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Vorboten eines Wandels
Zwei Streitschriften für mehr Klimagerechtigkeit von Ende Gelände und Zucker im Tank
Die Klimabewegung hat die 68er-Bewegung und die gegen die Atomkraftwerke längst in den Schatten gestellt hinsichtlich ihrer Mobilisierungsfähigkeit. Sie reicht von Nichtregierungsorganisationen bis hin zu Kleingruppen und Zusammenschlüssen, die fossile Infrastruktur und Autobahnen blockieren. Zwei Netzwerke, die den radikaleren Teil der Klimabewegung repräsentieren – Ende Gelände und Zucker im Tank – sind jetzt mit Büchern an die Öffentlichkeit getreten, in denen sie ihr Handeln reflektieren und ihre Ideen zur Diskussion stellen.
Es handelt sich um zwei seit mehreren Jahren zusammenarbeitende Bündnisse der radikalen Klimabewegung, die zum Beispiel mit Wald- und Baggerbesetzungen fossile Infrastruktur blockieren, zu massenhaftem zivilem Ungehorsam und direkten Aktionen aufrufen. Sie haben vor allem das Rheinische Braunkohlerevier und den Hambacher Forst zu einem internationalen Symbol der Zerstörung von Natur und des Widerstands dagegen gemacht. In »We shut shit down« und »Glitzer im Kohlestaub« reflektieren sie ihr Handeln.
Konzerne, Polizeibehörden und Verfassungsschutz sowie viele Politiker betrachten sie als Staatsfeinde, viele Umweltschützer dagegen sehen sie als moderne Heldinnen und Helden: Klimaktivisten, die für die gute Sache dosierte Gesetzesbrüche begehen. Mit ihrer ersten Aktion des zivilen Ungehorsams 2015, der Besetzung der Braunkohlegrube Garzweiler im Rheinischen Revier, hat die Initiative Ende Gelände den Braunkohletagebau als schmutzigsten fossilen Energieträger im Bewusstsein der Öffentlichkeit verankern können. Kein Medium konnte sich den Bildern verweigern: Mehr als 1000 Aktivistinnen und Aktivisten in weißen Maleranzügen waren in die Grube gestürmt und hatten riesige Braunkohlebagger blockiert: kleine weiße Punkte vor riesigen Stahlkolossen, David gegen Goliath.
Diskursintervention heißt diese Taktik beim Autor*innenkollektiv von Ende Gelände. Und diese Intervention war durchaus erfolgreich: Vielleicht nicht legal, aber legitim sei der Protest, meinte sogar der ARD-Energieexperte damals in der »Tageschau«. Bis zur Pandemie folgten Dutzende dieser Aktionen, auch im Braunkohlerevier der Lausitz.
Es gibt einige packende Erlebnisberichte im Buch von Ende Gelände, es überwiegen aber die nachdenklichen Kapitel. Es geht um Klimagerechtigkeit. Nicht alle Menschen sind gleichermaßen betroffen: Arme im Süden mehr als Reiche im Norden. Umgekehrt die Verursacher. Ökologische und soziale Fragen seien folglich untrennbar miteinander verknüpft und innerhalb eines kapitalistischen Wirtschaftssystems nicht zu lösen.
Auch im Buch von Zucker im Tank, kurz ZimT, die mit gut geplanten Kleingruppenaktionen in Erscheinung treten, wird über Kolonialismus im Kontext der Klimabewegung reflektiert. ZimT versteht sich als Teil einer globalen Widerstandsbewegung, verweist auf die großen Bewegungen im Globalen Süden, die schon seit vielen Jahrzehnten gegen Umweltzerstörung, Verdrängung und Vernichtung ihrer Lebensgrundlagen kämpfen und dafür häufig mit dem Leben bezahlen. Ausführlich geht es um Waldbesetzungen, Polizeirepression, Strafverfolgung und die Konsequenzen. Die Aktivist*innen setzen auf Solidarität, auch um ihren eigenen Burn-out zu verhindern.
Und wie einst Ferdinand Lassalle, einer der Wortführer der frühen Arbeiterbewegung im 19. Jahrhundert, nutzen ZimT-Aktivistinnen Gerichtstermine für politische Aufklärung. »Müssen wirklich diejenigen bestraft werden, die durch ihre Aktion einen kleinen Teil des Schadens verhindert haben, den der fossile Dinosaurier RWE jeden Tag anrichtet?«, fragen sie beispielsweise ihre Ankläger und Richter. Sie formulieren zum Teil mehrere Hundert Seiten Beweisanträge, benennen Expert*innen als Zeugen und berufen sich auf den Paragrafen des »Rechtfertigenden Notstands« aus dem Strafgesetzbuch.
Manchmal konnten sie damit Schlagzeilen machen; einmal erteilte ein Richter dem Stromriesen RWE einen Rüffel in seiner Urteilsbegründung. Aber moralische Appelle haben RWE und Konsorten nicht geläutert – ebenso wenig wie Beiträge in der »Tagesschau«.
Trotz des Pariser Klimaabkommens steigen die Emissionen der Treibhausgase unaufhörlich weiter. Wer wissen will, welche Möglichkeiten es gibt, diese zu bremsen, kommt an der Lektüre dieser beiden Bücher nicht vorbei. Ähnlich wie die Bewegung gegen Sklaverei und Rassismus oder die für Frauenrechte sind sie die Vorboten eines tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandels.
Ende Gelände: We shut shit down. Nautilus,
208 S., br., 16 €.
Zucker im Tank (Hg.): Glitzer im Kohlestaub. Vom Kampf um Klimagerechtigkeit und Autonomie. Assoziation A, 416 S., br., 19,80 €.
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