Die Recycling-Pioniere

Drei Unternehmen setzen Zeichen, um den allgegenwärtigen Plastikmüll in Uganda einzudämmen

  • Felix Lill, Kampala
  • Lesedauer: 9 Min.

Ungefähr einmal in der Woche, wenn die Jungs aus der Nachbarschaft mit einer neuen Ladung Zementtaschen ankommen, schlägt Juliet Namujju vor Freude die Hände zusammen. »Ich bezahle ihnen 2000 Shilling pro Tasche«, sagt die 25-Jährige auf dem Sofa ihres kleinen Büros. In Euro sind das gut 50 Cent, für die Jungunternehmerin kein geringer Preis. Dabei sind die Teile für sie nicht wegen des Inhalts kostbar – Zement enthalten sie ohnehin nicht mehr. Juliet Namujju will nur die Taschen haben. »Für mich sind sie Rohstoff. Ohne sie könnte ich meine Arbeit nicht machen.«

In Maya, einer Kleinstadt rund 15 Kilometer westlich von der Hauptstadt Kampala, führt sie hinter einer steilen, holprigen Auffahrt durch ihre Produktionsstätte. »Da vorne designe ich mit zwei Kolleginnen unsere Produkte. Hier links wird genäht. Und hier machen wir Teambesprechungen. Die anderen Abläufe finden draußen statt.« Draußen heißt einerseits: an Baustellen, Straßenrändern und auf Müllhalden, wo Plastikabfall eingesammelt wird. Aber auch in den Häusern der Mitarbeiterinnen, die das Fundgut daheim waschen.

»Hier bei uns geschehen nur die letzten Schritte«, sagt Juliet Namujju und deutet vom Sofa, wo sie sich nun niedergelassen hat und ihren hochschwangeren Bauch hält, durch die drei kleinen Räume. An den kahlen Wänden kleben Notizzettel, in den Ecken steht eine angezogene Schaufensterpuppe, neben der Eingangstür prangt ein übergroßer, geschwungener Schriftzug in Schwarz: Kimuli Fashionability. »Wir wollen mit Mode und Accessoires die Welt verbessern«, meint die Unternehmerin. »In kleinem Ausmaß machen wir das auch schon.«

Es ist eine Behauptung, die man gerade in der Modebranche, die rund um Fastfashion und Sweatshops längst ihren guten Ruf verloren hat, allzu häufig hört. Aber hier, am Rande der Hauptstadt von Uganda, scheint mehr dran zu sein als nur ein PR-Spruch. Kimuli Fashionability sammelt immerhin Müll, um daraus etwas Begehrenswertes zu schaffen. Das Angebot reicht von Handtaschen über Portemonnaies bis zu Regenjacken. »Wir müssen noch viel mehr machen«, sagt die Gründerin. »Die Probleme werden ja immer dringender. Sie sind schon überall sichtbar.«»

Tatsächlich ist das Müllproblem hier schwer zu übersehen: Plastikflaschen rollen den Straßenrand entlang, gebrauchte Verpackungen verunstalten öffentliche Grünflächen sowie landwirtschaftliche Felder, manchmal fliegen Tüten sogar durch die Luft. Die schätzungsweise 600 Tonnen Plastikmüll, die das ostafrikanische, 46 Millionen Einwohner zählende Land täglich verursacht, sind zwar ein Bruchteil der gut 30 000 Tonnen pro Tag in einem Industriestaat wie Deutschland. Da hier aber praktisch nicht recycelt wird, sticht das Problem in Uganda umso deutlicher ins Auge.

Wohin man auch sieht: Müll ist meistens im Blickfeld. Und das hat einerseits Folgen für die Umwelt. Der Nalubaale, der zweitgrößte Süßwassersee der Welt, den man in Europa als Victoriasee kennt, verliert auch wegen der Verschmutzung nach und nach an Leben. Eine Vielzahl von Pflanzen und Tieren ist hier in Gefahr. Etwa 40 Millionen Menschen hängen ökonomisch vom See ab – nur werden seine Ressourcen immer rarer. Die kaum irgendwo kontrollierte Entsorgung von Plastik, ob im Wasser oder auf Feldern, birgt auch gesundheitliche Gefahren: in Gestalt schlechterer Wasserqualität, Asthma und gar Lungenkrebs.

In der direkt am Victoriasee gelegenen Metropolregion Kampala, wo diese Probleme omnipräsent sind, werden zumindest kleine Lösungen gefunden. Ähnlich wie Kimuli Fashionability ist in den letzten Jahren eine Vielzahl sozial orientierter Unternehmen entstanden, die dem Plastikmüll nicht nur den Kampf ansagen, sondern ihn gewinnbringend einsetzen oder ersetzen wollen. Und häufig ist es die eigene Biografie, die die Jungunternehmerinnen von Kampala antreibt. «Mit fünf Jahren war ich Waise», erinnert sich Juliet Namujju. «Meine Oma sorgte für mich und hatte kein Geld für Spielzeuge.»

Da die Großmutter als Schneiderin ihr Geld verdiente, schaute sich das Enkelkind schon früh Fertigkeiten ab. «Bald brachte ich mir bei, wie ich aus Plastikflaschen und -tüten Puppen basteln konnte.» Nach ihrem Schulabschluss wäre Juliet Namujju gerne an die Uni gegangen, doch der Großmutter fehlte das Geld für die Gebühren. «Über ein paar Ecken erfuhr ich von einem Programm für Entrepreneurship hier in der Nähe.»

15 weitere Kilometer westlich, hoch auf den Hügeln der Stadt Mpigi, deren Ausläufer nach Kongo und Ruanda deuten, liegt seit acht Jahren die Social Innovation Academy, oder kurz: Sina. Es ist nicht weniger als eine Siedlung für sozial orientierte Start-ups. «Ohne diesen Ort hätte ich heute mein Unternehmen nicht», sagt David Monday stolz und zeigt rings um sich. Links von ihm ein größeres mehrstöckiges Gebäude, daneben eine Hütte, in der Snacks verkauft werden, gegenüber, hinter einem gepflegten Beet, ein Tagungszentrum. Müll ist nicht zu sehen.

«Die meisten der Häuser hier habe ich gebaut», sagt David Monday und marschiert voran. Schnell fällt an den Gebäuden ein verbindendes Element auf: aus der Fassade blitzende Deckel oder Böden von Plastikflaschen. «Dazu gibt es eine Geschichte», sagt der Gründer, bittet in ein rundes Haus und setzt sich auf eine Holzpritsche. «Als ich ein Kind war, kam mein kleiner Bruder bei starken Regenfällen ums Leben. Er war erst sechs, fiel in einen Abwasserkanal. Von den vielen Plastikflaschen wurde er nach unten gedrückt. Deshalb überlebte er nicht.»

Bei der Trauer um seinen Bruder wollte es der heute 36-Jährige nicht belassen. David Monday hebt den Zeigefinger: «Ich dachte mir, wenn Plastik ein so starkes Material ist, dass es Menschen töten kann, muss man es doch auch konstruktiv nutzen können.» Im Jahr 2014 gründete er hier in Mpigi seinen Betrieb Upcycle Africa Limited: Ein Planungs- und Bauunternehmen, das auf Plastikflaschen als einen der wichtigsten Rohstoffe zählt. Warum? «Erstens: Wir wollen die Flaschen der Umwelt entziehen. Zweitens: Sie sind ein billiger Baustoff.»

Bevor David Monday sein Unternehmen gründete, arbeitete er einige Jahre lang auf dem Bau, wo er sich die Grundregeln der Statik und Architektur abguckte. «Ich bin ein schneller Lerner», behauptet er. So kam er bald auf die Idee, dass, wenn er Plastikflaschen mit Erde füllt, ein recht harter, feuersicherer Baustoff entstünde. «Die Lücken fülle ich mit einer Mischung aus Sand und Zement, so ziehe ich Wände hoch. Die Dachziegel bestehen aus aufgeschnittenen Autoreifen, Ziegeln oder Stroh. Der Boden ist ein Gemisch aus Beton, Sand und Eierschalen.» Der Rest sei eine Frage des Designs.

Mehr als 100 Häuser hat Upcycle Africa bis jetzt gebaut: nicht nur in Uganda, sondern auch in Südafrika, Tansania und Nigeria. Der Bauvorgang für ein kleines, einstöckiges Häuschen von rund 30 Quadratmetern dauert nur zwei Monate und kostet rund 1300 Euro. Vorm eigentlichen Bau geht es darum, die Materialien zu sammeln, Flaschen zu stopfen, den Beton anzurühren. Ähnlich wie Juliet Namujju vertraut David Monday bei der Beschaffung von Plastikmüll auf junge Menschen, die ansonsten womöglich arbeitslos wären.

Die zwei Gründer haben noch eine Gemeinsamkeit: Ihre Existenzgründung verdanken sie Sina. Die Nonprofit-Organisation, die mittlerweile auch in anderen Teilen Ugandas sowie in Simbabwe und Kongo Ableger gegründet hat, ist die Schöpfung des Berliners Etienne Salborn. Der hatte nach seinem Schulabschluss im Jahr 2006 statt des Wehrdienstes soziale Arbeit in Uganda geleistet. Dort beobachtete Salborn immer wieder, wie Kindern das Geld für höhere Schulbildung fehlte, wodurch sie auf dem ohnehin schwierigen ugandischen Arbeitsmarkt kaum Fuß fassen können.

Mit Spendengeldern aus Deutschland und anderen wohlhabenden Ländern hat es sich Sina seither zum Auftrag gemacht, dabei zu helfen, dass die jungen Menschen ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen. «Wer sich bei uns bewirbt, kann für ein Jahr zum Beispiel in der Siedlung in Mpigi wohnen», sagt Tonny Wamboga am Abend in einem Burgerladen im Zentrum von Kampala. «Da oben erhält man einen Kurs zu Entrepreneurship, um die eigene Geschäftsidee zu entwickeln.» Tonny Wamboga, ein kräftiger Typ in dunklem Sweatshirt, arbeitet für Sina als Operations-Manager, PR-Offizieller und Fundraiser in Personalunion.

Den Job wiederum hätte er kaum bekommen, wenn er ab 2016 nicht selbst bei Sina gelernt hätte. «Ich hatte Glück, von den 180 Bewerbern einen Platz zu erhalten.» Wie praktisch allen Absolventen fehlte ihm für ein Studium das Geld, an Ideen aber mangelte es nie. Um sein Geschäftskonzept zu erklären, muss er nur mit seinen Augen auf sein Getränk vor sich zeigen. «Ich hasse es, Einwegplastik zu sehen. So wie dieser Strohhalm hier in meinem Glas.» Schließlich wachse in Uganda und womöglich auch anderswo ein Gras namens Luseke. «Es ist kräftig, innen hohl, stößt bei Wasserkontakt keine Schadstoffe aus und ist im Überfluss vorhanden.»

Wambogas Ziel, das er neben seinem Job bei Sina weiterverfolgt, ist seitdem der Sieg über die Plastikstrohhalme. Ouroots Africa heißt der Betrieb des 28-Jährigen, für den er immerhin sechs Vollzeitkräfte beschäftigt. «Wir gehen auf die Felder, mähen das Gras, schneiden, waschen, labeln und verpacken es.» Das Problem bisher: Während ein einzelner Plastikstrohhalm in Uganda rund 100 Shilling kostet, ist ein Halm aus Luseke dreimal so teuer. Weil er sich wiederverwerten lässt, zählen schon einige Hotels und Restaurants in Kampala zu Wambogas Kunden. «Aber wir sind immer noch klein. Und Wachsen ist leicht gesagt.»

Ouroots Africa steht vor der gleichen Herausforderung wie Kimuli Fashionability, das mittlerweile 25 Menschen beschäftigt, und Upcycle Africa, für das bei einer Baustelle sogar mehr als 100 Personen arbeiten: Es fehlt an Zugang zu Kapital. «Wenn wir eine Maschine hätten, die Zement anrühren oder sogar Flaschen mit Erde stopfen kann, wären wir noch viel schneller», sagt David Monday in Mpigi. Im gleichen Tenor klagt Juliet Namujju in Maya: «Ich bräuchte mehr Nähmaschinen.» Genauso weiß Tonny Wamboga, dass es Maschinen gibt, die das Schneiden, Labeln und Verpacken erledigen könnten.

«Aber wenn du nicht schon ordentlich Kapital auf dem Konto hast, gibt dir keine Bank einen Kredit», sagt Wamboga. Auch dem Start-up-Inkubator Sina fehlt es an Mitteln. «In jede erfolgreiche Bewerberin und jeden Bewerber können wir ein Jahr lang ungefähr 2000 US-Dollar investieren», rechnet er vor. «Dreiviertel unserer Absolventen setzen dann auch wirklich ihre Geschäftsidee um.»

Danach sind die Betriebe, von denen sich ein Großteil auf die eine oder andere Weise des Plastikproblems im Land annimmt, finanziell auf sich alleine gestellt. «Es ist schade», sagt Tonny Wamboga und blickt in die Weite des Abendhimmels von Kampala. «Hier gibt es so viele gute Ideen. Aber die meisten unserer Start-ups gelangen irgendwann an einen Punkt, an dem sie jenseits von 10 000 oder vielleicht 20 000 US-Dollar Jahresumsatz kaum noch wachsen können.» Dabei würde der Durchbruch mehrerer Start-ups von Kampala längst nicht nur deren Gründern helfen.

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