Diversität im Atomeinsatz

Wie ein nuklearer Krieg medial-martialisch herbeitrompetet wird

  • Detlef Kannapin
  • Lesedauer: 5 Min.
Die Bundeswehr im Zeichen des Regenbogens? Kriegsopfern dürfte das herzlich egal sein.
Die Bundeswehr im Zeichen des Regenbogens? Kriegsopfern dürfte das herzlich egal sein.

Falls es sich nicht um eine Ente der Militärpolitischen Mitteilungen, auch bekannt als »Der Spiegel«, gehandelt hat, ließ sich Mitte des Monats der Berater einer Kompradoren-Kriegspartei im osteuropäischen Aufmarschgebiet, namentlich Oleksij Arestowytsch im unermüdlichen Einsatz für seinen Präsidenten Wolodymyr Selensky, verheißungsvoll zitieren. Wenn und sofern die andere Kompradoren-Kriegspartei im Februar kommenden Jahres begönne, »taktische Atomwaffen« einzusetzen, würde auch das den Krieg nicht beenden. Hinzu kam die Nennung einer Zahl dieser Waffen, nämlich »zehn bis zwanzig«.

Auf diese Meldung, sofern sie eine echte gewesen sein sollte, erfolgte: nichts! Kein Aufschrei der sonst so höchst reizbar agierenden Gemeinde aus veröffentlichter und halbwegs sozialer Medienmeinung, keine Interpellation internationaler Organisationen, keine Sondermission von Papst, Dalai Lama, Tennō, Patriarchen und Stammesfürsten, kein Bann der Meldungserzeuger und Meldungsverbreiter durch IWF, WTO, WHO und die internationalen Plattformbetreiber.

Wie tief der Diskurs auf Barbarenniveau abgesunken ist, kann man daran erkennen, dass die »realistische« Annahme eines Atomwaffeneinsatzes nicht etwa die Urheber wegen Unzurechnungsfähigkeit sofort in die geschlossene Einrichtung überführt, sondern als »zeitgemäße Politik« durchgeht. Die Wiedergänger der US-Atomgurus Edward Teller und Herman Kahn müssten sich doch unter normalen Umständen in solchen Einrichtungen die sowjetischen Aufklärungsfilme über die Folgen des Atomeinsatzes in Dauerschleife ansehen, um wenigstens für sich selber zu erfahren, dass ihr Spielen mit dem »technoromantischen Abenteuer« (Karl Kraus) auch für das 21. Jahrhundert entsprechende tödliche Wirkungen hat.

Aber das scheint geschenkt. Vor allem für diejenigen, die es ausbaden müssen. Begriffe wie »Endsieg« (worüber eigentlich?) geistern durch die Ätherwellen. Ralf »der Fücksilier« Fücks schaut wacker und kremlastrologisch versiert den Regierungswechsel in Moskau voraus. Und Claudia Major von der Stiftung Wissenschaft und Politik (Gott, so ein Krieg ist was Interessantes!) gibt wider alle Einsicht und streng konträr zu ihrem ursprünglichen Berufsbild die Strategin der Kriegszielklasse. Währenddessen erweitert sich das Blickfeld für die heimische Frontbegradigung durch zwei neue Kombattanten in Publikationsorganen, die einmal links waren oder zumindest schienen.

Da ist zum einen der als Politikwissenschaftler missverstandene Stabsgefreite d. R. Carlo Masala, der in der Neuen Kreuzzeitung, auch »Taz« genannt, bekannt hat, dass die deutsche Armee aufgerüstet werden muss, bis sie »bis an die Zähne bewaffnet« und auch einzusetzen ist. Um das Militär attraktiver zu machen, hat es divers zu sein und den Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft durch Rekrutierung zu ermöglichen. Also diversifizierter Positiv-Rassismus mittels Gelegenheit zur Schlachtfeldbegehung. Aber der, der eine Kritikerin nach Selbstbestätigung auch schon einmal »Mausebärchen« nennen darf – »Das geht immer: So ein bisschen verniedlichen, das bringt die auf die Palme, und das freut mein sportliches Gemüt« –, lanciert morgens schon zwei »Tweets« (à la »Shaka laka boom boom Krim«), um dann bei Jazz und Stempelkaffee erfrischend offen und wach für Diversität im Atomeinsatz zu plädieren.

Man wird abwarten müssen, ob ein Transgender-Leutnant den roten Knopf drücken darf oder doch einer der Machos aus Langley, aber das hängt vom gleichgültigen Versuch ab, wer länger die Spannung hochhält. Der Effekt dürfte der Gleiche sein, nur dass dann der Stabsgefreite entgegen seiner missionarischen Moralerkundung möglichst weit weg sein wird, um Mutation und Strahlentod als Ergebnisse seiner Fähigkeiten als »Analyst« und Berater des Kriegsministeriums nicht im Sinne eines eigenen Erfahrungswertes verspüren zu müssen.

Zum anderen hält sich seit April 2022 auch Albrecht von Lucke, Chefkommentator der Euroatlantischen Umschau, ehemals »Blätter für deutsche und internationale Politik«, für berufen, zur Einheitsphalanx der Verteidigung Europas nach dem Ende der Illusionen seinen militärkomplexen Beitrag zu leisten. Das geht, als hätte Lenin fast 100 Jahre nach seinem Tod Anschauungsunterricht in Sachen Imperialismus benötigt.

Denn die »Dimension des Krieges«, so von Lucke im aktuellen Heft auf Seite 8, »als eine historische Auseinandersetzung zwischen Diktatur und Demokratie [zwischen Klassenherrschaft und Klassenherrschaft? – DK] – ist in der deutschen Bevölkerung bisher noch gar nicht angekommen [komisch, denkt die selber oder fehlt es an gezielterer Lenkung? – DK]. Nur wenn es der Regierung gelingt, diese deutlich zu machen [der Verrat der Intellektuellen als Trompeter der Kriegstuten – DK], und wenn zugleich die tragenden Kräfte dieses Landes, Kapitalseite wie Gewerkschaften, mitgarantieren, dass niemand die Existenzgrundlage verliert [willkommen in der Volksgesellschaft – DK], werden die Bürgerinnen und Bürger mitziehen [an einem Strang, der wen aufhängt? – DK], wird dieses enorm reiche Land die materielle, aber auch die geistig-moralische Auseinandersetzung mit Putin bestehen. Das aber wäre dann tatsächlich jene gesamtgesellschaftliche ›konzertierte Aktion‹, die das Land heute so dringend braucht – und die ihren Namen wirklich verdient hätte.« Und nicht etwa Befreiung von Ausbeutung, universalen Humanismus, gesellschaftliche Emanzipation, globalen Umweltschutz, sozialistische Demokratie, Perspektiven auf eine menschliche Gesellschaft. Nicht mit von Lucke, nicht mit Masala, nicht mit den anderen aus der deutschen Einheitsfront, die tagein, tagaus das Mantra des spätimperialistischen Selbsterhaltungstriebs verbreiten.

*

Bericht aus dem Hauptquartier, 31. Oktober 2022: Gegen 5 Uhr abends wird im Leipziger Salon der deutschen Volksgesellschaft bei zwei Flaschen aserbaidschanischen Kognaks wieder eine gemütlich-alliiert-europäische Partie Monopoly gespielt. Über die sozialen Medien verbreiten sich Bilder von der Entstehung eines Melnyk-Schogiu-Walls in der Nähe des vormals sowjetischen Odessa. Die Spielkameraden beten zu Gott, dass der Wall möglichst lange halte und das Vormalige für immer vorbei sei …

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