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Erschossener Jugendlicher stand nicht unter Drogen

Die Dortmunder Polizei dürfte nach den neuen Erkenntnissen im Fall Mouhamed stärker unter Druck geraten

  • David Bieber
  • Lesedauer: 4 Min.
Gedenkstätte vor der St. Antoniuskirche in Dortmund für den Senegalesen Mouhamed Lamine Dram, der im Alter von 16 Jahren von der Polizei erschossen wurde.
Gedenkstätte vor der St. Antoniuskirche in Dortmund für den Senegalesen Mouhamed Lamine Dram, der im Alter von 16 Jahren von der Polizei erschossen wurde.

Fatma Karacakurtoglu sieht sich bestätigt. Die Dortmunder Ratsfrau der Linken hatte ebenso wie andere linke Politiker und Aktivisten schon seit Längerem vermutet, dass Mouhamed Lamine Dramé, der Anfang August von der Dortmunder Polizei erschossen wurde, weder Alkohol noch Drogen zu sich genommen hatte. Nach Agenturinformationen aus Justizkreisen kommt das nun vorliegende toxikologische Gutachten zu diesem Ergebnis. »Ich fordere eine zügige Aufklärung des Falls«, erklärte Karacakurtoglu.

Durch das Gutachten dürfte auch die Polizei stärker unter Druck geraten. Denn bislang stand auch die Vermutung im Raum, dass der Flüchtling sich etwa wegen Alkohol- oder Drogeneinflusses trotz Taser-Beschusses weiter vorwärts bewegt haben könnte. Nach früheren Angaben war der Jugendliche, der ein Messer in der Hand hatte, von den Polizeibeamten zunächst mit Pfefferspray besprüht worden. Danach sei er zweimal mit einem Elektroschock-Gerät beschossen worden.

Wie es in einem früheren Bericht an den nordrhein-westfälischen Landtag hieß, traf der zweite Schuss: Eine Elektrode habe den Jugendlichen am Glied getroffen, eine am Unterbauch. Das habe den 16-Jährigen aus dem Senegal nicht gelähmt, ihm aber wahrscheinlich Schmerzen zugefügt. Inzwischen gehen die Ermittler nach Agentur-Informationen davon aus, dass der Senegalese sich vor Schmerzen mindestens gekrümmt haben muss, da er nicht durch Drogen oder Alkohol betäubt gewesen sei.

Das Verhalten des 16-Jährigen nach den Taser-Schüssen ist entscheidend für die weiteren Ermittlungen. Denn nach dem Taser-Einsatz wurde Mouhamed von einem Beamten mit dessen Maschinenpistole erschossen. Unklar ist weiter, ob das – als Sicherung der Kollegen – nötig war. Sowohl die Staatsanwaltschaft als auch NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) hatten Zweifel am gesamten Einsatz geäußert. Zwischenzeitlich wurden die beteiligten Beamten vorläufig vom Dienst suspendiert. Zudem liegt den Ermittlern mindestens eine Tonaufnahme vom Einsatz vor, die aber noch vom BKA ausgewertet werden muss.

Am Mittwoch wurde der Fall sowohl im Gesundheits- als auch im Rechtsausschuss des NRW-Landtages behandelt. Im Gesundheitsausschuss ging es um die Entlassung des Jugendlichen aus der psychiatrischen Klinik wenige Stunden vor seinem Tod.

Am Donnerstag beschäftigte sich außerdem der Innenausschuss des Düsseldorfer Landtages erneut mit dem Fall. Nicht nur die oppositionelle SPD, sondern auch außerparlamentarische Gruppen wie etwa die »Grüne Jugend NRW« drängen auf »lückenlose Aufklärung«. Mouhameds Eltern im westafrikanischen Senegal wollen ebenfalls endlich wissen, warum ihr Sohn sterben musste, berichtet William Dountio aus der Dortmunder Nordstadt, der mit der Familie in Kontakt steht.

Aus Sicht der Linke-Lokalpolitikerin Karacakurtoglu hat die Polizei bei dem Einsatz »überreagiert«. Denn nach dem Taser-Einsatz wurde sofort mit einer Maschinenpistole auf den Jungen geschossen. »War das wirklich notwendig?«, fragt sie. Sie hat aber noch weitere Fragen. »Wir wollen wissen, wie die Polizei in Dortmund und generell darauf reagiert und welche Konsequenzen auch in der Polizeiausbildung und Schulung gezogen werden«.

Ferner will Karacakurtoglu wissen, ob im Blut Mouhameds Medikamente nachgewiesen worden sind, die einen möglichen Suizidwunsch als Nebenwirkung verstärkt beziehungsweise ihn ermöglicht hätten. »Es gibt Medikamente, die eine verstärkende suizidale Nebenwirkung haben, die bei ›nicht gefährdeten‹ Patienten nach der Entlassung aus einer Klinik eingesetzt werden. Tatsächlich führen sie aber oft dazu, dass die ›nicht gefährdeten Menschen‹ trotzdem Selbstmord begehen.«

Zudem fordert die Linke-Politikerin wie auch jüngst der Bochumer Wissenschaftler Karim Fereidooni im nd-Interview eine »unabhängige Institution mit weitreichenden Ermittlungsrechten in Fällen, wo Menschen durch Polizeischüsse starben«.

Dountio und Karacakurtoglu sind Mitglieder im »Solidaritätskreis Mouhamed« und organisieren zusammen mit anderen am Samstag, dem 19. November, bundesweite Demonstrationen in Gedenken an Mouhamed und andere Opfer von Polizeigewalt und rassistischer Gewalt.

NRW-Innenminister Reul soll bereits eine Stunde nach den Schüssen informiert worden sein. Allerdings soll es in der »Lageerstmeldung« ans Ministerium geheißen haben: »Nach aktuellem Stand besteht keine Lebensgefahr.« Das berichtete das Portal DerWesten.de und bezog sich auf den aktuellen Bericht für den Innenausschuss. Wenig später wurde in der Klinik der Tod des 16-Jährigen festgestellt.

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