Mit Turbulenzen zusammengerauft

NRW-Linke wählt neue Landesspitze – Konflikte bleiben

Wie widersprüchlich ein einzelner Parteitag sein kann, das demonstrierte die nordrhein-westfälische Linke am vergangenen Wochenende in Kamen. Am Sonntagnachmittag herrschte große Einigkeit. Resolutionen zum Erhalt des vom Braunkohletagebau bedrohten Dorfes Lützerath und für die Solidarität mit der Protestbewegung im Iran wurden ohne Gegenstimmen verabschiedet. Der ganze Parteitag schmetterte Parolen für den Erhalt des Dorfes und für internationale Solidarität.

Kurz zuvor stand Michael Kretschmer, der sich bei Parteitagen in NRW um die Organisation der Wahlen kümmert, noch auf der Bühne und sagte, dass er »sprachlos« sei. So etwas habe er »nicht mal in den wüstesten PDS-Zeiten erlebt«. Was war geschehen? Die beiden Kandidatinnen für die zwei Posten der stellvertretenden Landessprecherinnen waren in zwei Wahlgängen durchgefallen. Zweimal stimmte eine Mehrheit der Delegierten gegen Aie Al Khaiat und Sefika Minte oder enthielt sich. Ein extra einberufenes Frauenplenum und Debatten über das weitere Verfahren drohten den Parteitag am Sonntagvormittag zu sprengen.

Warum die beiden Kandidatinnen keine Mehrheit fanden, darüber herrschte Uneinigkeit. Mitglieder der Sozialistischen Linken äußerten, das habe wohl inhaltliche Gründe und es sei legitim, Kandidatinnen abzulehnen. Andere witterten Frauenfeindlichkeit, Rassismus und den Versuch, den Parteitag zu blockieren. Besonders entzündeten sich die Debatten an der Kandidatur von Aie Al Khaiat. Die 27-Jährige sprach sich für eine intersektional feministische Ausrichtung
des Landesverbands aus und wusch in ihrer Bewerbungsrede den Delegierten ordentlich den Kopf, indem sie strukturelle Änderungen einforderte, die dafür sorgen sollen, dass auch mehr Migrant*innen oder Transsexuelle in Parteiämtern repräsentiert werden. Es reiche nicht, sich feministisch und antirassistisch zu nennen. Al Khaiat fiel mit ihrer Rede und ihrer Kandidatur durch. Am Sonntag erklärte sie, dass zwei Delegierte ihr gesagt hätten, dass sie sie nicht wählen, weil sie ein Kopftuch trägt. Zum dritten Wahlgang für die stellvertretende Landessprecherin trat Al Khaiat nicht mehr an. Gewählt wurden dann Sefika Minte und die kurzfristig aufgestellte Kandidatin der Sozialistischen Linken Angelika Link-Wilden. Aie Al Khaiat erklärte im Nachgang des Parteitags gegenüber dem »nd«, dass sie »enttäuscht über den Umgang miteinander« sei und sich gewünscht hätte, dass der Streit »nicht auf meinem Rücken ausgetragen wird«. Den neuen Landesvorstand möchte sie trotzdem unterstützen und ihre intersektional feministische Perspektive einbringen.

Geführt wird der Landesverband jetzt von der Doppelspitze Kathrin Vogler und Sascha H. Wagner. Die Bundestagsabgeordnete Vogler hatte ihre Kandidatur erst am Freitagnachmittag erklärt, nachdem es bis dahin keine Kandidatin für das Amt der Landessprecherin gegeben hatte. Gegen Wagner trat Mehmet Sencan an. Bei den Wahlen stimmten 69 Prozent der Delegierten für Kathrin Vogler und magere 54 Prozent für Sascha H. Wagner. Zum Abschluss des Parteitags sagte Vogler, dass ihr die vielen leisen Mitglieder, die kein Interesse an Spaltungsdebatten und Richtungsstreit hätten, Mut machten, und dass sie dafür kämpfen wolle, dass diese stärker zu Wort kommen. Gemeinsam mit Wagner sagte sie »nd«, dass der Parteitag »turbulent und konfliktgeladen« gewesen sei. Für die Wahl des neuen Landesvorstands habe es »Klärungsprozesse« gebraucht, die »besser vor dem Parteitag stattgefunden hätten«. Am Ende habe sich allerdings gezeigt, dass man »nicht nur inhaltlich über ein großes gemeinsames Fundament« verfüge und eine große Mehrheit den Willen habe, »unproduktive Auseinandersetzungen zu beenden«. Aufgabe der Linken sei es, in Zeiten multipler Krisen Hoffnung zu geben und Alternativen zu Massenarmut, Krieg und Klimakrise aufzuzeigen. Dafür wolle der neue Landesvorstand arbeiten, so Vogler und Wagner. Der Leitantrag des alten Parteivorstands, der sich schwerpunktmäßig für sozial gerechte Wege aus der Krise aussprach und die Partei dazu aufforderte, Proteste zu organisieren und solidarische Selbsthilfe zu entwickeln, wird eine Arbeitsgrundlage für die neue Landesführung sein.

Eine leichte Aufgabe wird es nicht, die nordrhein-westfälische Linke zu führen. Das zeigte sich während und noch stärker nach dem Parteitag in den Sozialen Medien, speziell bei Facebook. In Dutzenden Beiträgen und hunderten Kommentaren warben Mitglieder für ihre Interpretationen der Ergebnisse des Parteitags. Scharfe Angriffe gegen einzelne Parteimitglieder waren dabei keine Ausnahme. Bekannte Protagonisten der unterschiedlichsten Parteiströmungen griffen sich gegenseitig immer wieder scharf an. Die Empfehlung der ehemaligen Landeschefin Gunhild Böth, »Facebook, Twitter oder sonstwas abzuschalten«, um sich »viel Schwachsinn zu ersparen«, blieb ungehört. So bleibt es fraglich, ob die Partei in naher Zukunft in der Lage sein wird, das gemeinsame Fundament wirklich für einen tragfähigen Aufbau zu nutzen.

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