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Zusammen gegen die Demokratie
In der vierten Staffel von »Babylon Berlin« haben einfach zu viele kein Problem mit Nazis
Kaum eine Fernsehserie hat hierzulande so viel Renommee in den Feuilletons und Kultcharakter bei zahlreichen Zuschauern und Fans wie »Babylon Berlin«, die inzwischen auf dem Bezahlsender Sky in die vierte Staffel geht, aber erst 2023 in der ARD zu sehen sein wird. Die Verfilmung der Krimi-Romane von Volker Kutscher, die im Berlin der 1920er und 1930er Jahre angesiedelt sind, erfreuen sich großer Beliebtheit und werden mit viel Aufwand und einem beachtlichen Schauspielerensemble inszeniert. Auch in der vierten Staffel, die frei nach Motiven von Kutschers drittem Roman »Goldstein« gedreht wurde, ermitteln wieder Kommissar Gereon Rath (Volker Bruch) und Kriminalassistentin Charlotte Ritter (Liv Lisa Fries). Diesmal geht es um die Berliner Ringvereine, verschobene Sportwetten, organisierte Kriminalität und wilde Bandenkriege. Parallel dazu wird vom Stennes-Putsch erzählt, bei dem die Berliner SA 1931 Gebäude der Nazi-Partei besetzte und versuchte, Hitler als NSDAP-Vorsitzenden zu stürzen. Deshalb wird Gereon Rath in die SA eingeschleust, wo er verdeckt ermittelt, um im Auftrag des sozialdemokratischen Polizeipräsidenten die Nazis zu spalten.
Außerdem geht es um ein Netzwerk demokratiefeindlicher Juristen und mordender Polizeibeamter, die in Berlin ein Selbstjustizsystem aufbauen. Es wird aber auch der aus Staffel drei stammende Handlungsstrang um den charmant vor sich hin wienernden Journalisten Samuel Kattelbach (Karl Markovics) fortgesetzt, der vor Gericht steht, weil er die durch internationale Verträge verbotene Aufrüstung Deutschlands publik machte. Und der mittlerweile in die militärische Raketenforschung investierende Großunternehmer Alfred Nyssen (Lars Eidinger) wird vom amerikanischen Gangster Abe Goldstein (Mark Ivanir) unter Druck gesetzt, um ein gestohlenes Juwel wiederzubekommen, während der Nazi-Kriminalrat Günther Wendt (Benno Führmann) fleißig weiter seine Netzwerke aufbaut.
Während die erste Staffel der Serie vor allem gewalttätige Kommunisten in Szene setzte und Nazis nur am Rande vorkamen, wird in der 1931 spielenden vierten Staffel recht eindrücklich erzählt, wie sich die politische Landschaft der Weimarer Republik stückweise verändert. Als Gereon Rath wegen seiner Ermittlungen offen als vermeintlicher SA-Mann auftritt, erntet er plötzlich nebenbei jede Menge Lob von irgendwelchen Polizeikollegen.
Überhaupt kommen Teile der Berliner Polizei in dieser Staffel ziemlich schlecht weg, denn ganze Einheiten verschwören sich mordend gegen Demokratie und Rechtsstaat. Der letzte Hort der Demokratie gegen die zunehmende Mobilisierung der Nazis und das erodierende Rechtssystem, das in den Hinterzimmern der Polizei und im Gerichtssaal einem autoritären Regime weicht, während die SA fast unbehelligt marodierend durch die Straßen zieht, wird ausgerechnet die Berliner Rote Hilfe. Heute gilt sie Verfassungsschützern als extremistische Vereinigung.
In der Serie bringen die smarten linksradikalen Anwälte im Kampf gegen Staat, Nazis und Kapital aber alle Figuren, die für die gute Sache eintreten, gegen den drohenden Rechtsruck zusammen. Sogar Kommissar Gereon Rath macht fröhlich bei einer illegalen Aktion mit und klaut zusammen mit Genossinnen der Roten Hilfe einem preußischen Schreibtischtäter die als geheim klassifizierten Aufrüstungspläne der deutschen Wehrmacht, um sie vor Gericht als Beweismittel verwenden zu können. Wobei in der spannungsgeladenen Serie weiterhin die Devise gilt: Wenn etwas schiefgehen kann, tut es das auch meist.
Was die historische Genauigkeit angeht, wird bei »Babylon Berlin« zwar darauf geachtet, dass jede Requisite bis hin zum Aschenbecher und der Keksdose stimmt, für politische Zusammenhänge gilt das leider nicht immer. So spielte in der 1929 angesiedelten ersten Staffel die Vierte Internationale eine Rolle, die aber erst 1938 gegründet wurde. Auffällig ist aber jenseits solcher Ungenauigkeiten, dass in der Serie insgesamt kaum Arbeiter vorkommen. Es gibt viele bürgerliche und kleinbürgerliche Charaktere, viele verarmte Lumpenproletarier, vor allem Kinder, aber kaum Vertreter der Arbeiterklasse, die damals hauptsächlich die Berliner Mietskasernen bewohnte.
Vor allem in Staffel vier findet sich keine handlungstragende Rolle, die ein Arbeiter verkörpert. Dagegen spielen unter anderem subkulturelle Kleinunternehmer, Mafiabosse, in die Rüstung investierendes Großbürgertum, kleine und große Beamte, SA-Schläger, mit den Nazis sympathisierender Adel, jede Menge Obdachlose, Sportfunktionäre und Boxer mit. Selbst die KPD-Vorzeigeaktivistin der Serie, die Ärztin Dr. Völcker (Jördis Triebel) ist eine Bürgerliche. Das französische Gegenstück zu »Babylon Berlin«, die Serie »Paris Police 1900«, die auf ähnliche Weise von der Auseinandersetzung des Staates mit der erstarkenden politischen Rechten zur Jahrhundertwende erzählt und dabei ein ganzes historisches Großstadt-Panorama auffächert, wartet dagegen mit jeder Menge Arbeitern auf. An diesem Punkt scheitert »Babylon Berlin« leider mit dem Anspruch, die komplexe soziale, kulturelle und politische Vielschichtigkeit der damaligen Zeit abzubilden.
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