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Frust und Zorn bei den Metallern
Die IG Metall zeigt sich nach Warnstreiks und vor Tarifrunde kämpferisch
Es wird wieder gestreikt in der Bundesrepublik. Diese Woche beteiligten sich bundesweit mehr als 200 000 Beschäftigte bei über 1000 betrieblichen Aktionen an Warnstreiks in der Metall- und Elektroindustrie. Allein am Freitag zählte die IG Metall bis zum frühen Nachmittag rund 83 000 Teilnehmende aus etwa 400 Betrieben. »Die große Beteiligung zeigt: Die Kolleginnen und Kollegen stehen geschlossen hinter unserer gemeinsamen Forderung. Sie sind fest entschlossen, für ihren verdienten Anteil zu kämpfen«, erklärte IG-Metall-Chef Jörg Hofmann am Freitag.
Die bisher angebotene Sonderzahlung sei keine Grundlage für ernsthafte Verhandlungen. Die Beschäftigten brauchten dauerhafte ordentliche Entgelterhöhungen, betonte Hofmann mit Blick auf die vierte Verhandlungsrunde und forderte die Arbeitgeber*innen auf, »deutlich nachzubessern«. Die Gewerkschaft fordert acht Prozent mehr Lohn und kündigte weitere Aktionen bis zur nächsten Verhandlungsrunde an.
Zu den Warnstreiks kam es, nachdem die Arbeitgeber*innen nach sechs Wochen Verhandlungen bei der dritten Verhandlungsrunde Ende Oktober ein erstes Angebot auf den Tisch legten, das die Gewerkschaft als deutlich zu niedrig ablehnten. Kurz darauf, am 28. Oktober, endete die Friedenspflicht. Damit begannen in den ersten Bezirken die Aktionen. Nächste Woche läuft in dem Tarifkonflikt die vierte Verhandlungsrunde mit den Arbeitgeber*innen. Vom Verlauf der Gespräche hängt ab, wie es weitergeht. Liefern die Arbeitgeber*innen ein Angebot, über das man reden kann oder steht eine weitere Streikwelle an? Den Auftakt bei den neuen Tarifgesprächen machen am Dienstag die Tarifbezirke Bayern und Baden-Württemberg. Am Donnerstag und Freitag folgen die weiteren fünf Tarifbezirke.
Die Arbeitgeber*innen boten zunächst eine steuer- und abgabenfreie Einmalzahlung von 3000 Euro bei einer Laufzeit von 30 Monaten. Eine Erhöhung der Monatslöhne stellten sie bisher nur vage in Aussicht, nannten aber keine Prozente und auch kein Datum. Laut der IG Metall würden die Einmalzahlungen 100 Euro mehr im Monat beziehungsweise im Schnitt zwei Prozent mehr Gehalt bedeuten. Angesichts der gegenwärtigen Inflationsraten würde dies einen massiven Kaufkraftverlust der Beschäftigten zur Folge haben. Die Bundesregierung geht derzeit davon aus, dass die Inflationsrate dieses Jahr bei acht Prozent und nächstes Jahr bei sieben Prozent liegen wird. Zudem wollen die Arbeitgerber*innen Sonderzahlungen je nach Kassenlage in einzelnen Betrieben kürzen können.
Neben einer Verkürzung der Laufzeit – die IG Metall will zwölf Monate – drängt die Gewerkschaft vor allem auf eine prozentuale Erhöhung, weil damit die Tarife dauerhaft an die steigenden Lebenshaltungskosten angepasst werden. Und die letzte Anpassung ist in der Metall- und Elektroindustrie schon lange her. Sie geschah im Jahr 2018. Die beiden folgenden Tarifrunden 2020 und 2021 standen im Zeichen der Coronakrise und damit auch der Beschäftigungssicherung. Dementsprechend mau waren die Abschlüsse aus Sicht der Beschäftigten.
Insbesondere auf Baden-Württemberg richtet sich bei der anstehenden Verhandlungsrunde das Augenmerk. Schließlich war der Bezirk in der Vergangenheit meist Pilotbezirk und könnte es auch dieses Mal wieder sein. Das heißt, dass dort als erstes ein Kompromiss gefunden wird, den die Tarifparteien dann auf die anderen Bezirke übertragen. So kam es in der vergangenen Woche dort zu besonders vielen Warnstreik-Aktionen, um Druck auf die Arbeitgeber*innen aufzubauen. Allein am Freitag legten in Baden-Württemberg fast 20 000 Metaller*innen zeitweise die Arbeit nieder. Insgesamt beteiligten sich in der vergangenen Woche dort 37 500 Beschäftigte aus über 100 Betrieben an Warnstreiks. »Die Beschäftigten beweisen jeden Tag eindrucksvoll, dass sie sich bewegen können, jetzt müssen die Arbeitgeber am Verhandlungstisch das Gleiche tun. Falls nicht, bei uns geht noch was«, erklärte der Bezirksleiter der IG Metall in Baden-Württemberg, Roman Zitzelsberger, am Freitag.
Auch in anderen Tarifbezirken zog die Gewerkschaft ein positives Fazit. Die Beteiligung soll größer gewesen sein als bei den Warnstreiks 2018, so hört man aus Gewerkschaftskreisen. Teilweise seien die eigenen Erwartungen sogar übertroffen worden. Das liegt zum einen daran, dass die Beschäftigten die Inflation im Geldbeutel spüren, der Druck also groß ist, mehr zu verdienen. Zudem soll das Angebot der Arbeitgeber*innen mobilisierend gewirkt haben. Für viele Beschäftigten sei dies eine »Unverschämtheit« gewesen, heißt es.
»Wir sind kraftvoll in die heiße Phase des Tarifkonfliktes gestartet«, sagte Daniel Friedrichs, Bezirksleiter der IG Metall Küste, zu dem Hamburg, Bremen, Nord-West-Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein gehören. »Es brodelt in den Betrieben«, erklärte IG Metall-Verhandlungsführerin Irene Schulz für den Tarifbezirk Berlin, Brandenburg und Sachsen. »Der Frust und der Zorn über die Lohnblockade der Unternehmen ist gewaltig. In den Verhandlungen in der nächsten Woche müssen die Arbeitgeber endlich deutliche und dauerhafte Lohnerhöhungen anbieten.« In dem einzigen rein ostdeutschen Tarifbezirk beteiligten sich in der vergangenen Woche rund 15 000 Metaller*innen an den Arbeitsniederlegungen. So stand im BMW-Werk Leipzig die Produktion still.
Der Ball liegt nun also bei den Arbeitgerber*innen, ein neues Angebot vorzulegen. Ansonsten ist die Gewerkschaft bereit, weitere Maßnahmen zu ergreifen: »Die enorme Beteiligung an den Warnstreiks zeigt deutlich: Die IG Metall ist in der Lage, die Gangart zu verschärfen«, zeigte sich Gewerkschaftschef Jörg Hofmann konfliktbereit.
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