Beichte eines Bittstellers

Ex-Bundesgesundheitsminister Jens Spahn reflektiert seine Bedeutung in zwei Jahren Covid-Pandemie

  • Silvia Ottow
  • Lesedauer: 4 Min.

Ein Witz aus den obersten Etagen des Berliner Politbetriebes geht so: Eine Mutter hatte zwei Söhne. Der eine fuhr zur See, der andere wurde Parlamentarischer Staatssekretär. Von beiden hat man nie wieder etwas gehört.

Vielleicht kannte der 22-jährige Münsterländer dieses Bonmot, als er 2002 für seinen Wahlkreis 124 in den Bundestag geschickt wurde. Denn der karrierebewusste Bankkaufmann aus Ahaus wollte schon damals alles andere, nur nicht Staatssekretär werden. 2015 wurde er es dann doch, und zwar bei seinem Parteikollegen und Bundesminister Wolfgang Schäuble im Finanzministerium, einem erfahrenen Politprofi. Bewunderung für den bekannten Christdemokraten liest man zwischen den staubtrockenen Zeilen, mit denen Spahn seine Zeit in diesem Regierungsamt beschreibt – oder besser gesagt: beschreiben lässt.

Die Journalisten Olaf Köhne und Peter Käfferlein haben mit dem viel beschäftigten CDUler gesprochen und seine Ausführungen aufgezeichnet. Man weiß nicht: Hat er nicht mehr gucken lassen? Spricht er wirklich so? Oder musste es schnell gehen, und die beiden Kollegen haben deswegen Klischee an Klischee gereiht?

Jedenfalls arbeitete Jens Spahn mit Wolfgang Schäuble »an Themen wie dem ausgeglichenen Bundeshaushalt und der Einhaltung der Schuldenbremse, der Stabilität der Eurozone oder der Förderung von digitalen Start-ups in der Finanzwirtschaft«. Eine harte Schule sei das gewesen; hier habe er gelernt, die großen Linien im Blick zu haben, in schwierigen Zeiten die Ruhe zu bewahren und so weiter und so fort.

War da nicht mal was zwischen Schäuble und Merkel? Und zwischen Spahn und Merkel? Wuchsen nicht in dieser Zeit Spahns Ambitionen, Kanzler zu werden? Oder wenigstens Parteivorsitzender? Gab er da nicht ein Buch mit kritischen Meinungen zu Merkels Flüchtlingspolitik heraus? All das wäre vielleicht interessant gewesen. Doch selbst, wenn es mal spannend wird und Spahn berichtet, wie sein Chef Kritik an ihm zu äußern pflegte, bleibt er allgemein und wagt es nicht einmal, den Gegenstand dieser Kritik zu benennen.

Im Wesentlichen geht es jedoch in Spahns, Köhnes, Käfferleins Buch um die zwei Pandemiejahre 2020 und 2021. Gerade zwei Jahre zuvor war Spahn Gesundheitsminister geworden – der Benjamin im Merkel-Kabinett, unterwegs mit einem Täschchen Amtserfahrung und einem Koffer Selbstbewusstsein. Gefühlt wöchentlich verließ irgendein Gesetzentwurf sein Haus, täglich wurden neue Vorhaben in Aussicht gestellt. Er reiste nach Kroatien und Mexiko, um diesen Ländern ihre ausgebildeten Pflegekräfte abzuschwatzen. Bald nannte man ihn den Ankündigungsminister.

Darüber hinaus war der Katholik und einstige Ministrant mit Überlegungen beschäftigt, den Krankenkassen noch mehr Ausgaben aufzubürden, die Pflegeversicherung dem Kapitalmarkt auszuliefern und beim Schwangerschaftsabbruch Härte zu zeigen. So verkündete er, die Pille danach sei nun mal kein Smartie.

Dann kam Corona, sozusagen die Krone seiner Ministerkarriere. Dafür hatte niemand eine Blaupause, heißt es in Spahns selbstverliebtem Rückblick auf diese Zeit, gern unter Verwendung der in politischen Kreisen üblichen Formeln. Die Blaupause geht, nur nebenbei bemerkt, auf das Lichtpausverfahren (Cyanotypie) zurück, das 1842 von John Herschel erfunden wurde und unter den Parlamentariern des Bundestages mangels digitaler Kopiermöglichkeiten offenbar immer noch en vogue ist.

Wie besessen arbeitete Spahn damals an der Beschaffung von Masken, vielfach zu exorbitanten Preisen von über vier Euro für das Stück; sogar über die Firma seines Ehemannes sollen Geschäfte gelaufen sein. Open House heißt das Zauberwort für Einkäufe ohne Ausschreibungen. Spahn ist jedenfalls sehr stolz darauf, wie die »Beschaffung« damals gelaufen ist, als man in seinem Haus damit doch keine Erfahrung hatte.

Für ihn sind die peinlichen Masken-Skandale, das Durcheinander im Pandemiemanagement oder das Desaster im Pflegebereich kein Thema. Fehler passieren schließlich, wenn man so hart arbeitet und entschlossen handelt wie er. Außerdem sei er nur ein »koordinierender Bittsteller« gewesen. Mehr könne ein Bundesgesundheitsminister qua Amt leider nicht sein. Die falsche Beichte des fröhlichen Katholiken deutet darauf hin, dass er sich mit der frechen Umwandlung von Minus- in Pluspunkte doch noch für ein höheres Regierungsamt bewerben möchte.

Wir werden einander viel verzeihen müssen. Diesen Gedanken brachte Spahn in einer Antwort auf die Frage der Linke-Abgeordneten Gesine Lötzsch unter. Sehr zu seiner Freude wurde er Minuten später damit in allen Medien zitiert. Das hat ihm sehr gefallen – und ist vielleicht wirklich das Beste, was aus seiner Amtszeit bleibt.

Jens Spahn: Wir werden einander viel verzeihen
müssen. Unter Mitarbeit v. Olaf Köhne u. Peter
Käfferlein. Heyne, 302 S., geb., 22 €.

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