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Wenn die FDP plötzlich Greta lobt
Die Ampel-Koalition streitet um den Weiterbetrieb der drei noch laufenden Atomkraftwerke
In den Koalitionsstreit um den Weiterbetrieb von Atomkraftwerken ist jetzt sogar Greta Thunberg hineingezogen worden. Die schwedische Klimaaktivistin hatte sich in einem Interview mit ARD-Talkmasterin Sandra Maischberger zur deutschen Energiepolitik positioniert und dabei eine Äußerung getroffen, die für manche überraschend gewesen sein mag. Thunberg hatte sich dagegen ausgesprochen, die noch laufenden Atomkraftwerke in Deutschland abzuschalten und stattdessen wieder verstärkt auf Kohlekraft zu setzen: »Ich persönlich denke, dass es eine schlechte Idee ist, auf Kohle zu setzen, solange die AKW noch laufen«, sagte die Gründerin der Bewegung Fridays for Future in dem Gespräch, das am Mittwochabend im Ersten ausgestrahlt werden sollte und in einem kurzen Auszug bereits vorher veröffentlicht worden war. Die Debatte sei natürlich sehr aufgeheizt, erklärte Thunberg weiter: »Aber für das Klima wären die Atomkraftwerke die bessere Wahl, zumindest für diesen Moment. Es kommt darauf an. Wenn sie schon laufen, glaube ich, dass es ein Fehler wäre, sie abzuschalten und sich der Kohle zuzuwenden.«
Die Ampel-Regierung streitet momentan über die Frage, ob die drei verbliebenen Atomkraftwerke – Isar 2, Neckarwestheim 2 und Emsland – anders als ursprünglich beschlossen bis 2024 am Netz bleiben sollen. Die FDP ist dafür, SPD und Grüne sind dagegen. Unmittelbar nach Thunbergs Äußerungen meldeten sich Spitzenvertreter*innen der Liberalen in den sozialen Medien zu Wort und bezogen sich auf die Klimaaktivistin, um ihre eigene Position zu untermauern.
»Ich begrüße den Zuspruch der FFF-Initiatorin«, schrieb Finanzminister Christian Lindner auf Twitter. »Selbst Greta Thunberg spricht sich für den Weiterbetrieb der Atomkraftwerke aus«, lobte Justizminister Marco Buschmann und sah einen »Beleg dafür, dass das physikalisch (Netzstabilität), ökonomisch (Preisreduktion) und klimapolitisch (Klimaneutralität) richtig ist«. Daraufhin frotzelte der Grünen-Politiker Konstantin von Notz, dass »deutsche Politiker anscheinend heute zum ersten Mal hören, dass Teile der internationalen FFF-Bewegung die zeitweise Nutzung von Atomkraft ok finden«. Dieser Umstand offenbare »das ganze Desinteresse« und »die Ignoranz« gegenüber der Klimakrise.
In der Tat hatte Thunberg bereits 2019 auf einen Bericht des Weltklimarats (IPCC) verwiesen, dem zufolge die Atomkraft »ein kleiner Teil einer sehr großen neuen kohlestofffreien Energielösung« sein könne. Sie sprach sich also nicht zum ersten Mal für die Nutzung von Atomkraft aus – und auch nicht grundsätzlich, sondern sagte nur, dass sie sich im Falle einer Wahl zwischen Atom- und Kohlekraft gegen die Kohle entscheiden würde. Vertreter*innen der FDP haben demgegenüber wiederholt dafür plädiert, alle verfügbaren Ressourcen – also auch die Kohle – zur Lösung der Energiekrise zu nutzen.
Grundsätzlich geht es bei diesem Koalitionsstreit nicht um eine vollständige Rückkehr zur Atomenergie, sondern um die Frage, welche vorübergehende Rolle diese infolge des Ukraine-Krieges spielen könnte. Auch die Ampel hält grundsätzlich am 2011 beschlossenen Atomausstieg fest, jedoch ist Deutschland nun durch die Einstellung russischer Gaslieferungen auf alternative Energiequellen angewiesen. Ende September hatten die Koalitionsspitzen daher unter anderem vereinbart: »Wir schaffen außerdem jetzt die Möglichkeit, die süddeutschen Atomkraftwerke bis zum Frühjahr 2023 laufen zu lassen.«
Dieser Streckbetrieb, für die um ihr klimapolitisches Gewissen kämpfenden Grünen bereits eine Zumutung, reicht der FDP aber nicht aus: Es sei »eine Frage der Vernunft«, die drei Atomkraftwerke bis 2024 am Netz zu lassen, sagte FDP-Fraktionschef Christian Dürr am Dienstag im Bundestag. Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge verwies dagegen auf die bereits getroffene Vereinbarung: Wenn die FDP diese »jetzt aufkündigt, dann ist das ein Problem. Das heißt, dass die FDP dann die Verantwortung dafür übernehmen muss, wenn diese Atomkraftwerke im Winter nicht zur Verfügung stehen.«
Die Koalition ist unter Zeitdruck, denn der Gesetzentwurf muss noch das parlamentarische Verfahren durchlaufen. Gibt es keine Einigung, gibt es nicht einmal einen Streckbetrieb. Man darf an dieser Stelle die Frage aufwerfen, ob es den Liberalen wirklich vorrangig um den Inhalt geht – oder ob der Kampf für die drei Atomkraftwerke in erster Linie im Zeichen der eigenen Profilsuche nach dem Abwärtstrend der letzten Monate und speziell der Niederlage bei der Landtagswahl in Niedersachsen steht.
Hinzu kommt das Problem, dass für einen Weiterbetrieb bis 2024 neue Brennstäbe nötig wären, das für Reaktorsicherheit zuständige Umweltministerium lehnte eine Bestellung jedoch ab. Ein Sprecher sagte am Mittwoch, für den Reserveplan bis zum kommenden Frühjahr reichten die vorhandenen Brennstäbe aus. Zur Frage, wie schnell neue Brennstäbe beschafft werden könnten, gebe es verschiedene Schätzungen, sie gingen aber alle »in Richtung ungefähr ein Jahr«, sagte er.
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