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Die fliegenden Pest-Leichen von Kaffa
Ausstellung zeigt Entwicklung der Bio-Waffen
Schon im Spätmittelalter kamen Kriegsherren darauf, dass es billigere Mittel gibt, um ihre Gegner zu dezimieren als Feuer und Schwert: die Erreger von Seuchen. Bakterien, Viren und Pilze können versprüht, in Trinkwasser oder Lebensmittel eingebracht und auf Kleidungsstücke aufgetragen werden. Sie sind unsichtbar, schnell in großen Mengen herzustellen und billig. Die Kosten für die Verseuchung eines Quadratmeters betragen nach Angaben des Biologen Malcolm Dando von der University of Bradford nur einen Dollar.
Natürlich sahen die Biowaffeneinsätze vor 700 Jahren noch etwas anders aus als heute. Die von dem Bucher Biowaffen-Experten Erhard Geißler konzipierte Ausstellung geht deshalb bis zu den ersten schriftlichen Überlieferungen biologischer Angriffe zurück. Im Jahre 1346 sollen die Tataren Pestleichen über die Stadtmauer der genuesischen Kolonie Kaffa (heute Feodossija) auf der Krim geschleudert und so eine der schlimmsten Epidemien der Geschichte ausgelöst haben. Mehr als ein Drittel der Europäer fiel ihr zum Opfer. Auch die Briten waren nicht zimperlich bei der Eroberung der »Neuen Welt«. Im 18. Jahrhundert »beschenkten« sie Indianer mit pockenverseuchten Decken.
Im Umfeld des ersten Weltkrieges kam die Biowaffenforschung dann richtig in Schwung: Die Deutschen infizierten Pferde und Rinder mit Milzbranderregern und Rotzbakterien. Daraufhin rüsteten die anderen Großmächte auf. So produzierten die Briten Rindertrockenfutter mit Milzbrandsporen, welches allerdings nie zum Einsatz kam. Einzig Japan setzte großflächig Bio-Waffen ein. Dieser »Feldversuch« in China forderten nach neuesten Studien 270000 Todesopfer.
Doch nicht nur die wahrhaft schrecklichen Folgen von bakteriologischen und virologischen Kampfmitteln werden im Foyer des MDC auf Schautafeln dargestellt - auch skurrile Begebenheiten werden nicht ausgespart. In den 50er Jahren machte die DDR-Propaganda aus dem massenhaften Auftreten des Kartoffelkäfers kurzerhand einen Sabotageakt der USA und fortan hießen die Insekten »Ami-Käfer«.
Nicht zuletzt widmet Geißler einen Teil seiner Ausstellung den Versuchen einer Kontrolle von Biowaffen von der Unterzeichnung des Genfer Protokolls zum Verbot biologischer Kampfstoffe (1925) bis zu der durch die USA nun fast gekippten Bio-Waffen-Konvention von 1972. Beide Abkommen boten jedoch von Anfang an Schlupflöcher, indem sie Forschungen zur Abwehr von Bio-Waffen zulassen. Die Fabriken des Irak und die Milzbrandbriefe in den USA zeigen deutlich die Unzulänglichkeit der Kontrollinstrumente. Die Gentechnik eröffnet den potenziellen Bio-Kriegern neue, gefährliche Möglichkeiten.
Bis 28. Februar im Foyer des Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin, Robert-Rössle-Str. 10, Berlin-Buch, Montag bis Freitag, 10 bis 17 Uhr.
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