Koketterie mit der Gefahr

Das Berliner Ensemble zeigt Thomas Bernhards »Der Theatermacher«

Stefanie Reinsperger hat in der Titelrolle in "Der Theatermacher"
Stefanie Reinsperger hat in der Titelrolle in "Der Theatermacher"

Der Indentant des Berliner Ensembles, Oliver Reese, hat selbst auf dem Regiestuhl Platz genommen, um Thomas Bernhards »Der Theatermacher« auf die Bühne zu bringen. Am Donnerstag, dem Premierenabend, zeigte sich das Publikum nach gut zwei Stunden Bühnenradau euphorisch und applaudierte ungewohnt enthusiastisch. Das, so darf man mutmaßen, lag auch an der Hauptdarstellerin des Abends: Stefanie Reinsperger.

Thomas Bernhard war ein Theaterautor von einer ungeheueren Komik. Sein vor knapp 40 Jahren entstandenes Stück kratzt dennoch an Fragen, die man ernsthaft diskutieren sollte. Die Reinsperger, nicht weit von Wien zur Welt gekommen, gibt dem Text die österreichische Färbung, die er gut vertragen kann. Kraftvoll gibt sie ihn zum Besten. Das Gasthaus, in dem Bernhard sein Stück spielen lässt, gleicht hier eher einer rumpeligen Mehrzweckhalle. Hansjörg Hartung ist ein traurig-schönes Bühnenbild à la Anna Viebrock gelungen. Nur ist der Regisseur leider kein Christoph Marthaler.

Die Bernhard’sche Anlage, nach der Theatermacher Bruscon im provinziellen Utzbach zu schlechtesten Konditionen seinen Auftritt vorbereit und sich als ein Tyrann der darstellenden Kunst entpuppt, entfaltet ihre komische Qualität nur eingeschränkt. Aus nicht ganz erklärlichen Gründen lässt die Regiehand die Hauptdarstellerin die ersten 60 Minuten wie im Fluss den Text rausschießen, als dürfe es keinen Rhythmus geben. Dabei liegt der Humor, zumindest der tiefgründige, in den Pausen versteckt, die hier fehlen müssen.

Sind das nicht alles die Mäkeleien eines unzufriedenen Beobachters? Mag sein. Dass dieser Theaterabend allerdings nichts will, als gute Abendunterhaltung zu sein, aus der nichts folgt, das muss man ihm zum Vorwurf machen. Ist denn an Unterhaltung etwas auszusetzen? Gewiss nicht. Aber man muss dafür keinen Bernhard niederstrecken. Der überdauernde, in der Gesellschaft festgesetzte Faschismus ist an diesem Abend ein Witzlein unter anderen. Man lacht hier über Hitler-Porträts wie man über Slapstick-Einlagen lacht.

Im Programmheft findet sich ein Gespräch, das der Regisseur und sein Dramaturg Johannes Nölting mit Stefanie Reinsperger und dem Kunsthistoriker Wolfgang Ullrich geführt haben. Ullrich hat erst Anfang des Jahres wieder durch sein streitbares Buch »Die Kunst nach dem Ende ihrer Autonomie« auf sich aufmerksam gemacht. Nach Bernhards Text befragt, äußert der sich klarsichtig: »Man kommt ja erst mal gar nicht umhin, das Stück mit all den heutigen Begriffen und Debatten zu lesen – Debatten über Repräsentation, Machtmissbrauch oder toxische Männlichkeit. Aber es besteht auch die Gefahr, dass man es auf diese reduziert und in Bruscon einfach nur einen ›alten weißen Mann‹ sieht.«

Kurz gesagt: Man ist der Gefahr nicht aus dem Weg gegangen – und wurde so ihr erstes Opfer. Wir sehen hier keine ambivalente Figur, sondern jemanden, den man zwei Stunden lang verachten kann. Der Reaktionär, hier mit einer Billa-Tüte versehen, ist nur der Vertreter einer zu Recht untergegangenen Kunstauffassung. Die Anklage fällt auch deswegen so leicht, weil man hier etwas anklagt, aber sich weigert zu zeigen, was das mit dem zu tun haben könnte, was uns heute in der Gesellschaft und im Theater begegnet. Ohnehin geht jeder Lacher schmerzlos über die Lippen. Alles, was gespielt wird, ist mehrfache Parodie. Und selbst der Klamauk windet sich doppelbödig-ironisch um sich selbst. Kritisch will man sein, da scheint es auch nicht vergeblich, wenn die Kritik ins Unbestimmte trifft.

Nun gibt es keinen Zweifel daran, dass Stefanie Reinsperger auch mit den großen Texten und den großen Rollen fertig wird. Und wann wäre es nicht ein Vergnügen, virtuoser Schauspielkunst zuzusehen? Nur dann, wenn man sich unter Niveau unterhalten fühlt. Damit die Reinsperger besonders glänzen kann, müssen die Nebenfiguren Knallchargen darstellen und im Hintergrund blödeln. Nur Wolfgang Michael darf in der Rolle des Wirts, fast vollkommen stumm, noch große Momente offenbaren. Am Ende wurde viel geweint und viel geschrien, und eigentlich ist nichts passiert.

Nächste Vorstellungen: 31.10., 1. und 17.11.
www.berliner-ensemble.de

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