- Kultur
- Krisen
Eine Zukunft in dieser Gegenwart?
Die Zukunft sieht nicht so rosig aus. Klima, Krieg, nächste Pandemie. Aber wieso macht keiner was dagegen?
Ob Coronavirus, Erderwärmung, demografischer Wandel oder ein von Wachstum abhängiges Wirtschaftssystem bei endlichen Ressourcen: Das kapitalistische Patriarchat ist in eine Phase eingetreten, in der immer offensichtlicher wird, wie unhaltbar der Verzicht auf Gestaltung der Zukunft ist. Zum dritten Mal in Folge schlittern wir in einen Seuchenwinter, der von der Blockade sinnvoller und verhältnismäßiger, eigentlich jedem Menschen potenziell einleuchtender Gegenmaßnahmen geprägt ist. Seit Wochen steigen die Krankenstände aufgrund von Covid und grippaler Infekte. Uns steht die geballte Macht epidemiologischen Wissens zur Verfügung. Doch die wegen des Krankenstands ausfallenden Bahnen werden uns als Ergebnis »kurzfristiger Erkrankung des Personals« präsentiert. Junge, hast du mal auf‹n Tacho geguckt?
Die Kurzfristigkeit und Plötzlichkeit, mit der in dieser Gesellschaft immer vermeintlich zuvor unwägbare Betriebsunfälle die Alltage und Lebenspläne von Menschen durchkreuzen, steht in direktem Widerspruch zu den umfänglichen Erklärungs- und Voraussagemöglichkeiten der institutionalisierten Wissenschaften. Noch nie in der Geschichte hat systematische Produktion begründbaren Wissens solche Ausmaße erreicht. Und trotzdem haben sich die Fähigkeiten der Menschheitsgesellschaft, dieses Wissen zu einer nützlichen Einrichtung der Umstände, des Wirtschaftens und des Miteinanders einzusetzen, immer mehr verringert. Mehr von akuter Not als von Weitsicht getrieben und höchstens behelfsmäßig werden die Parameter in kurzweiliger öffentlicher Aufmerksamkeit tobender Krisen bearbeitet.
So nehmen wir die in Lautsprecherdurchsagen kundgetanen Lügen, wonach etwa die nächste Zugverspätung – leider – von einer Baustelle oder überholendem Fernverkehr verursacht worden sei, so achselzuckend hin wie den Tod von Menschen, die an überfüllten Notaufnahmen abgewiesen werden. Immerhin, könnten uns derlei Umstände denken lassen, mussten sie nun nicht den Rest ihres jämmerlichen Daseins weitgehend sich selbst überlassen, in einer Verwahranstalt für absehbar verendende, ehemalige Arbeitskraftcontainer fristen – übersät von Druckgeschwüren von zu langem Liegen und gepeinigt von wunden Pos, weil keiner mehr den Toilettengang assistiert.
Im Angesicht des menschheitlichen Scheiterns an der minimalsten Verhütung von ansonsten längst eintretenden, verheerenden Veränderungen unserer Lebensumwelt stehen die Zeichen mal wieder auf Krieg um gekränkte Egos und das Prestige von Nationen. Die reiben sich lieber an selbst ausgedachten Pseudoproblemen auf, wenn sie sich dafür wenigstens nicht ihren echten stellen müssen. Aus demselben Prinzip fackeln irgendwelche Kartoffeln Heime voll ukrainischer Flüchtlinge ab. Ganz so, als wäre nicht genug für alle da, als wäre die Erde nicht längst ein Garten Eden, aus dem wir uns nur selbst ausgesperrt und das auch noch mit durchgeknallten Hirngespinsten vor uns gerechtfertigt haben.
Die aufgeklärte Gesellschaft gleicht dem Frosch im Wasserbad, das sich langsam aber sicher erhitzt. Die Wärme macht sich daran, seine Eiweiße zu desintegrieren, seine Lebenssubstanz im ganz handfesten Sinne in den Aggregatszustand flockigen Breis zu überführen. Wie bei Sojamilch in zu saurem Kaffee. Unsere Fixierung auf das Kurzfristige, den Gewinn, auf sich ergebende Möglichkeitsfenster wechselseitiger menschlicher Instrumentalisierung in einem Leben, das sich zunehmend allumfänglich im Gewand eines Marktes präsentiert, nimmt uns die Sicht auf das Offensichtliche. Die Autorin Elisa Aseva hat recht, wenn sie wie beiläufig bemerkt, dass eine Zukunft im Kapitalismus nicht möglich ist, dass es einen kommunistischen Gegenentwurf braucht. Die bisherigen, stets geboren aus Krieg, Hunger und Kälte, haben wir beeindruckend übel vor die Wand gefahren. Vielleicht ist Revolution gar nicht der Griff an die Notbremse. Vielleicht einigen wir uns auf das Bremspedal. Auch wenn dabei, natürlich, auf uns geschossen werden kann.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!