• Berlin
  • Queerfeindliche Gewalt

Nicht sicher in der Regenbogenstadt

Angriff gegen queeren Jugendtreff in Neukölln untermauert Senats-Bericht zur Zunahme queerfeindlicher Gewalt

  • Nora Noll
  • Lesedauer: 4 Min.

Was sich vergangenen Freitag vor dem queeren Jugendtreff Q*ube in Neukölln abgespielt haben soll, lässt schlucken: Drei »aggressive Typen« hätten geklopft und gesagt, »dass sie keine Schwuc*** hier wollen und dass unser Club spätestens zu Silvester sowieso brennt«. So beschreibt die Einrichtung auf ihrem Instagram-Account den Angriff. »Unsere Kollegin und die Jugendlichen waren dementsprechend schockiert und haben sich in der Einrichtung verbarrikadiert.«

Als das Team von Q*ube eine Woche später an die Öffentlichkeit geht, lässt sich das als politischer Aufruf verstehen. »Wir hören so oft aus der Mitte der Gesellschaft, von politischen Parteien und von manchen, die an unserer Einrichtung vorbeilaufen, dass LGBTIQ* schon so viel haben und schon längst akzeptiert werden und warum es denn noch Schutzräume bräuche« – eine derart brutale Drohung beweise jedoch genau das Gegenteil. Solidarität sei gerade jetzt notwendig.

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Berlin mag als tolerante Regenbogenstadt gelten: Schwule Clubs ziehen Tourist*innen aus aller Welt an, Androgynität und Normbruch gehören zum Straßenstyle. Doch dieses Klischee deckt sich nicht mit der Lebensrealität queerer Menschen. Das zeigt auch eine Schriftliche Anfrage von Claudia Engelmann, queerpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus. Sie hat die Senatsinnenverwaltung nach Daten zu queerfeindlicher Hasskriminalität gefragt. Das Ergebnis ist in ihren Augen »alarmierend«.

Insgesamt hat sich in Berlin die Anzahl der queerfeindlichen Übergriffe innerhalb von drei Jahren verdoppelt. 2018 verzeichnete der »Kriminalpolizeiliche Meldedienst in Fällen Politisch motivierter Kriminalität« (KPMD-PMK) 230 Delikte, die in die Kategorien »Geschlecht/sexuelle Identität«, »Geschlechtsbezogene Diversität« und/oder »Sexuelle Orientierung« fallen. 2021 sind es bereits 528.

Wie immer beantworten Statistiken nicht die Frage nach der Ursächlichkeit. Melden sich vielleicht einfach mehr Betroffene bei der Polizei als früher? Engelmann kann das nicht ausschließen, weiß aber von den Trägern, dass insbesondere mehrfach diskriminierte Menschen weiterhin große Vorbehalte gegen die Polizei hegen. Sie denkt an Ella Nik Bayan, eine trans Frau aus dem Iran, nach Deutschland geflüchtet, die im September 2021 auf dem Alexanderplatz Suizid beging: »Ella wäre doch niemals zur Polizei gegangen, wenn sie sich da nicht sicher und aufgehoben fühlt.«

Engelmann geht deshalb von einer großen Dunkelziffer aus – und von einer uneinheitlichen Erfassung. »Das Meldesystem, das ist noch zu verschachtelt.« Es bräuchte in ihren Augen unabhängige Beschwerdestellen und eine breite Aufklärung darüber, wohin Betroffene von queerfeindlicher Gewalt sich wenden können. »Ich bin auch Diskriminierung ausgesetzt«, erzählt Engelmann. »Und obwohl ich aus der Szene komme, kannte ich selbst den L-Support nicht.« Der L-Support ist ein auf lesbenfeindliche Gewalt spezialisierter Träger, der als Beratungsstelle mit der Stadt kooperiert und mit der Polizei bei der Datenerfassung im Austausch steht.

Die polizeiliche Statistik erfasst nicht nur die Gesamtzahl der Hassdelikte in Berlin, sondern ihre Verteilung auf die Bezirke. Auf den ersten Blick stechen vor allem Mitte, Friedrichshain-Kreuzberg und Neukölln mit ihren hohen Zahlen ins Auge. Doch während in diesen »Szenekiezen«, wie Engelmann sie nennt, die Hasskriminalität seit 2018 nur leicht gestiegen ist, haben sich die Zahlen in Randbezirken außerhalb des S-Bahnringes zum Teil vervierfacht. In Lichtenberg ist die Anzahl der Delikte in den drei Jahren sogar von fünf auf 34 gestiegen. »Wir müssen gucken, dass wir in die Fläche kommen, im Grunde brauchen die ehemaligen Ostbezirke eine Motivation, dort Projekte zu verankern.«

Denn auch wenn Berlin im Vergleich zum ländlichen Raum bereits viele Strukturen und Orte für queere Menschen bietet – in Engelmanns Augen reicht das noch lange nicht aus. Insbesondere beim Thema Transgeschlechtigkeit brauche es Sensibilisierung. »Trans Personen können sich auch in einer Großstadt überhaupt nicht sicher fühlen, weder in Bus und Bahn noch in sogenannten Safe Spaces.« Der Angriff auf das Q*ube sei dafür ein beunruhigendes Beispiel. Dass Rechtsextreme die Queer- und Transfeindlichkeit als Thema für sich wiederentdeckt haben, macht eine geplante Kundgebung der Jungen Alternative deutlich: Die Jugendpartei der AfD will am Samstag gegen das geplante Wohn- und Kitaprojekt der Schwulenberatung am Südkreuz protestieren.

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