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Kostspielige Verfassungswidrigkeit

Initiative Finanzwende und Netzwerk Steuergerechtigkeit kritisieren milliardenschwere Lücken bei der Erbschaftsteuer

  • Simon Poelchau
  • Lesedauer: 3 Min.

Das deutsche Erbschaftsrecht gilt als kompliziert. Wirklich effizient ist es deswegen aber nicht. Von den bis zu 400 Milliarden Euro, die jährlich vererbt oder verschenkt werden, wird das meiste gar nicht versteuert. Lediglich 118 Milliarden Euro zog der Fiskus zur Berechnung der Abgabe vergangenes Jahr heran. Das Steueraufkommen belief sich auf 11,1 Milliarden Euro. Das macht einen effektiven Steuersatz von geschätzt weit unter drei Prozent.

Grund für die niedrige Quote sind üppige Ausnahmeregelungen für sogenanntes Betriebsvermögen, das eigentlich nur am oberen Ende der Gesellschaft weitergegeben wird. Dass diese Ausnahmen nicht unbedingt konform mit dem Grundgesetz sind, daran erinnerte die Initiative Finanzwende zusammen mit dem Netzwerk Steuergerechtigkeit am Montag mit einer Aktion vor dem Bundesfinanzministerium. Denn vor fünf Jahren erklärte der Bundesfinanzhof Teile des Erbschaftsgesetzes als verfassungswidrig. Doch das Bundesfinanzministerium ignoriere das Urteil, sagen die Initiativen.

»Christian Lindner gibt sich als der große Verteidiger der Verfassung, wenn es um die Schuldenbremse geht«, kritisiert Finanzwende-Vorstand Gerhard Schick die Untätigkeit des Bundesfinanzministers. »Aber wenn es um verfassungswidrige Privilegien für Milliardäre im Steuergesetz geht, ignoriert er klare Urteile höchster deutscher Gerichte. Das ist Rosinenpickerei in der Verfassung, das geht so nicht.« Konkret monierte der Bundesfinanzhof in seinem Urteil, dass ein Besitz von 300 Wohnimmobilien pauschal als Betriebsvermögen klassifiziert werden könne und so im Falle einer Vererbung bei der Erbschaftsteuer Vergünstigungen bestünden.

Diese Ausnahmen sind kostspielig für den Staat. Laut Finanzwende gehen ihm dadurch jährlich rund 5,1 Milliarden Euro an Steuereinnahmen verloren. Und vor allem sind die Ausnahmen sozial ungerecht. Schließlich profitieren davon hauptsächlich Superreiche. Denn sie erben vorwiegend Unternehmen. So mussten im Jahr 2020 wegen der Sonderregeln 40 Prozent von ihnen auf ein Erbe oder eine Schenkung mit einer Summe von mehr als zehn Millionen Euro keine Steuern zahlen. »Gerade in der heutigen Zeit müssen vor allem die Superreichen ihren fairen Anteil zur Bewältigung der Krise leisten«, fordert deshalb Julia Jirmann, Steuerexpertin beim Netzwerk Steuergerechtigkeit, ein Ende dieser Privilegien. »Es verkehrt das Leistungsfähigkeitsprinzip ins Gegenteil, dass bei den Reichsten die mit Abstand größte Steuersubvention landet.«

Dabei beschäftigten die Privilegien für Betriebsvermögen schon seit Jahrzehnten das Bundesverfassungsgericht. Denn die Probleme fingen mit dem »Gesetz zur Entlastung der Familien und zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für Investitionen und Arbeitsplätze« von 1992 an. Demnach wird zur Berechnung der Erbschaftssteuer nicht der Verkehrswert eines Unternehmens, sondern der Bilanzwert herangezogen. Das schmälerte die Steuerlast beträchtlich. 2006 entschied dann das Bundesverfassungsgericht, dass die Regel nicht mit dem Gleichheitsgrundsatz vereinbar und deswegen verfassungswidrig sei.

Die daraufhin 2008 beschlossene Reform sah zwar vor, Betriebsvermögen nach dem aktuellen Wert zu veranschlagen, ersetzte aber gleichzeitig den Freibetrag durch einen unbegrenzten Verschonungsabschlag. Dieser sorgte dafür, dass Betriebsvermögen komplett steuerfrei bleiben, wenn die Summe der Löhne in den folgenden sieben Jahren etwa konstant gehalten wurde. So wurde auch diese Version des Erbschaftssteuergesetzes 2014 vom Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig kassiert.

2016 beschloss dann die damalige Große Koalition unter Angela Merkel das Erbschaftssteuerrecht in seiner jetzigen Form – weiterhin mit milliardenschweren Ausnahmen für Betriebsvermögen. Laut Schick war dies eine »enorme Lobbyleistung«. Insbesondere die Stiftung Familienunternehmen habe sich dabei für die Ausnahmen »beim ganz großen Geld« eingesetzt.

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