- Politik
- Haiti
Truppen gegen »Barbecue«
USA und Mexiko wollen Soldaten in den karibischen Krisenstaat Haiti entsenden
Gemeinsam mit Mexiko strebt Washington eine UN-Resolution an, um schnellstmöglich eine multinationale Eingreiftruppe zur Verbesserung der Sicherheitslage im Karibikstaat Haiti auf die Beine zu stellen. Ein entsprechender Beschluss des UN-Sicherheitsrates scheiterte am Mittwoch aber vorerst am Widerstand von Russland und China. Am Freitag verabschiedete das Gremium dann Sanktionen gegen kriminelle Banden in Haiti – darunter ein Einfrieren der Vermögenswerte von Jimmy Cherizier. Der ehemalige Polizist, besser unter seinem Spitznamen »Barbecue« bekannt, ist der Kopf einer Bande, die das wichtigste Ölterminal des Landes blockiert. Der UN-Sicherheitsrat verlangte ein »sofortiges Ende von Gewalt, kriminellen Aktivitäten und Menschenrechtsverletzungen« in Haiti, einschließlich Entführungen, sexueller Gewalt, Menschenhandel und der Rekrutierung von Kindern durch Banden.
Bei der von der US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, Linda Thomas-Greenfield, ins Gespräch gebrachten Truppenentsendung würde es sich nicht um ein UN-Blauhelm-Mandat handeln. Im UN-Auftrag zum Einsatz kommen sollen laut der Diplomatin Soldaten »befähigter« Staaten. Das Mandat soll auch die Möglichkeit der Anwendung militärischer Gewalt beinhalten. Der Vorschlag sei eine »direkte Antwort« auf ein Ersuchen von Haitis Regierungschef Ariel Henry.
Haitis wankende Regierung hatte Anfang Oktober 2022 um internationale Hilfe gebeten. Außenminister Jean Victor Geneus war eigens zur UN nach New York gereist, um einen »Notruf des haitianischen Volkes« zu übermitteln. Sein Land brauche dringend »robuste Unterstützung« bei der Bekämpfung der Bandenkriminalität, der Eindämmung der humanitären Krise und der Verteilung von Treibstoff für die Bevölkerung und die Wirtschaft. Mit einem Schreiben an den Sicherheitsrat warb auch UN-Generalsekretär Antonio Guterres um die Entsendung einer Eingreiftruppe.
Der Vorstoß der USA und Mexikos, deren Hauptinteresse die Eindämmung weiterer Fluchtbewegungen von Menschen aus Haiti ist, stößt aber auch auf Kritik. Vor einer solchen Einmischung in die inneren Angelegenheiten Haitis warnen nicht nur Stimmen der Opposition in Haiti. Eine bewaffnete Intervention werde nur kurz für Ruhe sorgen und einen Volksaufstand provozieren, befürchtet etwa Dan Foote, früherer US-Sonderbeauftragter der Regierung von Präsident Joe Biden für Haiti. »Es ist fast unbegreiflich, dass die USA, die Uno und weitere Institutionen Ariel Henry blindlings hinterherstolpern, obwohl fast alle Haitianer eine andere Lösung fordern«, so der Experte. Aus Protest gegen die harte US-Abschiebepolitik gegen Flüchtlinge aus Haiti und Washingtons Protektion für Henry hatte Foote erst kürzlich sein Amt niedergelegt.
Erst das Erdbeben mit Hunderttausenden Toten 2010, mehrere UN-Friedensmissionen nach Putschen und Volksaufständen, dann die bis heute nicht aufgeklärte Ermordung von Präsident Jovenel Moïse im Juli des vergangenen Jahres und ein erneutes Beben mit Hunderten Opfern am 14. August 2021 – die älteste Republik Lateinamerikas findet keinen Frieden. In den zurückliegenden Wochen war es in dem Elf-Millionen-Einwohner-Staat wiederholt zu Massenprotesten gegen die Wirtschaftskrise gekommen. Im ärmsten Land der westlichen Hemisphäre bringt sie für viele das nackte Überleben in Gefahr. Rund die Hälfte der Bevölkerung leidet unter Hunger.
Das Fass zum Überlaufen gebracht hatte die Entscheidung von Premier Henry, die staatlichen Treibstoffsubventionen zu kürzen. Für Unmut sorgt auch, dass der Moïse-Nachfolger bisher keine Wahlen abhalten ließ. Schwer bewaffnete Banden, die in großen Teilen der Hauptstadt Port-au-Prince mehr Macht ausüben als der korrupte Staat, nutzen die Lage für sich aus. Seit Wochen hält die G9-Gang von Bandenchef »Barbecue« das Varreux-Tanklager besetzt. Der Speicher am Hafen von Port-au-Prince ist der wichtigste im Inselstaat. Zur galoppierenden Inflation, Massenarbeitslosigkeit und Bandengewalt kommt eine Gesundheitskrise, die der Treibstoffmangel noch verschärft. Krankenhäuser kämpfen mit den Folgen der Coronakrise. Dazu kommt ein neuer Cholera-Ausbruch mit Dutzenden Toten. Die Versorgung mit sauberem Wasser ist in weiten Teilen Haitis nicht gewährleistet.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.