gehörten in Berlin die Dealer genauso wie jene, für die der Park der Ersatz fürs Fitnessstudio ist.
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