Drei Puzzleteile für Klimagerechtigkeit

Die Klimabewegung verfolgt unterschiedliche Ansätze. Diese Vielfalt ist nötig, auch wenn sie Reibungen mit sich bringt, meint Lasse Thiele

  • Lasse Thiele
  • Lesedauer: 3 Min.

Ob tieffliegende Dosensuppen oder Sekundenkleber – Klima-Protesttaktiken werden massenmedial diskutiert. Meist oberflächlich: Ist die Aktion moralisch vertretbar? Spannender ist der Blick auf die verschiedenen strategischen Ansätze hinter diesen Taktiken. Denn während Klimaschutz als abstrakte Idee populär ist, hat die deutsche Klimagerechtigkeitsbewegung im Konkreten ein erhebliches Hegemonie-, ergo Durchsetzungsproblem. Doch verschiedene Strömungen halten jeweils wichtige Puzzleteile in der Hand.

Erstens zielt ein Teil der Bewegung mit zivilem Ungehorsam auf fossile Energiekonzerne. Wie beim Aktionsbündnis »Ende Gelände« geht es dabei zunehmend direkt ums Globale: Es ist das fossile Kapital, das neokoloniale Ausbeutung im globalen Süden für den europäischen Energiehunger organisiert. Vermehrt wird die Zusammenarbeit mit Gruppen aus dem globalen Süden sowie migrantischen Selbstorganisationen gesucht. Auch staatliche Repression ist verstärkt Thema – wie schon bei Black Lives Matter. Einerseits wird nun über Zuspitzung hin zu aktiver Sabotage diskutiert. Gleichzeitig möchte man anschlussfähig sein – nicht leicht mit diesen Inhalten, Aktionsformen und ihrer Sprache.

Zweitens betreibt der – nicht der organisierten Linken entwachsene – »Aufstand der letzten Generation« mehr als nur eine notwendige konfrontative Generationenpolitik. Ob Autobahnblockaden oder Kartoffelbreiwurf: Ziel ist die maximale Störung einer nicht mehr tragbaren Alltagsnormalität. Denn: Nicht nur Staat und Konzerne sabotieren Klimaschutz, auch die Komplizenschaft der Mehrheitsgesellschaft und ihr ständiges Verdrängen stützen den fossilen Kapitalismus.

Doch beiden aktivistischen Strömungen fehlt ein klarer Pfad zu politischer Veränderung: Zwischen Spektakeleffekt, der »Preis nach oben treiben«-Logik der direkten Aktion und Regierungsappellen klafft eine Lücke, die mit dem Fehlen einer wirklichen Massenbasis zu tun hat.

Hier setzt eine dritte Strömung an. In der marxistischen Linken verortet und staats- wie klassentheoretisch gerüstet, setzt sie vor allem auf geduldige Organisierung: Klima ist auch nur Klassenkampf und gegen zerstörerische Kapitalinteressen helfe nur breite Gegenmacht. Gerade weil er zuerst das Eigeninteresse der Arbeiter*innen mobilisiert, stößt auch dieser Ansatz an Grenzen. Die schlichte Klassenkampferzählung übergeht die komplizierte Stellung der deutschen Mehrheitsgesellschaft im globalen Klassengefüge: Unmittelbar drohen selbst der unteren Mittelschicht durch radikalen Klimaschutz Komfortverluste. So neigen Teile dieser Fraktion zu einer linken Variation der Technikmythen des »grünen« Kapitalismus: Gegen Kapitalinteressen wäre ein schmerzloser grüner Umbau durchsetzbar, heißt es – niemand außer den ganz Reichen müsste dafür verzichten. Solange der Rest der Welt billige Rohstoffe liefert, teure Exportgüter kauft und bescheiden bleibt, wäre hinzuzufügen.

Spannungen liegen auf der Hand: Der Organizing-Flügel kritisiert die selbstreferenziellen Spektakel der anderen – jungen, urbanen, akademischen – Strömungen. Die antikoloniale Fraktion stört sich am Katastrophismus und dem Anschein politischer Naivität der »Letzten Generation« wie am impliziten Nationalismus der Organizer*innen, deren Marxismus in der Praxis als gewöhnliche Sozialdemokratie zu enden droht. Dem »Letzte Generation«-Spektrum wiederum dauert es angesichts des nahenden Klimakollapses zu lange, erst das Erbe von Kolonialismus und Kapitalismus aufzuarbeiten. Wo wäre die Abkürzung zur Emanzipation?

Wenig zielführend wäre nun, diese Differenzen als »unproduktiven Streit« abzutun und zur Einigkeit zu mahnen. Es braucht die Diversität der Ansätze – nicht als Beliebigkeit, sondern in Anerkennung der sozialen und ökologischen Komplexität der Klimakrise. Die produktivere Frage wäre, wie die Puzzleteile ineinander passen: Alltagsstörung, Konfrontation mit dem fossilen Kapital und Aufbau einer Massenbasis für Klimagerechtigkeit.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -