- Politik
- Burkina Faso
Zweiter Militär-Putsch in einem Jahr
Interimspräsident Ibrahim Traoré ist der neue Hoffnungsträger der Bevölkerung in Burkina Faso
Hauptmann Ibrahim Traoré ist nach dem zweiten Militärputsch innerhalb von nur acht Monaten der neue Übergangspräsident Burkina Fasos, mit 34 Jahren aktuell wohl der jüngste Staatschef der Welt. Viele vergleichen ihn bereits mit dem einstigen Nationalhelden Thomas Sankara (1949–1987): Beide waren just 34 Jahre alt, als sie an die Macht kamen, und haben erfolgreich gegen eine Militärregierung geputscht.
Traoré ist die Hoffnung der jungen Militärs und vieler junger Menschen, die in ihm einen neuen starken Mann sehen, der die Probleme des bitterarmen und in weiten Teilen von Islamisten kontrollierten Landes lösen könnte – ähnlich wie damals Sankara. Obgleich der Rückhalt Sankaras weitaus größer war als aktuell bei Traoré.
Bereits in der vergangenen Woche hat Hauptmann Traoré angekündigt, dass er nicht dauerhaft an der Macht bleiben wolle, sondern nur übergangsweise, bis es Neuwahlen in dem westafrikanischen Land gibt. Diese sollen bis spätestens 1. Juli 2024 erfolgt sein. Wie das französische Magazin »Jeune Afrique« in dieser Woche berichtet, soll aber wohl schon am 14. und 15. Oktober ein neuer – militärischer oder ziviler – Interimspräsident offiziell gewählt werden. Traoré gilt als Favorit auf den Posten.
Wie kam es jedoch zu dem erneuten Putsch in Burkina Faso? Als ein Grund sind Streitigkeiten innerhalb des Militärs ausgemacht worden: über den Anti-Terror-Kurs des früheren Militärchefs Paul-Henri Sandaogo Damiba, der sich selbst erst Ende Januar 2022 an die Macht putschte und sich gegenwärtig im togolesischen Lomé aufhält.
In den zurückliegenden Monaten haben sich die Angriffe auf Dutzende von Zivilisten und Soldaten im Norden und Osten von Burkina Faso vervielfacht; dort werden ganze Landesteile von Dschihadisten kontrolliert. Seit 2015 sind bei regelmäßigen Angriffen bewaffneter Bewegungen, die mit Al-Qaida und dem sogenannten Islamischen Staat (IS) in Verbindung stehen, laut NGOs Tausende getötet und etwa zwei Millionen Menschen vertrieben worden. Daran hat auch Damiba nichts ändern können.
Am 2. Oktober hatte Damiba laut regionalen diplomatischen Quellen »sieben Bedingungen aufgestellt«, um seinem Rücktritt zuzustimmen. Dazu gehörten »die Gewährleistung der Sicherheit und der Nichtverfolgung« der an seiner Seite eingesetzten Soldaten, »die Gewährleistung seiner Sicherheit und seiner Rechte sowie der seiner Mitarbeiter« und »die Einhaltung der eingegangenen Verpflichtungen« mit der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (Ecowas) für eine Rückgabe der Macht an Zivilisten innerhalb von zwei Jahren.
Ecowas verurteilt den erneuten Putsch »auf das Schärfste«, liest man in sozialen Medien. Daraufhin gab es wiederum Proteste gegen die Ecowas in der Hauptstadt Ouagadougou – vor allem in der jungen burkinischen Bevölkerung.
Zuvor war es zwei Tage lang zu Unruhen und Schießereien auf den Straßen Ouagadougous gekommen. Religions- und Gemeindeführer, die in Burkina Faso sehr einflussreich sind, hätten vermittelt und die »Bevölkerung zu Ruhe, Zurückhaltung und Gebet« eingeladen, hieß es in einem Bericht von France 24. Seit knapp einer Woche hat sich die Lage in Burkina Faso wieder deutlich entspannt. Der Alltag ist zurückgekehrt, wenn sich dies angesichts der immer stärker werdenden islamistischen Bedrohung im gesamten Land überhaupt sagen lässt.
In einer Rede vor rund 30 Generalsekretären der Ministerien entschuldigte sich Hauptmann Traoré indes für seine Soldaten, die kurzzeitig »Ouagadougou beunruhigt« hätten. »Es ist passiert, weil einige Dinge nicht gut funktionieren«, sagte er, und »man muss schnell handeln«, um das zu ändern, weil »das ganze Land in einer Notsituation ist«, zitierten ihn nationale Medien.
Der zweite Putsch in diesem Jahr wird vor allem aber auch als eine Abkehr von neokolonialen Zwängen verstanden. Als ein Aufbegehren gegen Frankreich, was derzeit in ganz Westafrika zu beobachten ist. Die ehemalige Kolonialmacht hat in Burkina Faso immer noch Spezialkräfte stationiert und großen Einfluss auf das Land.
Als Frankreich im vergangenen Jahr die Kooperation der malischen Militärregierung mit den Söldnern der russischen Wagner-Gruppe kritisierte und letztlich zum Anlass nahm, die Militärverträge zu kündigen und den Anti-Terror-Einsatz nach knapp neun Jahren zu beenden, rief das auch Malis Nachbarn Burkina Faso auf den Plan. Damals wie heute hieß es, der Westen habe sich nicht einzumischen in die Angelegenheiten eines souveränen Staates.
Korrespondentenberichten zufolge hatten sich Anfang Oktober ein paar Dutzend Demonstranten vor der Botschaft der ehemaligen Kolonialmacht versammelt, Feuerschutzbarrieren und Autoreifen angezündet und Steine ins Innere des Gebäudes geworfen. Vom Dach des Gebäudes feuerten französische Soldaten Tränengasgranaten ab. Auch wurde das »Institut français« angegriffen. Das französische Kulturinstitut und die dortige Bibliothek wurden stark beschädigt und bleiben bis auf Weiteres geschlossen.
Hauptmann Traoré forderte am Folgetag in einer im nationalen Fernsehen verlesenen Pressemitteilung ein Ende der Akte von »Gewalt und Vandalismus« gegen Frankreich. Frankreich sei nach wie vor ein zuverlässiger Partner – trotz der russischen Präsenz im benachbarten Mali und trotz des mutmaßlichen Besuchs einer russischen Militärmission im Juli in Burkina Faso.
Gegenüber französischen Medien verurteilte das französische Außenministerium die Angriffe feindlicher Demonstranten, die durch eine »Desinformationskampagne gegen uns manipuliert wurden«. Damit ist Russland gemeint. Berichte in sozialen Medien über den von Frankreich gewährten Schutz für den gestürzten Oberstleutnant Damiba, der einst in Paris eine Militärschule besucht hatte, trugen dazu bei, die Wut der Pro-Traoré-Demonstranten zu schüren. Paris dementierte das.
In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.