Blockaden und Kompromisse

Auf dem EU-Gipfel sperrt Deutschland sich weiter gegen einen Gaspreisdeckel

  • Fabian Lambeck, Brüssel
  • Lesedauer: 5 Min.

Ein EU-Gipfel in Brüssel bedeutet immer ein bisschen Ausnahmezustand für die belgische Metropole. Wenn die 27 Staats- und Regierungschefs im Europaviertel zusammenkommen, gilt Alarmstufe Rot: Stacheldrahtsperren, blockierte Straßen und schwer bewaffnete Polizisten. In diesen Tagen passt diese martialische Kulisse zur brisanten Lage. Die EU steckt in einer existenziellen Krise, denn die explodierenden Energiepreise setzen die Regierungen von Tallinn bis Lissabon unter Druck. In dieser brenzligen Situation liegen die Nerven bei vielen Akteuren blank. Ausgerechnet das Machtzentrum Europas ist tief zerstritten: Paris und Berlin finden derzeit kaum einen gemeinsamen Nenner. Deutlichstes Zeichen der Entfremdung ist die Absage des deutsch-französischen Ministertreffens, das in der kommenden Woche im französischen Fontainebleau stattfinden sollte. Nun wird der Gipfel wegen »logistischer Probleme« in den Januar verlegt. Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron soll immer noch verschnupft sein, weil Bundeskanzler Olaf Scholz ihn nicht in die Pläne für das »Doppelwumms« genannte 200 Milliarden Euro schwere Entlastungspaket eingeweiht hatte. Zudem gibt es Streit um Rüstungsprojekte. Schwerer wiegen aber die Differenzen in der Energiepolitik.

Trotz oder gerade wegen der Differenzen setzten sich Macron und Scholz am Donnerstag vor Gipfelbeginn zusammen. Auf dem Weg zum Treffen hatte Macron mit Blick auf Deutschland gewarnt: »Ich denke, dass es nicht gut ist, wenn sich ein Land isoliert«. Die Kritik des Präsidenten richtete sich gegen Deutschlands Blockadehaltung in der Energiepolitik. Berlin sperrte sich bislang sowohl gegen den von vielen EU-Staaten geforderten Gaspreisdeckel als auch gegen einen gemeinsamen Gaseinkauf von EU-Staaten. Frankreich fordert zudem ein neues EU-Kreditprogramm für die Mitgliedsstaaten und wird dabei von einigen Kommissaren unterstützt. Scholz lehnt das ab und blieb seiner Linie auch auf dem Brüsseler Gipfel treu.

Frankreich hingegen blockiert die Pläne für die MidCat-Pipeline, die spanische und portugiesische Flüssiggas-Terminals mit Frankreich und Mitteleuropa verbinden soll. Auch Deutschland würde so an dringend benötigtes Gas kommen. Unmittelbar vor Beginn des Gipfels platzte dann die Bombe: Frankreich, Spanien und Portugal wollen statt MidCat eine Unterwasserpipeline von Barcelona nach Marseille bauen. »Wir haben uns darauf geeinigt, das MidCat-Projekt durch ein neues Projekt, den grünen Energiekorridor, zu ersetzen, der die Iberische Halbinsel mit Frankreich und damit mit dem europäischen Energiemarkt verbinden wird«, erklärte Spaniens Premierminister Pedro Sanchez am Donnerstag. Allerdings ist das Projekt noch in der Planungsphase. Zu einer mittelfristigen Entspannung der Versorgungslage dürfte die neue Pipeline kaum beitragen. Die MidCat-Leitung hätte wohl innerhalb eines Jahres gebaut werden können.

Doch immerhin konnten in der Nacht zum Freitag erste Kompromisse gefunden werden. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sprach später von einem »sehr guten Fahrplan«. Offenbar wurde hinter den Kulissen hart gerungen, die Verhandlungen zogen sich über mehr als 11 Stunden. Dabei ist der beschlossene »Fahrplan« nicht viel mehr als Absichtserklärung mit unscharfen Formulierungen, die den Regierungen viel Spielraum lassen. So soll zukünftig eine »freiwillige gemeinsame Beschaffung von Gas« möglich sein, wie es in der Erklärung des Rates heißt. Allerdings soll der Einkauf »von 15 Prozent des Speicherbedarfs« verpflichtend für alle sein. Bundeskanzler Scholz nannte das »einen guten Fortschritt«. Noch ist aber nichts beschlossen. Die Details sollen die Energieminister bei ihrem Treffen in der kommenden Woche festzurren. Erst dann wird sich zeigen, wessen Agenda sich tatsächlich durchsetzen kann.

In den Verhandlungen über einen Gaspreisdeckel hat Deutschland die Oberhand behalten. Berlin sperrt sich gegen eine solche Obergrenze, wie sie etwa Frankreich oder Spanien fordern. Statt eines Preisdeckels soll es »einen befristeten dynamischen Preiskorridor für Erdgasgeschäfte« geben, »um Phasen exzessiver Gaspreise unmittelbar zu begrenzen«, wie es in dem Ratspapier heißt. Damit folgte man weitgehend dem Vorschlag der Kommission. Wobei unklar ist, wie dieser Korridor ausgestaltet sein soll. Für den Kanzler ist nur wichtig,»dass es nicht durch willkürlich festgesetzte Preise unmöglich ist, Gas zu bekommen«. Deutschlands Speicher sind nämlich so gut gefüllt, weil Berlin bereit ist, jeden Preis zu zahlen. Ein Deckel würde Deutschlands Wettbewerbsvorteil zunichtemachen. Energiekonzerne und Spekulanten dürfen also aufatmen: Eingriffe in den liberalisierten Strommarkt wird es so schnell nicht geben. Die EU-Staaten bitten die Kommission lediglich, »die Arbeit an der Strukturreform des Strommarktes zu beschleunigen«.

Am Freitag widmeten sich die Staats- und Regierungschefs einem weiteren brisanten Thema: Im Rahmen einer »strategischen Diskussion« sprach man über die Beziehungen zu China. Der Pressesprecher des Ratspräsidenten forderte alle Teilnehmer via Twitter auf, ihre Smartphones draußen zu lassen. Offenbar fürchtete man, Peking könnte mithören, was dort besprochen wurde. Bereits am Montag hatten die EU-Außenminister ein China-Papier des Auswärtigen Dienstes (EEAS) besprochen. Darin heißt es unter anderem: »Chinas Aktivitäten und Positionen in multilateralen Organisationen zeigen seine Entschlossenheit, systematisch eine alternative Vision der Weltordnung zu fördern«. Der EEAS und sein Chef Josep Borrell fordern eine härtere Gangart gegenüber Peking und werden dabei von einigen EU-Staaten unterstützt. Deutlich zurückhaltender zeigt sich Deutschland. Kein Wunder, bei einem Handelsvolumen von mehr als 246 Milliarden Euro will man in Berlin keine voreiligen Schritte. Erst recht nicht so kurz vor der geplanten Chinareise des Kanzlers. Am 4. November fliegt Scholz nach Peking, um dort Staatschef Xi Jinping zu treffen. Nicht nur die EU sucht nach einer neuen China-Strategie, auch die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock lässt derzeit einen Entwurf erarbeiten. In einem Interview mit der »Süddeutschen Zeitung« ließ sie vor ein paar Tagen bereits erkennen, was drinstehen könnte: Deutschland dürfe sich von keinem Land abhängig machen, »das unsere Werte nicht teilt«. Damit liegt sie auf einer Wellenlinie mit dem EU-Außenbeauftragten.

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