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Bauschaum für den Sozialstaat
Leo Fischer über den Hang der Politik, großen Problemen mit Einmalzahlungen zu begegnen
Man könnte es wohlwollend sehen: Trotz strengster Austerität und verbissenster Haushaltsdisziplin ist manchmal doch noch Geld da! Sei es für das 9-Euro-Ticket, das breiten Bevölkerungsschichten einen Sommer lang vorgaukelte, in Deutschland sei so etwas wie ein wahrhaft öffentliches Verkehrswesen möglich. Seien es die 300 Euro Krisenbonus, die – natürlich streng versteuert – den Lohnabhängigen überwiesen wurden. Oder jetzt die Einmalzahlung fürs Heizen, die vielleicht für einen Monat reichen wird.
Der neoliberale Staat verteilt »soziale Wohltaten«, kleine Geschenke und Aufmerksamkeiten. Die strukturelle Fürsorge lässt er hingegen unangetastet stagnieren, um sie durch einmalige Trostpflaster zu ergänzen. Die Ampel hat an dieser Form sichtbar gefallen gefunden und wird sie noch weidlich nutzen: hier ein Hunderter fürs Klima, da einer für die Pandemie, und vielleicht im neuen Jahr für die Lebensmittel, wer weiß. Geldgeschenke als das letzte Mittel einer an den Rand der Handlungsfähigkeit abgemagerten Verwaltung, deren Spielräume in vorauseilender Angst vor dem Verschwendungsvorwurf ohne Not abgeschafft wurden. Krisenantworten kommen nur mehr aus der Portokasse. Zahllose Selbsteinschränkungen und Einsparziele haben die öffentliche Hand in einen Starrkrampf geführt – bei stets ausgeglichener Bilanz, auch wenn morgen die Welt untergeht.
Leo Fischer ist Journalist, Buchautor und ehemaliger Chef des Satiremagazins »Titanic«. In seiner Kolumne »Die Stimme der Vernunft« unterbreitet er der aufgeregten Öffentlichkeit nützliche Vorschläge und entsorgt den liegengelassenen Politikmüll. Alle Texte auf dasnd.de/vernunft.
Das Verteilen von Gratifikationen, Geschenken und Einmalzahlungen hat wohl relativ direkt ablesbare Effekte auf die Wähler*innengunst, sonst würde nicht so stark darauf gesetzt. Es befreit die Regierenden auch von der Pflicht, strukturell etwas zu ändern – jede Krise wird mit dem Scheckbuch beantwortet; ob das eigene odiose Handeln sie begünstigt oder hervorgebracht hat, muss dann gar nicht mehr diskutiert werden.
Ideologisch steht dieser Geschenkestaat dem neoliberalen Wirtschaftsleben viel weniger fern, als man annehmen könnte. Kopiert er doch dessen Strukturen, mit seinen Zielvereinbarungen, Boni und leistungsabhängigen Zuschlägen. Kollektive Ansprüche werden durch diese Strategie individualisiert, zur Disposition gestellt und an freiwillige Selbstausbeutung gekoppelt – wer den Bonus nicht kriegt, hat eben nicht clever genug verhandelt, sich nicht richtig angestrengt oder war nicht innovativ genug. Noch wurden bei den staatlichen Geschenken nur Bevölkerungsgruppen »vergessen«, aber es ist damit zu rechnen, dass das Erfolgsmodell Einmalzahlung bald an bestimmte Demografien gekoppelt wird, von denen man garantiert weiß, warum sie es besonders verdient haben. Die Partikularisierung der Öffentlichkeit, in der fast alle Lobbyisten ihrer selbst sind, und die Beschleunigung der Aufmerksamkeitsökonomie werden diese Tendenz noch verstärken: Auch Gewerkschaften und zivilgesellschaftliche Einrichtungen wollen schließlich kurzfristige Erfolge vorweisen können, und was wäre kurzfristiger als eine Einmalzahlung? Der »fördernde« Staat ist ja ebenfalls Teil des neoliberalen Modells: Er gibt Startups Kredite, unterstützt eine Beratungsstelle zwei Jahre lang oder gibt einem Sportverein einen Zuschuss, wird aber nur ungern institutionell und verbindlich, denn das würde ja das freie Spiel der Kräfte gefährden.
So wird am Ende der ausverkaufte Staat zu einem stets gerade noch gekitteten, gerade noch geretteten, zusammengehalten durch Moltofill, Bauschaum und Kreppklebeband – und verwandelt sich durch neoliberale Maßnahmen zu genau dem Zerrbild, das seine neoliberalen Kritiker*innen von ihm zeichnen.
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