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  • Berlin
  • Rassismus in der Justiz

Unschuldig verurteilt

Ein Strafbefehl wegen unerlaubten Aufenthalts erweist sich als unhaltbar

  • Nora Noll
  • Lesedauer: 5 Min.

Es ist ein Freispruch mit bitterem Beigeschmack. Denn er beendet ein Verfahren, das es gar nicht hätte geben dürfen. Am Dienstagvormittag hat das Amtsgericht Tiergarten den Strafbefehl gegen Abubacarr Fofana aufgehoben. Der 24-Jährige war zuvor im Schnellverfahren wegen unerlaubten Aufenthalts verurteilt worden. Und das, obwohl seine Papiere durch eine Übergangsfrist der Berliner Ausländerbehörde noch gültig waren.

Selbst die Richterin kann Abubacarr Fofanas Geschichte anfangs nicht glauben, fragt mehrmals nach. Am 21. Juni wird Fofana im Görlitzer Park von der Polizei kontrolliert und zeigt seinen Aufenthaltstitel vor. Der ist seit Anfang Mai abgelaufen, für die Verlängerung hat der 24-Jährige aus Gambia bereits im April einen Termin bei der Ausländerbehörde vereinbart. In der Zwischenzeit bleibt sein Ausweis gültig – so steht es auch auf der Terminbestätigung des Landesamtes für Einwanderung. »Aber die hatten sie nicht dabei?«, fragt die Richterin. »Doch, zu 100 Prozent«, erwidert Fofana.

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»Der Polizist meinte zu mir, du bist illegal und nicht im System«, erinnert er sich. Die Beamten behalten seine Papiere ein und verpflichten ihn, in drei Tagen bei der Ausländerbehörde vorzusprechen. Weil das seinen eigentlichen Termin im Juli gefährdet, bittet er den Beamten, den Pflichttermin auf denselben Tag im Juli zu legen. »Er meinte dann, das ist ein demokratisches Land, er kann das nicht tun.«

Bis hierhin haben wir es nach Fofanas Erzählung mit einem klassischen Fall von Racial Profiling an einem sogenannten kriminalitätsbelasteten Ort (KBO) zu tun: Weiße Menschen am Haupteingang des Görlitzer Parks seien nicht kontrolliert worden, nur er und sein ebenfalls Schwarzer Freund. Aber es geht noch weiter.

Fofana fährt mit seiner Frau Jennifer Piasecki zusammen zur Polizeiwache, um die Rückgabe seiner Papiere einzufordern. »Ich habe nichts Schlimmes erwartet«, erzählt Piasecki, deshalb hätten sie ihre zwei gemeinsamen Kinder von der Kita aus einfach mitgenommen. Aber die Beamten rücken den Ausweis nicht heraus, im Gegenteil. »Einer meinte zu meinem Mann, du bist nicht ehrlich mit uns, du verkaufst seit Jahren Drogen.« Das stünde auch im Führungszeugnis, heißt es weiter. »Mein fünfjähriger Sohn hatte danach Albträume«, sagt Piasecki. »Er hat immer wieder gefragt, was der Papa denn gemacht hat.« Das Paar besorgt sogar Fofanas Führungszeugnis beim Bürgeramt, so sehr verunsichert sie die Behauptung des Beamten. Es ist frei von Einträgen. Die Dokumente, die Fofanas berechtigten Aufenthalt beweisen, schauen sich die Beamten des Polizeiabschnitts 53 laut Piasecki nicht an.

Stattdessen erstattet die Polizei Anzeige wegen unerlaubten Aufenthalts. Diese Anzeige wird von der Staatsanwaltschaft nicht als unbegründet fallengelassen, sondern zu einem Strafbefehl gedeichselt, den eine Amtsrichterin unterschreibt. Ohne Hauptverhandlung und dementsprechend ohne Anhörung verurteilt sie damit Fofana zu 25 Tagessätzen. Fofana legt Einspruch ein.

Seine Anwältin Ilil Friedman macht das gesamte Verfahren fassungslos. »Dieser Strafbefehl hätte nicht zustande kommen dürfen«, wirft sie dem Gericht vor. Selbst ohne Termin zur Verlängerung des Aufenthaltstitels wären die Bedingungen zur Strafbarkeit nicht erfüllt: Eine Person muss zusätzlich ausreisepflichtig und die Frist zur Ausreise abgelaufen sein, um sich wegen unerlaubten Aufenthalts strafbar zu machen. »Ihm wurde etwas vorgeworfen, was überhaupt nicht vorliegt«, so Friedman. »Das ist dann wohl rechtlich nicht die richtige Hausnummer«, gibt auch die Richterin zu. Selbst die Staatsanwaltschaft geht im Abschlussplädoyer davon aus, »dass man alles im Vorfeld durch andere Umgangsformen der Polizei hätte klären können«. Fofana wird freigesprochen.

»Jetzt tun sie so, als hätten sie große Gnade walten lassen«, sagt Biplab Basu am Ende. Er hat als Teil der Opferberatungsstelle Reach Out Fofana im Verfahren begleitet und auf den Skandal öffentlich aufmerksam gemacht. »Eigentlich müsste die Polizei kommen und eine Entschädigung anbieten. Das wäre alles nicht nötig gewesen, wenn das System nicht so rassistisch wäre.«

Anwältin Friedman betont, was ein Strafbefehl ohne erfolgreichen Einspruch für Verurteilte bedeuten kann. Selbst bei einer geringen Strafe von unter 90 Tagessätzen gelte man als vorbestraft, sobald eine weitere Strafe egal in welcher Höhe dazukommt – das sei vor allem für Menschen ohne permanenten Aufenthalt gefährlich. Fofana hätte als Vater eines deutschen Kindes noch einen relativ sicheren Status, doch selbst für ihn könnte eine Vorstrafe die nächste Verlängerung gefährden. Und gegen einen Strafbefehl vorzugehen, sei selbst für Deutsche schwierig, so Friedman: Mit zwei Wochen sei die Frist sehr kurz, »viele Menschen wissen gar nicht, worum es sich genau handelt, reagieren vielleicht gar nicht«. Auf diese Weise kämen dann die berüchtigten Ersatzfreiheitsstrafen zustande.

Friedman kann sich vorstellen, dass es öfters zu falschen Verdächtigungen wegen unerlaubten Aufenthalts kommt. »Es gibt einfach keine Termine bei der Ausländerbehörde, viele sind in dieser Situation.« Dennoch sei Fofanas Fall besonders, »auch Kollegen, mit denen ich gesprochen haben, meinten, das kann nicht sein, dass es so weit gekommen ist«. Sie könne sich als Reaktion eine Dienstaufsichtsbeschwerde vorstellen.

Die Polizeikontrolle, mit der Fofanas unberechtigte Strafverfolgung überhaupt begann, wird indes schwierig zu ahnden sein. An einem KBO kann die Polizei systematisch und anlasslos kontrollieren, eine rassistische Motivation ist ihr dabei schwer nachzuweisen. Die aktuelle diskriminierungskritische Polizeistudie empfiehlt, KBOs gänzlich abzuschaffen.

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