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Der kommende Bruch
Die Proteste werden den Iran mit Sicherheit verändern, unklar bleibt dagegen die politische Zukunft
Es war eine bemerkenswerte Szene, die sich am Mittwochmorgen am Teheraner Flughafen Imam Khomeini abspielte. »Elnaz, du bist unser Champion«, skandierte eine Menschenmenge vor dem Terminalgebäude, dort, wo normalerweise uniformierte Polizisten und Männer in dunklen Anzügen über alles wachen. Doch auf den Bildern sind diese nirgendwo zu sehen, was nicht bedeutet, dass sie nicht da waren. Aber man ließ die Solidaritätskundgebung für die Sportkletterin Elnaz Rekabi laufen. Rekabi war bei einem Wettkampf in Südkorea ohne Kopftuch angetreten und dann am Mittwoch in den Iran zurückgekehrt, wo seit Wochen Proteste historischen Ausmaßes stattfinden.
Der normale Gang der Dinge wäre gewesen, dass man Rekabi vom Rollfeld an einen unbekannten Ort bringt und die staatliche Propaganda, falls nötig, ihr Ding machen lässt. Doch viele Iraner*innen kennen Wege, sich trotz Internetsperren und Zensur Informationen aus dem Ausland zu beschaffen. Und den Statements von Regierung und Ajatollah Khamenei, dem Obersten Führer, glauben mittlerweile nicht einmal mehr jene Journalist*innen, die die Propaganda bislang ungefragt verbreitet hatten. »Das sind unsere Schwestern, Mütter, Tanten, Kolleginnen, die demonstrieren«, sagt ein Redakteur der staatlichen Nachrichtenagentur Irna, der mittlerweile seinen Job gekündigt hat. »Und dann kommt da eine Pressemitteilung, nach der die Menschen, mit denen wir unser Leben verbringen, plötzlich Terroristinnen und Aufrührerinnen sein sollen?« Viele hätten gekündigt, seien gefeuert oder gar festgenommen worden. Mitarbeiter*innen anderer Medien erzählen, sie versuchten, die Zensoren zu überlisten, indem sie möglichst viele Nachrichten produzierten oder Meldungen durch Rechtschreibfehler bewusst unglaubwürdig machten.
Ist das der Beginn einer Revolution? Ganz sicher ist es nahezu unvorstellbar, dass die derzeitig politisch Mächtigen aus dieser Situation herauskommen und so weitermachen können wie bisher. »Man kann Proteste niederschlagen, die Demonstrierenden töten und dann hat man vielleicht keine Leute mehr auf der Straße«, sagt Mojtaba Purbakhsch, der bis vor Kurzem eine Sportsendung moderierte und gehen musste, nachdem er sich vor laufender Kamera auf die Seite der Protestierenden gestellt hatte. »Gedanken und Wünsche kann kein noch so repressives Regime wegbekommen. Frauen werden immer selbst über ihr Aussehen entscheiden wollen. Und jeder will immer seine Meinung sagen wollen.«
Alle iranischen Gesprächspartner*innen setzen auf eine simple Lösung: Ajatollah Khamenei könne sofort anordnen, dass die strengen Vorschriften nicht mehr durchgesetzt werden. Und Präsident Ebrahim Raisi, im Juni 2021 mit denkbar niedriger Wahlbeteiligung gewählt, müsse den Weg für Neuwahlen frei machen, zu denen möglichst viele Kandidat*innen zugelassen werden. Dann könne man sich gemeinsam mit dem Parlament Gedanken über die politische Zukunft machen.
Diejenigen, die im Iran derzeit die Fäden der Tagespolitik in der Hand halten, sind stark überaltert: Kaum jemand ist unter 60, alle entstammen dem Klerus, und sie sind überwiegend von Menschen umgeben, die sich genauso wie sie selbst an die Ideologie der Islamischen Revolution klammern. »Der einfachste Weg wäre wohl, sich einzugestehen, dass diese Ideologie nicht mehr funktioniert, weil sie von den Menschen einfach nicht mehr unterstützt wird«, sagt Mostafa Haschemi Taba, der in den 90er Jahren Vizepräsident unter Akbar Haschemi Rafsandschani war. »Nicht nur die Kopftuchpflicht muss abgeschafft werden. Wir brauchen bessere und kritischere Informationen, eine moderne Justiz und Politiker, die auf die Gesellschaft hören und nicht umgekehrt«, fährt er fort. Das sei auch wichtig, um die enormen strukturellen Probleme des Landes in den Griff zu bekommen: Probleme, die dringend erledigt werden müssten, wie der akute Wassermangel in vielen Regionen, dauern wegen der verkrusteten Strukturen Ewigkeiten an oder werden nie angegangen.
Doch vieles deutet darauf hin, dass Regierung und Ajatollah Khamenei immer noch glauben, dass sich die Proteste und der damit verbundene Wunsch nach Freiheit bald von selbst erledigen werden. Wenn die Leute nicht gar zu prominent sind, setzt man auf Gewalt, Festnahmen, Todesstrafe und Propaganda – bisher vergeblich, denn Opfer entfachen die Wut nur weiter, bringen mehr Menschen auf die Straße.
Wie unbeweglich die Politik auch sein mag: In naher Zukunft wird zwangsläufig ein Bruch erfolgen. Denn Khamenei ist mittlerweile 83 Jahre alt, und wer oder was nach ihm kommen wird, ist völlig offen. Angesichts der Proteste hat die Frage eine besondere Bedeutung erlangt. Alle, die sich bislang für das Amt in Stellung gebracht haben, sind entweder für die Bevölkerung oder für die Revolutionsgarden akzeptabel.
Diese hochgerüstete militärische Truppe hat vor allem die Aufgabe, den Fortbestand der Islamischen Republik sicherzustellen. In den vergangenen Jahrzehnten sind die Revolutionsgarden zudem zu den Haupt-Protagonisten in vielen Konflikten im Nahen Osten und zu Eignern vieler Wirtschaftsbetriebe geworden. Wann immer Beobachter*innen über die Zukunft des Iran diskutieren, wird das Szenario, dass die Führung der Revolutionsgarden selbst die Macht übernehmen könnten, als zumindest möglich eingestuft. Allerdings dürften die Proteste der Frauen auch an vielen Soldaten der Garden nicht emotionslos abprallen, immerhin lebt man in dieser Gesellschaft. Und so könnte es auch passieren, dass die Disziplin innerhalb der Revolutionsgarden bröckelt und der Handlungsspielraum der Führung so eingeschränkt wird.
Dass es abrupt zu einem Systemwechsel kommen wird, ist indes, Stand heute, unwahrscheinlich. Denn es gibt keine organisierten Strukturen, keine Konzepte für ein neues Regierungssystem, jedenfalls noch nicht. Und die Organisationen mit Sitz im Ausland, von denen eine, die Volksmodschahedin, auch eine Exil-Regierung gebildet hat, sind im Iran selbst kaum bekannt. Und ob ihre Vorstellungen auf großen Rückhalt stoßen würden, steht auf einem anderen Blatt.
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