Generation Messi patzt

Die Veteranen Busquets und Piqué bringen Barça mit ihren Fehlern beim 3:3 Unentschieden gegen Inter Mailand dem Ausscheiden nahe

Von 2005 bis 2021 war es Gesetz: Der FC Barcelona um seinen Superstar Lionel Messi kommt sicher mindestens ins Achtelfinale der Champions League. Nach dessen tränenüberströmten Abgang wider Willens 2021 zu Paris St. Germain, weil sich das klamme Barça das rund 100-Millionen-Euro-Gehalt nicht mehr leisten konnte, gab es in der vergangenen Saison ein desaströses Aus in der Vorrunde. Diese Saison droht ein unglückliches Ausscheiden und erneut das Abrutschen in die zweitklassige Europa League. Union Berlin gegen FC Barcelona ist plötzlich im Bereich des Möglichen.

Es waren zwei langjährige Weggefährten von Leo Messi, die mit ihren Fehlern die ersten zwei Gegentore verursachten. Der 34-jährige Gerard Piqué hob beim 1:1 eklatant das Abseits auf und ließ danach die Flanke passieren im Gefühl, kein Gegenspieler wäre in Ballnähe. Er irrte sich. Barella war eingelaufen und knallte den Ball unter die Latte. Damit war die verdiente Pausenführung von 1:0 durch den Treffer des Ex-Dortmunders Ousmane Dembélé schon nach sechs Minuten der zweiten Hälfte verspielt. Nur elf Minuten später patzte der zweite spanische Weltmeister von 2010 in Südafrika: Sergio Busquets. Dem defensiven Mittelfeldspieler misslang in der eigenen Hälfte ein einfacher Querpass, der Konter wurde vom argentinischen Nationalspieler und Messi-Kompagnon Lautaro Martínez mit einem trockenen Flachschuss abgeschlossen. Nach 62 Minuten hatte Marc André Ter Stegen im mit 92.302 Zuschauern nahezu ausverkauften Camp Nou mehr Tore kassiert als in den bisher acht Saisonspielen in der spanischen Liga. Da steht er vor dem Clásico am Sonntag bei Real Madrid bei nur einem Gegentor. Der deutsche Nationaltorwart ter Stegen war an allen drei Gegentoren schuldlos und verhinderte mit mehreren Glanzparaden sogar noch ein Debakel.

Drei Tore müssten in der Champions League für drei Punkte reichen. Wenn die Verteidigung passt: Dass mit Araujo und Koundé die beiden besten Innenverteidiger und mit Christensen ein dritter verletzungsbedingt fehlte, hat sicher nicht zur defensiven Stabilität beigetragen. Gerard Piqué wurde von seinem ehemaligen Mitspieler, dem jetzigen Trainer Xavi, auch er Weltmeister mit Spanien 2010, in aller Deutlichkeit gesagt, dass er nur noch als Ergänzungsspieler eingeplant sei. Außerdem soll er seine unternehmerischen Nebentätigkeiten reduzieren und sich auf seinen Job als Profifußballer konzentrieren. Piqué machte in den vergangenen Monaten weit mehr Schlagzeilen durch seine Trennung vom Popstar Shakira als auf dem Platz. Da stand er diese Saison ohnehin selten, da Xavi rein nach Leistung und nicht nach vergangenen Meriten aufstellt. Daran hält er sich bisher konsequent, weswegen auch der 33-jährige Nationalspieler Jordi Alba sich als Linksverteidiger meist hinter dem 18-jährigen Shootingstar dieser Saison, Alejandro Balde, einreihen muss. Am Mittwoch spielte auf der linken Verteidigerposition indes der 31-jährige Neuzugang Marcos Alonso, Balde kam erst spät und brachte gleich jugendlichen Schwung. Piqué spielte gegen Inter nur wegen des verletzten Innenverteidiger-Trios, Jordi Alba gar nicht nach seinem Einsatz am Wochenende gegen Celta Vigo.

Der Spielplan ist dichter gepackt denn je, weil von Mitte November bis Mitte Dezember die Weltmeisterschaft in Katar zur Unterbrechung zwingt und die Vorrunde der Champions League dieses Jahr schon bis Anfang November durchgepeitscht werden muss, statt sonst bis Mitte Dezember. Das zwingt die Trainer zu Rotationen, um Verletzungen durch Überbelastung entgegenzuwirken. Bei Barcelona hat das bis zur Länderspielpause gut geklappt. Der Saisonstart glückte, auch in der Champions League mit einem 5:1 gegen Viktoria Pilsen. Die Euphorie war nach dem traumatischen Abgang von Superstar Leo Messi im Sommer 2021 ins Camp Nou zurückgekehrt. Bis auf das Spiel gegen Pilsen strömten immer über 80.000 Zuschauer in die alte Betonschüssel, die ab der kommenden Saison generalüberholt wird. Barça wird dann im Olympiastadion auf dem Montjuic spielen, wo nur 55.000 Zuschauer reinpassen und damit weit weniger als die über 80.000 Dauerkarteninhaber des Vereins. Selbst das unglückliche 0:2 Mitte September bei Bayern München, das sich mit vier Siegen aus vier Spielen bereits für das Achtelfinale qualifiziert hat, trübte nur kurz die Stimmung, weit stärker danach die vielen Verletzungen in der Länderspielpause. Sowohl der uruguayische Innenverteidiger Ronald Araujo als auch der französische Neuzugang Jules Koundé kamen wie auch die Niederländer Frenkie de Jong und Memphis Depay verletzt von ihren Nationalteams zurück, Araujo musste operiert werden und fällt viele Wochen aus, während der schnelle Innenverteidiger Koundé vielleicht zum Clásico am Sonntag wieder auflaufen kann. Gegen den Sprinter Vinicius von Real Madrid wäre er die erste Option, da Araujo ausfällt.

Von den Ausfällen ist bisher nur Frenkie de Jong wieder zurück. Er kam gestern kurz nach dem 1:2 für Sergio Busquets, den er mal dauerhaft ersetzen soll. Mit de Jong wurde das Spiel dynamischer, es ging hin und her, mit vielen Chancen auf beiden Seiten. Der lange glücklose Robert Lewandowski konnte in der 82. Minute ausgleichen, die Stimmung war auf dem Siedepunkt. Noch ein Tor und die Chancen auf den zweiten Gruppenplatz wären wieder intakt. Stattdessen kam die kalte Dusche. Der eingewechselte deutsche Nationalspieler Robin Gosens sorgte nach einem durch einen langen Abschlag von Torwart Onana auf den Flügel zu Lautaro Martínez eingeleiteten Konter nach dessen Querpass eine Minute vor Ende der regulären Spielzeit für das 3:2 mit einem Schuss ins kurze Eck gegen seinen Nationalmannschaftskameraden ter Stegen. Der Ausgleichstreffer von Lewandowski per sehenswerten Kopfball in der Nachspielzeit sicherte Barça noch mathematische Chancen aufs Weiterkommen. Doch dafür müsste Inter Mailand zu Hause gegen das punktlose Viktoria Pilsen Punkte liegen lassen.

Die Xavineta ist ins Stocken gekommen, wie das Projekt des Neuaufbaus unter Xavi, der nach Messi die meisten Pflichtspiele in der Vereinsgeschichte aufweist, bezeichnet wird. »Vielleicht dauert der Prozess in Europa länger, als wir dachten«, sagte er sichtbar enttäuscht in der Pressekonferenz und übernahm die Verantwortung. »Der Ansatz war meiner Meinung nach gut. Vielleicht habe ich es versäumt, die Intensität für die zweite Hälfte zu vermitteln. Wenn die Verteidigung versagt, tue ich das auch. Wenn Piqué oder Busquets versagen, versage ich als Trainer.« Aber wie immer im Fußball bleibt nicht viel Zeit zum Wundenlecken: »Das ist ein sehr harter Schlag. Wir denken schon an Madrid, an den Clásico. Wir müssen uns erholen, uns gut erholen und versuchen, Madrid im Bernabéu zu schlagen.« Dort trifft Barça am Sonntag als Tabellenführer auf den punktgleichen Verfolger Real Madrid. Und deren Sturm ist stärker als der von Inter.

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