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Freispruch für die Polizei
Staatsanwaltschaft hat keine Zweifel an der Schuld des Angeklagten im Prozess um die »NSU 2.0«-Drohserie
Eigentlich waren es zwei Plädoyers, die von der Staatsanwaltschaft am Montag im Frankfurter Landgericht vorgetragen wurden. In dem einen forderte die Anklagebehörde siebeneinhalb Jahre Gefängnis für Alexander M., unter anderem wegen Beleidigung, Bedrohung, Volksverhetzung und des Verwendens verbotener Nazisymbole: Der 54-Jährige aus dem Berliner Stadtteil Wedding sei alleinverantwortlich für die Drohschreiben, mit denen unter dem Label »NSU 2.0« zweieinhalb Jahre lang insbesondere demokratisch engagierte Frauen überzogen worden waren – allen voran die Frankfurter Anwältin Seda Başay-Yıldız. In dem anderen plädierte die Staatsanwaltschaft auf Freispruch für die hessische Polizei.
Als Oberstaatsanwalt Sinan Akdogan zu dem dreistündigen Schlussvortrag ansetzte, sprach er erst einmal über sich selbst. Oder genauer: über die Ermittlungsbehörden. Die nämlich, betonte der Anklagevertreter, hätten alles dafür getan, die Serie von mehr als 100 barbarischen Morddrohungen und rassistischen, antisemitischen und sexistischen Schmähungen aufzuklären. »Dass der eine oder andere Punkt nicht umfassend aufgeklärt wurde, ist unbefriedigend, muss im Rechtsstaat aber akzeptiert werden«, befand Akdogan und verwahrte sich »mit aller Entschiedenheit« gegen den von Nebenklage und Öffentlichkeit immer wieder erhobenen Vorwurf, die Behörden gingen der Rolle von Polizeibeamten beim »NSU 2.0« lieber nicht allzu entschieden nach. »Es handelt sich hier nicht um einen Polizeiskandal«, sagte der Oberstaatsanwalt.
Die zumeist mit »Heil Hitler« unterschriebenen Faxe, Mails und SMS des vermeintlichen »NSU 2.0« trieften nicht nur vor NS-Jargon, Fäkalsprache und Gewaltfantasien. Sie enthielten oftmals auch private Daten der Opfer: nicht öffentlich bekannte Wohnadressen, Geburtsdaten und Namen von Angehörigen. Kurz bevor im August 2018 das erste Drohfax bei Seda Başay-Yıldız einging, wurden im 1. Frankfurter Polizeirevier ausführliche Datenbankabfragen zu der Anwältin getätigt. Die Frage, wer damals minutenlang durch den Polizeicomputer surfte, gehört zu dem, was Akdogan so nonchalant als »den einen oder anderen nicht umfassend aufgeklärten Punkt« bezeichnete. Vor Gericht konnten oder wollten sich die Polizist*innen an nichts erinnern. Nicht an den ungewöhnlichen Datenabruf, aber auch nicht an einen Anruf des Angeklagten, der als vermeintlicher Polizeikollege um die Daten gebeten habe.
Dass die Staatsanwaltschaft trotzdem nach wie vor von einer solchen Übertölpelung der Polizei ausgeht und Alexander M. auch für das erste Drohfax verantwortlich macht, traf bei der Nebenklage auf scharfe Kritik. »Hier zeigt sich erneut das Einzeltäterdenken«, sagte Antonia von der Behrens in ihrem Plädoyer. »Alle mit ›NSU 2.0‹ unterzeichneten Schreiben müssen demnach auf einen Täter zurückgehen.« Doch genau daran gebe es erhebliche Zweifel. Für die Rechtsanwältin, die die Nebenklägerin Başay-Yıldız vertritt, verdichteten sich im Laufe des Prozesses die Verdachtsmomente gegen den suspendierten Polizeibeamten Johannes S. Der Mann, der auf dem 1. Revier Dienst tat, fiel nicht nur wie etliche seiner Kolleg*innen durch rechte Chats auf, er suchte auch im Internet nach Informationen über Başay-Yıldız. Er soll sich wie der Angeklagte mit anonymem Surfen per Tor-Browser ausgekannt und sich für den Zeitpunkt des Faxversands ein falsches Alibi verschafft haben. Zudem kam das erste Fax von einer anderen Mailadresse als alle folgenden und es wurde wohl als einziges von einem mobilen Endgerät verschickt.
Genug Gründe, um – in dubio pro reo – Alexander M. freizusprechen, was den Auftakt der »NSU 2.0«-Serie angeht? Nein, beharrt die Staatsanwaltschaft. »Es bestehen keine vernünftigen Zweifel, dass der Angeklagte allein gehandelt hat«, erklärte Staatsanwältin Patricia Neudeck und verwies unter anderem darauf, dass Alexander M. bereits 2015 die NDR-Journalistin Anja Reschke bedroht und 2017, wenn auch vergeblich, versucht habe, bei der Würzburger Polizei an Informationen über den gegen Internet-Hassrede engagierten Anwalt Chan-jo Jun zu gelangen.
Passend dazu begründete die Staatsanwaltschaft ihre überraschend hohe Strafforderung schließlich nicht nur mit den vielen, teilweise einschlägigen Vorstrafen des Angeklagten, mit seinem aggressiven Auftreten und seinen nachweislichen Lügen vor Gericht sowie mit den Auswirkungen der Drohungen auf seine Opfer, sondern auch mit den negativen Folgen für das Image der Polizei. »Er hat Schaden angerichtet«, sagte Oberstaatsanwalt Akdogan, »weil der Vertrauensverlust in den Staat enorm ist.«
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