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Kriegsbasis im Naturpark
In der Nähe von Pisa regt sich vielfältiger Protest gegen eine geplante Kaserne für militärische Sondereinheiten
Das Zirpen der Zikaden kann die Stimme nicht übertönen, die ins Mikrofon schreit: »Die Regierung will Pisa in ein Kriegszentrum verwandeln, wir sind hier, um uns dagegen zu wehren.« Unter den großen Pinien von Coltano haben sich mehr als 100 Menschen zu einer Kundgebung versammelt, die von der No-Base-Bewegung organisiert wird.
Es sind nur wenige Kilometer von Livorno bis Pisa. Entlang der Staatsstraße Via Aurelia begrenzen Stacheldrahtzäune das Camp Darby – die größte Logistik-Basis der US-Armee in Europa – und den Militärflughafen von Pisa, der seit 2008 die wichtigste Operationsbasis der italienischen Luftwaffe ist.
Im Schatten des berühmten Schiefen Turms, der jedes Jahr von Hunderttausenden Touristen besucht wird, haben diese militärischen Einrichtungen schon lange eine enorme Bedeutung, die künftig sogar noch zunehmen könnte: Im März diskutierte die linke Opposition im Stadtrat von Pisa, Diritti in Comune, erst wieder die Pläne, einen weiteren Militärstützpunkt unweit des Camp Darby in Coltano zu errichten. Dort soll eine neue Kaserne für Spezialeinheiten der Carabinieri und ein weiteres Sondereinsatzkommando entstehen. Auch eine Hundestaffel soll dort untergebracht werden.
Bereits im Dezember 2019 hatte sich das Parlament in Rom für einen solchen Militärstützpunkt ausgesprochen. Gianluca Rizzo, Präsident des Verteidigungsausschusses der Abgeordnetenkammer, erklärte, es sei notwendig, einen »neuen Standort zu finden, der besser zu der erforderlichen Einsatzbereitschaft für heikle Aufgaben passt«. Eine erste Machbarkeitsstudie, die im Juli 2019 von den Carabinieri ausgearbeitet wurde, schätzt die Baukosten auf rund 190 Millionen Euro und sieht dafür eine Fläche von 73 Hektar vor. Sie liegt innerhalb des Naturparks San Rossore, der von sensiblen Feuchtgebieten geprägt ist, die für das lokale Ökosystem wichtig sind. Teile davon sollen nun trockengelegt werden.
Eine breite gesellschaftliche Bewegung stellt das Projekt allerdings infrage. »Die erste Versammlung in Coltano am 19. April war außerordentlich gut besucht, der Veranstaltungsort war überfüllt«, sagt Paola Imperatore, 30, eine No-Base-Aktivistin. »Die Gründe, um gegen das Vorhaben zu sein, waren sofort klar«, erklärt sie: »Nein zur Umweltzerstörung, nein zum Krieg. Lasst uns dieses Geld verwenden, um das Leben der Menschen zu verbessern.« Vor allem aus Pisa kamen viele Aktivisten nach Coltano. Dank dieses ersten Anstoßes kamen einige Dorfbewohner wenige Tage später erneut zusammen. »Das war am 25. April«, erinnert sich Mimmo Russo, 69, »wir haben uns gesagt: ›Lasst uns organisieren‹«. Sie haben das Komitee zur Verteidigung von Coltano gegründet, um sich der geplanten Militärbasis zu widersetzen.
Russo lebt seit 1978 in dem Dorf, »um in den landwirtschaftlichen Genossenschaften zu arbeiten, die in diesen Jahren unbewirtschaftetes Land zugeteilt bekamen«. Er erklärt, dass der Protest Netzwerke unter den Bewohnern geschaffen hat. »Wir haben viele junge Leute getroffen, die kürzlich hierhergezogen sind. Es gibt aber auch alteingesessene Familien aus Coltano und Leute wie wir, die in den 70er Jahren hierher kamen. Zusammen haben wir dann das Komitee gebildet.«
Aber bei dem Protest gegen die Militärbasis kommen nicht nur unterschiedliche Generationen aus dem Ort zusammen, sondern auch unterschiedliche Milieus: »Anfangs gab es Vorbehalte zwischen den Aktivisten, die aus Pisa kamen, und uns, die nicht wollten, dass die No-Base-Bewegung unsere lokalen Begebenheiten übergeht«, erklärt Russo. »Wir vom Komitee lehnen das Militärprojekt ebenfalls ab, aber die No-Base-Bewegung hat umfassendere Positionen zu Krieg und Antimilitarismus.« Das anfängliche gegenseitige Misstrauen konnte überwunden werden. »Mit den Versammlungen, den gemeinsamen Aktivitäten und mit der Demonstration Anfang Juni ist daraus mittlerweile eine feste Zusammenarbeit entstanden«, erzählt Russo.
Am 2. Juni kamen in Coltano rund 10 000 Menschen zusammen, um gegen die geplante Militärbasis zu demonstrieren. Es war ein erster Höhepunkt der Protestbewegung. Die meisten Teilnehmer seien aus den umliegenden Städten gekommen, erinnert sich Russo. Einige Initiativen reisten aber auch von weither an. »Es gab eine antimilitaristische Sektion, die Trans-Initiative Non Una di Meno war ebenso dabei wie das toskanische ökologische Netzwerk sowie Fridays for Future.« Ganz unterschiedliche Menschen kamen zusammen. Auch Arbeiter des Autozulieferers GKN und Basis-Gewerkschaften. Außerdem Verbände und Kollektive, linke Parteien und die Anarchistische Föderation. »Die Demonstration hat ein wichtiges Zeichen gesetzt«, meint Russo, der an diesem Tag einen Ackerschlepper fuhr und die Kundgebung zusammen mit dem lokalen Komitee eröffnete.
Es war eine »Demonstration der Vielfalt«, erklärt Imperatore: »Ich hatte den Eindruck, dass in dieser Pluralität sich auch die jeweiligen Aktionsfelder der Initiativen überschneiden. Wir wissen, dass niemand allein einen Kampf gewinnen wird. Deshalb haben wir bei dieser Gelegenheit nicht nur ›Nein zur Basis‹ gesagt, sondern wir haben vielen verschiedenen Stimmen Kraft gegeben«, erklärt sie. Nur vordergründig sei es ein Problem in Coltano, wo die Militärbasis gebaut und die Umwelt zerstört werden soll. Natürlich gebe es auch eine darüber hinausgehende Komponente, sagt Imperatore. »Insbesondere gelang es der Bewegung, die Beziehungen zwischen der Militärbasis, den italienischen Auslandsmissionen und den großen öffentlichen Ausgaben aufzuzeigen.« Letztere würden vor allem zur Verteidigung von strategischen Ausrichtungen von Unternehmen verwendet werden, vor allem im Energiesektor. »Wir haben das Problem des von fossilen Energiequellen abhängigen Kapitalismus in den Mittelpunkt gerückt«, erläutert Imperatore.
Auch Nichtregierungsorganisationen haben darauf bereits hingewiesen. So prangerte Greenpeace in einem im Dezember veröffentlichten Bericht an, dass von den Gesamtkosten für Italiens Militäreinsätze im Ausland im vergangenen Jahr 64 Prozent zweckgebunden für den Schutz fossiler Interessen von Industrieunternehmen seien, insbesondere Öl und Gas. Und gerade diese Spezialeinheiten, die in Coltano stationiert sein sollen, würden oft bei solchen Militäreinsätzen eingesetzt, prangert die No-Base-Bewegung an.
Imperatore öffnet eine mit Aufklebern bedeckte Tür und betritt den selbstverwalteten Raum im Institut für Politikwissenschaft der Universität Pisa. »Von Anfang an war der Bewegung klar, dass in Coltano etwas Neues entstanden ist. Wir haben uns eine unbürokratische, auf Versammlungen basierende Bewegung aufgebaut und versuchen, eine lokale Anbindung zu schaffen«, so die 30-Jährige, die bereits seit über zehn Jahren in Pisa lebt, wo sie als prekär entlohnte Wissenschaftlerin arbeitet. »Es war wichtig, frühere Erfahrungen von Kämpfen und Kampagnen zu sammeln und dies aufzuarbeiten, um dann einen neuen roten Faden zu weben.« Die Plakate an den Wänden des selbstverwalteten Seminarraums erzählen die Geschichte der Kämpfe der letzten Jahrzehnte in Pisa.
Nicht weit entfernt, am gegenüberliegenden Ufer des Arno, tagte am 13. September im Palazzo Gambacorti der Stadtrat. Bürgermeister Michele Conti, der 2018 aus den Reihen der extremen Rechten gewählt wurde, bekräftigte, dass die Stadt Pisa das militärische Großprojekt akzeptieren werde. Im selben Palast fand am 28. September ein weiteres Treffen statt: Ein runder Tisch kam zusammen, der im Mai von der damaligen Regierung von Mario Draghi geschaffen wurde. Dort werden auch die Proteste thematisiert und die verschiedenen Interessen aller Beteiligten abgewogen. Die Carabinieri schlugen vor, das Projekt zu überarbeiten: Nicht mehr eine einzige große Basis solle dort geschaffen werden, sondern viele kleine Militäranlagen, die Trainingsgebiete von Wohngebieten abtrennen. Die No-Base-Bewegung lehnt den Vorschlag allerdings ab, weil sich auf diese Weise »die Größe der Basis verdreifachen würde«.
Eine Entscheidung über das Vorhaben wird letztlich die neue rechtsgerichtete italienische Regierung unter der Ministerpräsidentin Georgia Meloni von der postfaschistischen Partei Fratelli d’Italia treffen. Sicher ist, dass Meloni den Bau der Militärbasis generell befürwortet. Entweder in Coltano oder anderswo. Die No-Base-Bewegung wird auch im Falle einer Verlegung an einen anderen Standort gegen eine solche Einrichtung sein. »Weder ein Quadratzentimeter Land noch auch nur ein Euro darf für die neue militärische Infrastruktur investiert werden«, heißt es in einem Statement.
In Coltano selbst ist nicht nur eine starke Gegenbewegung gegen das Projekt entstanden, sondern eine gesellschaftliche Opposition. »Wir versuchen auch, den Ort und die Region neu zu denken«, erklärt Russo. »Wir vom Komitee suchen gemeinsam mit der No-Base-Bewegung und Regionalplanern nach Möglichkeiten, wie wir die Region entwickeln können. Wir überlegen, was wir in unserem Ort alles bräuchten, vom öffentlichen Nahverkehr bis zu einer Bäckerei.« Es gäbe viele Möglichkeiten, »wie diese für das Militär veranschlagte Summe von 190 Millionen Euro sinnvoll ausgegeben werden könnte«, meint der 69-Jährige. »Damit das Leben aller verbessert wird.«
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