Ein Teil der DNA Israels

Der Organisierungsgrad von Arbeitern und Angestellten in Gewerkschaften ist immer noch sehr hoch

  • Oliver Eberhardt
  • Lesedauer: 3 Min.

Arnon Bar David ist zur Zeit ein vielbeschäftigter Mann. Die Inflation ist auch in Israel stark gestiegen – zu stark, meint der Generalsekretär des mächtigen Gewerkschaftsdachverbandes Histadrut und hat zu einem Boykott bestimmter Marken und Ketten aufgerufen, denen vorgeworfen wird, die Situation auszunutzen. Mit Erfolg: Der Preisanstieg verlangsamte sich.

Gewerkschaften sind ein Teil der israelischen DNA. In Theodor Herzls Vision von einem Judenstaat hatten sie einen festen Platz; schon Anfang des 20. Jahrhunderts wurden die ersten örtlichen Gewerkschaften gegründet, die später unter dem Dachverband Histadrut organisiert wurden. Auf dem Höhepunkt waren die Chefs der Histadrut mächtiger als der Premierminister. Wenn sie es wollten, standen alle Räder still, denn Solidarität wurde über die Berufsgrenzen hinweg groß geschrieben.

Die Zeiten, in denen fast alle Arbeitnehmer*innen in der Gewerkschaft waren, sind vorbei. Doch in einigen Bereichen ist der Einfluss der in der Histadrut organisierten Gewerkschaften immer noch sehr hoch. So sind nach Angaben des Dachverbandes mehr als 80 Prozent aller staatlichen Bediensteten in der Gewerkschaft organisiert; bei den Krankenversicherungen seien es sogar über 90 Prozent. Mehrfach streikten in den vergangenen Jahren sogar die Diplomat*innen in den israelischen Botschaften.

Doch allumfassend ist die Reichweite der Gewerkschaften in der Histadrut nicht. Denn vor allem junge Israeli*nnen arbeiten in kurzfristigen, schlecht bezahlten Jobs mit kurzen Kündigungsfristen; die vielen Neuwahlen und Regierungswechsel in den vergangenen Jahren behindern zudem wichtige Gesetzgebungsverfahren. Vor allem bei den schicken urbanen Kaffeeketten und hippen Start-Ups arbeitet die Belegschaft für wenig Geld nach der Regel: Wer sich beschwert, ist raus.

Katastrophal ist die Lage bei Menschen aus dem Ausland oder den palästinensischen Gebieten. Seit einigen Monaten lässt die Regierung wieder mehr Arbeiter*innen aus dem Gazastreifen einreisen, die zwar auf dem Papier die gleichen Rechte haben wie israelische Arbeitskräfte, diese Rechte aber nicht kennen und auch nicht über die Mittel verfügen, sie durchzusetzen. Zudem halten sich auch viele Menschen im Land auf, die einst als Flüchtlinge aus dem Sudan oder als Pflegekräfte aus asiatischen Ländern kamen. Oft sind die Visa abgelaufen; der ideale Nährboden für Missbrauch und Ausbeutung.

Es sind vor allem nicht als offizielle Gewerkschaft geführte Organisationen, die sich um diese Menschen kümmern. Maan widmet sich palästinensischen Arbeitskräften, Kav LaOved ist vor allem für Geflüchtete und Arbeitskräfte aus dem asiatischen Ausland da. Anders als bei der Histadrut liegt der Fokus bei ihnen nicht auf dem Arbeitskampf, sondern auf Aufklärung, Beratung und Rechtshilfe. Denn viele dieser Menschen fürchten die Behörden. Zudem versucht man, Politik und Öffentlichkeit für die Situation dieser Menschen zu sensibilisieren.

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