Populär oder populistisch?

Wolfgang Hübner über den jüngsten Streit um Sahra Wagenknecht

Sahra Wagenknecht hat eine Gabe dafür, Teile ihrer Partei regelmäßig in Rage zu versetzen. Nirgendwo wird die tiefe Zerrissenheit der Linken deutlicher als im Dauerstreit um Wagenknecht und ihre Positionen. Jüngster Anlass: In ihrer »Wochenschau«, einem Videoformat auf Youtube, erklärt sie, warum die Grünen die »heuchlerischste, abgehobenste, inkompetenteste und damit derzeit auch gefährlichste Partei im Bundestag« seien. So kündigt sie das Video auf Twitter an. An anderer Stelle schränkt sie das zwar ein – die Grünen seien die gefährlichste Partei »gemessen an dem realen Schaden, den sie verursachen«. Aber der Grundton ist der gleiche, die Gewichte zwischen scharfer Kritik unter Demokraten und Verharmlosung von Antidemokraten verschieben sich. Es ist eine kalkulierte Verantwortungslosigkeit angesichts der AfD und ihrer widerwärtigen Politik. Selbst Linke-Fraktionschef Dietmar Bartsch, der bislang eher den Schulterschluss als die Auseinandersetzung mit Wagenknecht und ihren Vertrauten demonstriert, widerspricht deutlich. Aber was folgt aus solcherlei Widerrede?

Tatsache ist, dass Wagenknecht seit Jahren Positionen vertritt, die neben denen der Linken liegen oder gar konträr zu Parteitagsbeschlüssen stehen. Das war so bei der Asyldebatte 2015/16, in der Coronazeit, auch jetzt angesichts des Ukraine-Kriegs. Kann gut sein, dass der Linken eine Zerreißprobe bevorsteht; noch weiß niemand, was aus Wagenknechts Aufruf »Für eine populäre Linke« entstehen könnte. Mal war von einem organisierten Netzwerk die Rede (»Aufstehen« lässt grüßen), mal von einer Konferenz im Herbst. Der Grat zwischen populär und populistisch ist sehr schmal, wie der immer wieder aufflammende Beifall für Wagenknecht von rechts zeigt. Dort wird man sich auch jetzt darüber freuen, dass Wagenknecht die größte politische Gefahr ganz anderswo entdeckt.

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