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Griff nach den Sternen
In einigen Versuchsreaktoren nähert sich die Forschung der »Zündbedingung« für eine Kernfusion an. Bis Fusionsreaktoren tatsächlich Energie liefern können, ist es aber noch ein langer Weg
Seit über vier Milliarden Jahren gewinnt die Sonne ihre Energie durch die Kernfusion. Und alle anderen Sterne, die wir am Himmel funkeln sehen, machen es auch so. Doch was in den kosmischen Gasbällen mit großer Leichtigkeit abläuft, bereitet auf der Erde seit vielen Jahrzehnten intensiver Grundlagenforschung noch Schwierigkeiten. Zahlreiche größere und kleinere Fusionanlagen weltweit testen die technischen Grundlagen der Kernfusion und kommen einer »Zündung« langsam näher. Eine sich selbst erhaltende Fusionsreaktion wäre ein Durchbruch – bis aber ein stromproduzierender Fusionsreaktor tatsächlich einmal zur Anwendung kommt, braucht es allerdings einen (vermutlich noch einige Jahrzehnte) langen Atem.
Bei der Kernfusion verschmelzen zwei leichtere Atomkerne zu einem neuen, schwereren Atomkern. Dieser ist jedoch ein ganz klein wenig leichter als die Summe seiner Teile – der Rest wird als Energie freigesetzt. Doch wie man es von so ziemlich allen Meetings kennt, müssen ein paar Randbedingungen erfüllt sein, damit es zu einer erfolgreichen Zusammenkunft kommt.
Sollen Atomkerne verschmelzen, müssen sie bis auf einen Abstand von einigen Kernradien zusammengebracht werden, damit sich die sogenannte starke Wechselwirkung, die einen Atomkern zusammenhält, gegenüber der Coulomb-Kraft – der gegenseitigen Abstoßung gleicher Ladungen – durchsetzt und die Protonen und Neutronen beider Kerne zu einem neuen Atomkern fusionieren.
Und wie kann man dieser atomaren Teambildungsmaßnahme auf die Sprünge helfen? Da schauen wir am besten einem echten Profi über die Schulter: der Sonne. Im Innern unseres Zentralgestirns läuft seit gut 4,5 Milliarden Jahren eine exotherme (energieliefernde) Kernfusionsreaktion ab, die die Sonne stabil und leuchtkräftig erhält. Im Innern der Sonne herrschen Temperaturen von knapp 16 Millionen Grad Celsius und ein Druck von 200 Milliarden bar. Die Materie liegt hier als Plasma vor, das ist ein Gemisch aus freien Atomkernen und Elektronen. Unter diesen Bedingungen und angesichts der Tatsache, dass die Sonne fast 2 x 1030 Kilogramm (hauptsächlich in Form von Wasserstoff) auf die Waage bringt, fusionieren vier Wasserstoffatome ausreichend oft zu einem Heliumkern, um Energie freizusetzen.
Auf der energiehungrigen Erde klingt das nach einem Erfolgsmodell: Wasserstoffatome gibt es ausreichend – und ausreichend billig –, und bei enormer Energiefreisetzung würde lediglich harmloses Helium entstehen. Man muss eigentlich nur noch einen Topf finden, der ein (mindestens) 16 Millionen Grad heißes Plasma halten kann. Und an diesem physikalischen Problem, und so einigen anderen mehr, laufen seitdem nicht nur die Gedanken heiß.
Zum Vergleich: Die Hitzekacheln des Space Shuttles erreichten beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre eine Temperatur von gut 1600 Grad Celsius, und vor einigen Jahren wurde die keramische Verbindung Hafnium–Carbonitrid als das Material mit dem höchsten Schmelzpunkt gehandelt – über 4000 Grad.
So kamen Physiker wie Edward Teller und Enrico Fermi bei frühen Forschungen zur Atombombe, aber auch Lyman Spitzer in den 50ern auf die Idee, ein heißes Plasma in einem Magnetfeld einzuschließen, da durch die Lorentzkraft auf bewegte geladene Teilchen eine kontrollierbare Kraft ausgeübt werden kann. Der »magnetische Einschluss« soll so ein Wasserstoffplasma auf Betriebstemperatur halten, ohne dass dieses mit einem kalten Behälter in Berührung kommt.
Seitdem haben sich hauptsächlich zwei Konzepte zum Magneteinschluss behauptet, die in sogenannten Stellaratoren und im Tokamak untersucht werden.
Ringförmiges Magnetfeld im Tokamak
In einem Tokamak (die Abkürzung geht auf die russische Bezeichnung des Reaktors »Toroidale Kammer mit Magnetspulen« zurück) wird ein Plasma aus Wasserstoff-Isotopen in einem torusförmigen Gefäß durch ein extrem komplexes Magnetfeld zusammengehalten, das teilweise durch einen im Plasma fließenden elektrischen Strom erzeugt wird – dies unterscheidet den Tokamak von anderen Konzepten.
Der Tokamak-Ansatz des magnetischen Einschlusses wurde bereits Anfang der 50er von den sowjetischen Physikern Andrej Sacharow, von dem verschiedene Ideen zur Realisierung einer kontrollierten Kernfusion stammen, und Igor Tamm entwickelt. Um das im Torus – einem donutförmigen Hohlkörper – eingeschlossene Plasma fortlaufend stabil zu halten, braucht es nun noch zwei weitere externe Magnetfelder: ein ringförmiges Feld, das durch ebene äußere Spulen erzeugt wird, und ein Vertikalfeld, das die Position des Plasmastroms fixiert. Der Plasmastrom selbst wird dabei durch eine Transformatorspule induziert, wodurch aber nur für eine begrenzte Zeit ein Strom im Plasma angetrieben werden kann (dann muss der Transformator erst wieder entladen werden): Ein Tokamak arbeitet daher in einem gepulsten Betrieb.
Um dem Plasma ordentlich einzuheizen, werden mehrere Methoden angewendet. Bei der »Ohmschen Heizung« bewirkt der Widerstand die Aufheizung (letztlich genauso wie im Glühdraht einer Glühlampe); zusätzliche Verfahren sind die Mikrowellenheizung oder eine magnetische Kompression des Plasmas. So wird es möglich, Plasmatemperaturen von mehr als 100 Millionen Grad zu erreichen – für eine mehr oder weniger lange Zeit. Vor wenigen Wochen etwa meldeten Wissenschaftler der südkoreanischen Experimentieranlage KSTAR (Korea Superconducting Tokamak Advanced Research), dass eine Temperatur von 100 Millionen Grad für 30 Sekunden stabil gehalten werden konnte. Auch wenn beide Werte für sich allein genommen keine Rekorde waren, so war die Kombination der beiden Parameter ein großer Erfolg.
Doch KSTAR ist eine verhältnismäßig kleine Anlage. »Es ist definitiv aufregend, aber es gibt eine große Unsicherheit darüber, wie gut unser Verständnis der Physik auf größere Geräte übertragbar ist«, sagt Dominic Power, der als Doktorand am Imperial College zur Plasmaphysik forscht. Eine andere Frage, die die Wissenschaftler umtreibt, ist der Einfluss der Plasmadichte. So erläutert Yong-su Na, der an der Seoul National University forscht und an der aktuellen Studie beteiligt war, dass die niedrige Dichte ein Schlüsselaspekt für den erfolgreichen Ausgang des Experiments war. Das Konzept FIRE (Fast-Ion-Regulated Enhancement) war ein wesentlicher Teil der Stabilität – doch noch nicht alle beteiligten Mechanismen sind vollständig verstanden.
Die Plasmadichte in modernen Tokamaks liegt in der Größenordnung von rund 1014 Teilchen pro Kubikzentimeter – und damit um einen Faktor 250 000 unter der Dichte der Lufthülle der Erde. Durch diesen sehr niedrigen Wert besitzt selbst ein extrem heißes Fusionsplasma auch eine nur sehr geringe Leistungsdichte, die bisher in der Größenordnung einer normalen Glühbirne liegt.
Für eine selbst erhaltende und Energie liefernde Reaktion ist die Kombination aus hoher Plasmatemperatur, Dichte und ausreichend langer Einschlusszeit bisher noch nicht erreicht worden. Dem am nächsten kommt zurzeit die Versuchsanlage JET (Joint European Torus) in Großbritannien, das weltweit größte Experiment des Tokamak-Typs: 12 Meter hoch und 15 Meter im Durchmesser ist der Aufbau um das ringförmige Vakuumgefäß, in dem das magnetisch eingeschlossene Plasma (bis zu 100 Kubikmeter mit einer Gesamtmasse von weniger als einem Zehntel Gramm) seine Runden dreht. Zwar wird auch im JET bisher keine Energie erzeugt, doch ist der europäische Plasma Donut bis heute das Experiment, das die sogenannte Zündbedingung am weitesten erfüllt.
Doch es gibt ja noch die zweite Variante, um nach den Sternen zu greifen – im wahrsten Sinne des Wortes: mit Stellaratoren, die den lateinischen Stern, Stella, schon im Namen tragen.
Komplexe Geometrie im Stellarator
Wie beim Tokamak ist ein rein toroidales Magnetfeld nicht ausreichend, um ein Plasma vollständig einzuschließen. Im Stellarator werden dazu komplexe, nicht rotationssymmetrische Magnetfeldgeometrien mit in sich gewundenen Magnetspulen realisiert, die sich um die Plasmastrecke »schlängeln« und das Ergebnis jahrelanger, aufwendiger theoretischer und experimenteller Arbeiten sind.
Stellarator-Anlagen sind in puncto Plasmagleichgewicht und -einschluss einem Tokamak mittlerweile durchaus gleichgestellt. »Stellaratoren spielen nun wieder ganz vorne mit«, sagt Josefine Proll, Kernfusionsforscherin an der Eindhoven University of Technoloy. Da in einem Stellarator kein Plasmastrom induziert wird, kann er prinzipiell im Dauerbetrieb laufen, was sich für Fusionskraftwerke einmal als vorteilhaft erweisen könnte.
Die Grundlagen des Stellarators wurden in den 50er Jahren im Rahmen des US-amerikanischen Projekts »Matterhorn« erforscht; es zeigte sich jedoch schnell, dass die hochgradig komplexen Magnetfeldgeometrien nicht ohne Weiteres bestimmt werden konnten – das Tokamak-Prinzip war gerade zu Beginn der Fusionsforschung daher die besser zu handhabende Anordnung. Mit einer stetig steigenden Rechnerleistung konnten ab den 90ern jedoch erste umfassende Computersimulationen und -berechnungen zu Magnetfeldkonfigurationen durchgeführt werden.
Die Experimentieranlage »Wendelstein 7-X« (in Anlehnung an das »väterliche« Projekt Matterhorn) des Max-Planck-Instituts für Plasmaphysik in Greifswald, die die technischen und physikalischen Grundlagen der Kernfusion untersucht, ist neben dem »Large Helical Device« in Japan der weltweit größte Stellarator. Eine kranzförmige Anordnung von 50 supraleitenden Niob-Titan-Magnetspulen schließt das bis zu 100 Millionen Grad heiße Plasma ein – das in »Wendelstein 7-X« aus reinem Wasserstoff besteht und nicht, wie in anderen Anlagen üblich, aus einer Deuterium-Tritium-Mischung. Dadurch werden in der Fusionsreaktion zwar keine Neutronen freigesetzt, deren Energie in Wärmeenergie umgewandelt werden könnte (so das eigentliche Ziel eines Kernfusionsreaktors) – in der gegenwärtigen Experimentierphase erleichtert das Ausbleiben freier Neutronen jedoch den Zugang zur Anlage selbst und den umgebenden Instrumenten.
Ein erstes Ziel der Fusionanlage ist es, die Plasmatemperatur für 100 Sekunden auf 50 Millionen Grad zu halten. »Das würde W7-X zu einer der führenden Maschinen weltweit machen«, sagt Thomas Klinger, wissenschaftlicher Leiter von »Wendelstein 7-X«. Nächstes Ziel ist der längere Einschluss, bis zu 30 Minuten sollen es werden: »Wir nähern uns Schritt für Schritt und erkunden dabei echtes Neuland«, so Klinger.
Zum Start wurde in »Wendelstein 7-X« übrigens Helium verwendet, dessen Plasmazustand leichter zu erreichen ist, das allerdings nicht für Fusionsexperimente genutzt werden kann. Denn je mehr Protonen ein Kern hat, desto stärker ist die Coulomb-Abstoßung, die für eine Fusion überwunden werden muss. In sehr schweren Sternen können diese und andere Kernfusionen nun durchaus ablaufen – nur muss es dann noch ein kleines bisschen heißer werden: In der Phase des »Sauerstoffbrennens«, also der Fusion von zwei Sauerstoffkernen, herrschen dabei im Stern-Inneren Temperaturen von mehr als 1,5 Milliarden Grad Celsius. Das überlassen wir dann aber vielleicht wirklich lieber den Sternen.
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