- Kommentare
- Sahra Wagenknecht
Zuarbeit für die Gegenseite
Für Lorenz Gösta Beutin ist Wagenknechts Linkskonservativismus alles, nur nicht links
Unbeirrt eilt Sahra Wagenknecht von Schlagzeile zu Schlagzeile. Zuletzt zog sie wieder mal bei »Bild« vom Leder, dem Blatt, das ihr regelmäßig Schützenhilfe leistet, wenn es gegen links geht: AfD-Wähler seien nicht rechts, nur enttäuscht. »Ich wünsche mir, dass in Deutschland eine Partei entsteht, die die Politik der Bundesregierung verändern kann«, sprach die einstige Vorzeige-Linke der eigenen Partei die Wirksamkeit und damit die Existenzberechtigung ab. Einer Partei, auf deren Ticket sie in den Bundestag einzog. Heute will Wagenknecht offensichtlich weg. »Bild« titelt: »Wagenknecht schließt Parteigründung nicht aus.«
Das Ganze überrascht nicht. Nicht erst der Wagenknecht’sche »Linkskonservatismus« aus ihrem Bestseller »Die Selbstgerechten« dreht sich um »nationale Identität«, Heimat und Nationalstaat. Von Sozialismus und internationaler Solidarität keine Spur. Schon vor ihrem letzten Buch ist sie der eigenen Fehlannahme auf den Leim gegangen, man könne der radikalen Rechten Wählerschaft und Wasser durch Annäherung abgraben.
Lesen Sie auch: Heißer Herbst oder heiße Luft? - Sahra Wagenknechts Haltung zum Ukraine-Krieg entspricht dem Wesenskern der Linken als Friedenspartei, kommentiert Alexander King.
Dabei ist es marxistische Tradition, auf die Aufklärung der breiten Massen, nicht auf Ressentiment zu setzen. Linke Politik ist im besten Fall verständlich, nicht falsch. Ihr Ideologiespagat, den »Volkszorn« bei Migration, Corona und Ukraine-Krieg zu vereinnahmen, ist eine gefährliche Strategie. Am Ende, das hat die deutsche Geschichte gezeigt, gewinnen beim Verdummungswettkampf der Bevölkerung immer Demokratiefeinde. Die Strategie des dumpfen Appells an niedere Instinkte endet in Autoritarismus oder Faschismus, der Minderheitenrechte, Demokratie, Parteien- und Medienvielfalt sowie Kompromisse als Schwäche ablehnt. Ein Blick nach Schweden, wo heute eine Rechtskoalition mit Duldung von Rechtsradikalen regiert, zeigt, wie das Rechtsblinken der Sozialdemokratie den Gegner gestärkt statt geschwächt hat. Wagenknecht glaubt weiter an diese Strategie, sieht sie doch den Anti-Einwanderungskurs etwa der dänischen Sozialdemokraten als Vorbild.
Solidarität, Sozialismus, Internationalismus – auf der Suche nach dem revolutionären Subjekt ist Wagenknecht die Grundsubstanz marxistisch-sozialistischer Ideologie verloren gegangen. Wer ihr Buch liest, muss zu diesem Schluss kommen. So wundert es nicht, dass es publizistische Kapitalismus-Schlachtrösser wie Springer und Burda sind, die der »beliebtesten Linken Deutschlands« über Meinungsbeiträge, Interviews, Kolumnen und Umfragen den roten Massenmedien-Teppich ausrollen. Als klassenbewusst denkender Mensch stellt man sich die Frage: Warum schenken diese Interessengruppen einer Politprominenten, die sich gegen das Linke-Parteiprogramm stellt, eine so übergroße Aufmerksamkeit?
Was Wagenknecht von sich gibt, ist nicht mehr Linkspartei. Sie wird weder falsch verstanden noch »gemobbt«. Der Applaus der AfD kommt, weil Wagenknecht sagt, was sie sagt. Die unzähligen Online-Kommentare wie »Tolle Frau, leider in der falschen Partei« haben verstanden. Die Herkunft ihrer Twitter-Follower: zum Großteil aus der rechts-nationalistischen AfD-Bubble. Dazu kommen Parteiaustritte in hohem Ausmaß nach ihrer Bundestagsrede, in der sie den russischen Angriffskrieg relativierte und von der »guten, alten Zeit« der deutschen Industrie schwärmte. Austrittsgrund Nummer Eins: Wagenknecht. Das Vorwort ihrer neuen Taschenbuchausgabe: vorabgedruckt von Springer.
Gemeinsamer Feind dieser unheilvollen Allianz ist der »Linksliberalismus«. Dieser würde als »neuer Autoritarismus« mit »totalitären Zügen« angeblich Demokratie und Meinungsfreiheit gefährden. Nein, der Feind steht rechts! Wagenknechts jüngste Behauptung, die Grünen seien »die gefährlichste Partei im Bundestag«, ist geschichtsvergessen und spottet jeder Faschismusanalyse Hohn. Sie passt ins Bild ihrer ideologischen Zuarbeit für die Gegenseite. Leute wie Alice Weidel und Thilo Sarrazin, Corona-Wirrköpfe, rechtsradikale Freie Sachsen, der Faschist Höcke – sie alle hassen die Grünen schon lange. Jetzt also auch Wagenknecht. Liebe Genossin, von der innerparteilichen Meinungsfreiheit ist das alles längst nicht mehr gedeckt.
In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!