Habecks Gasumlage. Ein Nachruf

Die Ampel-Koalition versucht sich aus einer neoliberalen Verirrung herauszureden. Eine verpeilte Opposition macht ihr das nicht schwer

  • Michail Nelken
  • Lesedauer: 8 Min.

Peinliche Beerdigung

Energiekrise – Habecks Gasumlage. Ein Nachruf

Nach wochenlangem sturem Schönreden der Gasumlage durch Minister Habeck und die Grünen hat sich die Regierungskoalition zwei Tage vor deren Start zu einer peinlichen Ankündigung ihrer Absage durchgerungen. Statt aber einzuräumen, dass diese Idee von Beginn an sozial- wie wirtschaftspolitisch ein untaugliches Vorhaben zur Rettung von Energiekonzernen gewesen war, tischt man der Öffentlichkeit eine absurde Erzählung auf: Man habe bislang auf die Energiekrise richtig und angemessen reagiert, aber nunmehr verlange eine neue Lage andere Maßnahmen. Die neue Lage bestehe darin, dass nicht nur kein russisches Gas mehr nach Deutschland fließe, sondern durch die Sabotage der Nord-Stream-Leitungen auch keine Aussicht (sic.) mehr auf zukünftige Pipeline-Importe bestünde.

Was Scholz, Habeck und Lindner am 29. September als Alternative präsentierten, sollte ein Signal (»Doppelwumms«) an den Markt und die Bevölkerung sein. Ein Plan zur Senkung der hohen Energiepreise war es nicht. Im Gegenteil, die hohen Marktpreise sollen nicht gesenkt, sondern ihre Wirkung auf die Verbraucher vorübergehend »abgefedert« werden. Statt die Energiepreise tatsächlich zu deckeln, hoffte man weiter auf eine Rückkehr »normaler« Marktverhältnisse.

Preiskrise

Die gegenwärtige Gaspreiskrise ist nicht durch Wirtschaftssanktionen und Gegensanktionen nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine verursacht. Sie begann früher und ihre Ursachen liegen tiefer: die deutsche Energiewende, die angekündigte Beendigung des Imports russischen Erdgases bis 2030, die Torpedierung der Inbetriebnahme von Nord Stream 2, die zunehmende Unberechenbarkeit russischer Akteure im Wirtschaftskrieg. Diese und andere Faktoren haben den Gaspreis schrittweise in die Höhe getrieben. Die drastische Verschärfung der Wirtschaftssanktionen gegen Russland als Antwort auf den russischen Überfall auf die Ukraine und die Unsicherheit über russische Gegensanktionen haben dieser Entwicklung einen dramatischen Schub verliehen. Es kam zu einer Preisexplosion auf dem Gasmarkt, die aus einer Verunsicherung der Marktteilnehmer hinsichtlich der zukünftigen Markt- und Preisentwicklung resultierte.

Es gab akut kein Mengenproblem,aber es baute sich ein gewaltiges Preisproblem auf, weil die Ersatzlieferungen um ein Vielfaches teurer sind als das russische Gas. Anbieter des »Ersatzgases« sind Exporteure aus den USA, Norwegen, Holland, aus Nordafrika und dem Nahen Osten. Zusätzliche Käufer sind Energieunternehmen aus Ländern, die bislang russisches Erdgas importierten, vor allem aus Deutschland. Energieunternehmen aus Deutschland haben im Auftrag und mit finanzieller Absicherung der deutschen Regierung mit einer expansiven Einkaufstour die Marktpreise in absurde Höhen getrieben, zulasten der Verbraucher in vielen weniger finanzkräftigen Volkswirtschaften Europas und letztlich auch der deutschen Verbraucher.

Der liberalisierte Gasmarkt ist auf Grund der politischen Vorgaben der Produzent dieser Preisexplosion und zugleich ihr Opfer. Er kann mit ihr nicht wirtschaftlich rational umgehen und droht deshalb zusammenzubrechen. Denn der liberalisierte Gasmarkt ist ein komplexes Netzwerk mit sehr vielen privatwirtschaftlichen Akteuren – Importeuren, Fernleitungsbetreibern, Gasspeicherbetreibern, Hunderten Verteilnetzbetreibern und noch mehr kleinen und großen Gashändlern (Versorgern), die europaweit Gas kaufen und an die Endverbraucher (private Haushalte, große und kleine Unternehmen, Institutionen) verkaufen. Die von der Politik induzierten Preissprünge der letzten Monate stellen die wirtschaftliche Existenz vieler dieser Marktakteure und damit die Stabilität der Energieversorgung infrage.

Schiefe Ebene –
Energiesicherungsgesetz

Die Regierung reagierte im Frühjahr 2022 mit einer Novellierung des Energiesicherungsgesetzes (EnSiG). Laut § 24 kann die Bundesnetzagentur eine erhebliche Reduzierung der Gesamtgasimportmengen nach Deutschland feststellen. Damit erhalten alle unmittelbar oder mittelbar betroffenen Energieversorgungsunternehmen das Recht, ihre Preise gegenüber ihren Kunden auf ein angemessenes Niveau anzupassen. Um Insolvenzen zu verhindern, sollen alle Preissteigerungen sofort weitergereicht werden können.

Gasumlage –
Änderung Energiesicherungsgesetz

Da schnell klar wurde, dass dieses Instrument nicht geeignet war, den Gasmarkt zu stabilisieren, schob die Koalition eine zweite Gesetzesänderung nach. Sie wurde ohne seriöse Aussprache vom Bundestag beschlossen. Diese neuerliche Änderung enthielt u.a. neu den § 26 (Gasumlage). Die Gasumlage stellte eine Überbrückungshilfe für Gasimporteure dar, die russisches Erdgas in ihrem Portfolio haben und es wegen der Lieferausfälle mit Neuverträgen zu hohen Weltmarktpreisen substituieren mussten. Diese Finanzhilfen sollten in der Zeit, bis die Gasimporteure die Preiserhöhungen vollständig an ihre Kunden durchreichen können, die Liquidität der Unternehmen sichern helfen. Mittels der Habeck’schen »Gasversorgungsumlage« sollten die Versorger diese Hilfen finanzieren und sich dieses Umlagegeld bei den Endverbrauchern auf dem Wege von Preiserhöhungen zurückholen. Das Volumen der erforderlichen Hilfe wurde nach den Anmeldungen von zwölf Unternehmen auf circa 34 Milliarden Euro geschätzt.

Warum die Gaskunden diese Überbrückungshilfen zahlen sollen, wo es sich doch um das wirtschaftliche Risiko der Händler und um die Stützung systemrelevanter Infrastruktur handele, ist unbegründet geblieben. Die Behauptung, man wollte die Lasten gerechter auf alle Gaskunden verteilen, verschleiert, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für das direkte Durchreichen der Preissteigerungen, nämlich eine Gasmangellage, gar nicht gegeben sind. Gas ist ausreichend vorhanden, nur ist es viel teurer als das russische. Habeck verschleierte zudem das zentrale ordnungspolitische Motiv für die Gasumlage. Warum sollte nicht der Staat und damit die Gesamtheit der Steuerzahler die Stützung dieser für die Versorgungssicherheit wichtigen Firmen finanzieren?

Auf die Frage, warum er das Energie-Unternehmen Uniper nicht mit direkten Staatshilfen stützen wolle, sondern stattdessen die Gasumlage ersonnen habe, antwortete Habeck, dass direkte Staatshilfen an angeschlagene Unternehmen keine Lösung seien, denn eine dauerhafte Finanzierung durch den Staat sei »kein Geschäftsmodell«.

Bei genauer Betrachtung offenbart sich der Hintergrund des scheinbar so widersinnigen Agierens von Habeck und Lindner. Sie wollten unbedingt eine Stützung des Gasmarktes und der Konzerne mittels marktverträglicher Instrumente. Darauf drängten bei Habeck nicht nur die Banken und Ratingagenturen, sondern auch die Verbände der Energiewirtschaft. Direkte Eingriffe des Staates in die Preise am Gasmarkt und eine Staatssteuerung der Versorgung statt eines versorgenden Gasmarktes sollten unbedingt vermieden werden. Denn dies könnte die Funktionsfähigkeit der Energieversorgung über Märkte grundsätzlich infrage stellen.

Die Umlage sollte nicht vom Staat vereinnahmt werden, sondern ist quasi ein marktinterner Stabilisierungsbeitrag zulasten Dritter. Geplant war also eine Risikoabschirmung per Gesetz für einige Gashandelsunternehmen mittels Preisgarantien zulasten aller Gaskunden. Die von der Garantie Begünstigten wären die Anteilseigner von drei, vier großen Energieunternehmen.

Uniper-Verstaatlichung –
Gasumlage scheitert

Letztlich kommt es, wie es kommen musste. Habeck und Lindner sind mit ihrem starrsinnigen Versuch gescheitert, die Importeure mit »Marktmitteln«, statt mit direkter staatlicher Intervention zu stabilisieren. Uniper war über die aus der Gasumlage zu finanzierenden Einnahmegarantien nicht zu retten und wird verstaatlicht. Wenn der Staat zu 99 Prozent Eigentümer von Uniper ist, würde die Gasumlage, die zu zwei Drittel in die Kassen von Uniper fließen sollte, zur gesetzlich verordneten Abgabe zu Gunsten eines Staatsbetriebes. Da äußerten nun auch Habeck und Linder »rechtliche« Bedenken. Dass die zusätzliche Verteuerung der Gaspreise durch die Gasumlage angesichts der ohnehin zerstörerischen Preisentwicklung eine neoliberale Verirrung war, weigern sich die Ampel-Parteien zuzugeben. Habeck und die Ampel-Koalition schwätzen sich aus dem Gasumlage-Desaster heraus. Eine verpeilte Opposition macht ihnen das nicht schwer.

Und Die Linke?

Der neoliberale wirtschaftspolitische Kerngehalt der Gasumlage war für Die Linke lange kein Thema. Am 10. September fasst der Parteivorstand einen Beschluss über einen »Heißen Herbst gegen soziale Kälte«. Dabei wird der Blick auf die tieferliegende und globale Wirtschafts- und Systemkrise gerichtet. Aber zwei Tage zuvor hatte Sahra Wagenknecht in der Haushaltsdebatte des Bundestages eine engsichtige Rede gehalten, die einen weitgehend substanzlosen Flügelstreit mit und um Wagenknecht auslöste, der die richtigen Ansätze des Vorstandsbeschlusses politisch unsichtbar machte.

In dieser Leerstelle war es Wagenknecht möglich, sich als radikale Kritikerin der Regierungspolitik in der Gas- und Energiekrise darzustellen, die sie aber gar nicht ist. Denn sie echot und verstärkt vielmehr die trivialen Erklärungs- und Rechtfertigungsmuster von Habeck und der Bundesregierung: Putin sei an der Gas- und Energiekrise schuld, sagt die Regierung. Putin, der vom Westen verprellte Kreml-Chef, sei die Schlüsselfigur für eine Problemlösung, sagt Wagenknecht. Mit ihm müsse man reden, um ihn zu bewegen, »uns« (?) wieder Gas zu liefern. Abgesehen davon, dass diese Sicht intendiert, es gehe um einen Konflikt zerstrittener Politiker oder Regierungen und nicht um einen strategischen Interessenkonflikt von Großmächten, wird realitätsfremd unterstellt, dass »wir« in Deutschland zu den guten alten Zeiten des massenhaft vorhandenen, billigen Erdgases aus Russland zurückkehren könnten. Dann sei wieder alles gut, »unsere« Wirtschaft und »unser« Wohlstand wären gerettet.

Tatsächlich ist das Problem viel umfassender und von grundsätzlicher Natur. Vor dem Hintergrund der Klimakrise und der Endlichkeit der fossilen Energieressourcen befinden sich die deutsche, die europäische und die Weltwirtschaft in einem Transformationsprozess, der mit vielen Umwertungsprozessen und Verwerfungen verbunden ist. Erst vor diesem Hintergrund erfuhr die gegenüber Russland verfolgte Abgrenzungsstrategie wegen des russischen Überfalls auf die Ukraine eine Dynamisierung und Komplexität, die die Fähigkeiten der deutschen Regierungspolitik offensichtlich überfordert. Die EU und der nordatlantische Westen zeigen sich nicht in der Lage, die durch ihr Tun forcierte Energiekrise sozial zu bewältigen. Vielmehr beschwören die verantwortlichen Politiker eine globale Wirtschaftskrise herauf.

Dies wird begleitet von einer Krise des westlichen politischen Systems. Eine demokratische sozialistische Politik kann in dieser Situation nicht auf die Restauration einer illusionären Vergangenheit eines sozialstaatlichen Wachstumskapitalismus weniger Nachkriegsjahrzehnte im 20. Jahrhunderts gerichtet sein. Die demokratische Linke sollte sachkundige Lösungen für eine politische Steuerung dieses unausweichlichen globalen Transformationsprozesses erarbeiten – von der quantitativen Wachstums- und Verbrauchsgesellschaft zu einer Entwicklungsgesellschaft, die ihre natürlichen und gesellschaftlichen Lebensbedingungen sozial gerecht und ökologisch nachhaltig reproduziert. Und sie sollte diese Lösungen überzeugend in die gesellschaftliche Debatte einbringen. Ansonsten macht man den Weg frei für rückwärtsgewandten Populismus aller Couleur.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.