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Klassenerhalt gefährdet
In den USA werden das Repräsentantenhaus sowie ein Drittel des Senats neu gewählt. Den Demokraten droht ein Debakel
Nach knapp zwei Jahren im Amt steht für Joe Biden und die Demokraten der bisher wichtigste Stimmungstest bevor: Die USA wählen ein neues Repräsentantenhaus, außerdem stehen in vielen Staaten Senats- und Gouverneurswahlen an. Dass die Demokraten die Wahlen krachend verlieren werden, ist zwar noch nicht ausgemacht, dennoch ist Pessimismus angebracht. Denn zuletzt häuften sich die Anzeichen, dass die Wähler*innen den Präsidenten abstrafen und den Republikanern zumindest im Abgeordnetenhaus eine satte Mehrheit verschaffen könnten.
Der Wahlkampf, der mit mehr als 16 Milliarden Dollar in Sachen Ausgaben alle bisherigen Zwischenwahlen übertraf, stand ganz im Zeichen einer zunehmenden gesellschaftlichen Spaltung. Die beiden politischen Lager sprechen einander immer häufiger jegliche Legitimität ab und bezichtigen sich gegenseitig des Extremismus. Die Stimmung ist äußerst gereizt. Viele Republikaner sind überzeugt, die Präsidentschaftswahlen von 2020 seien gestohlen worden, nachdem Präsident Trump dieses Narrativ eifrig schürte. Dies mündete im berüchtigten Sturm rechter Demonstrant*innen auf das Kapitol in Washington D.C. am 6. Januar 2021, kurz vor Bidens Amtseinführung, bei dem mehrere Menschen zu Tode kamen. Eine beachtliche Anzahl republikanischer Kandidatinnen hält diesen Mythos im Wahlkampf weiter am Leben.
Unter den Demokraten herrscht hingegen die Sorge, republikanische Mehrheiten auf Bundesebene und in vielen Bundesstaaten könnten den ohnehin fragilen Zustand der US-amerikanischen Demokratie weiter gefährden. Rhetorisch mag diese Gefahr manchmal überzeichnet werden, denn der Zerfall des gesellschaftlichen Zusammenhalts und demokratischer Institutionen begann weder 2016 noch 2020, sondern ist seit vielen Jahrzehnten ein schleichender Prozess. Man könnte in diesem Zusammenhang auf den Watergate-Skandal ebenso verweisen wie auf die Präsidentschaftswahlen von 2000, bei denen George W. Bush aller Wahrscheinlichkeit nach nur aufgrund juristischer Winkelzüge und mit Hilfe eines gefügigen Obersten Gerichtshofs zum Sieger erklärt wurde – aber jedenfalls nicht auf Grundlage einer sauberen und vollständigen Stimmenauszählung.
Dennoch ist die Situation heute eine andere. Das konservative Lager kaschiert seine Ambitionen auf dauerhaften Machterhalt kaum noch: Die Demokraten seien die wahren Extremisten, ein korrupter Haufen, der sich mit illegalen Methoden an die Macht klammere und auf totale politische und kulturelle Dominanz aus sei, über die Köpfe der Bevölkerung hinweg. Hiermit werden weitere Hürden für die vielerorts ohnehin schwierige Stimmabgabe und die Streichung unregelmäßiger Wähler*innen aus den Registern begründet. Die Briefwahl steht in vielen Staaten zur Disposition; da in den USA an Werktagen gewählt wird, würde dies insbesondere Menschen aus der Arbeiterklasse eine Teilnahme an Wahlen erschweren. Auch ist es möglich, dass das oberste Gericht den Parlamenten der Bundesstaaten in Zukunft das Recht einräumen könnte, Wahlleute bei Präsidentschaftswahlen selbst zu bestimmen – auch gegen den Mehrheitswillen der Bevölkerung. Den Republikanern wäre damit die permanente Kontrolle über das Weiße Haus fast sicher.
Wenn Konservative bei Wahlen unterliegen, so ist inzwischen mancherorts zu hören, sei das per se illegitim und hinreichender Beweis für Wahlmanipulation. »Nach meiner Wahl zum Gouverneur werden die Republikaner in Wisconsin nie wieder eine Wahl verlieren«, verkündete etwa der Kandidat für das höchste Exekutivamt im Bundesstaat, Tim Michels, letzte Woche. Deutlicher kann man die Absicht, den Mehrheitswillen permanent konterkarieren zu wollen, nicht zum Ausdruck bringen. Über lange Strecken des Wahlkampfs setzen die Demokraten deshalb vor allem auf zwei Themen: die Gefährdung der Demokratie und reproduktive Rechte. Im Juni kippte eine konservative Mehrheit am Obersten Gerichtshof das seit 1973 landesweit bestehende verfassungsmäßige Recht auf Schwangerschaftsabbruch. Die Empörung war groß, eine klare Mehrheit der Bevölkerung sah das Urteil kritisch. Im konservativen Kansas lehnten im August bei einer Volksabstimmung 59 Prozent der Wähler*innen die Rücknahme des Rechts auf Abtreibung auf Bundesstaatenebene ab.
Dennoch gelang es den Republikanern, Ängste vor einem landesweiten Abtreibungsverbot herunterzuspielen, obwohl dies erklärtes Ziel der großen Mehrheit innerhalb Partei ist. Doch die Glaubwürdigkeit der Demokraten lässt zu wünschen übrig: Nach den Wahlen von 2008, als die Partei das Weiße Haus eroberte und üppige Mehrheiten im Kongress innehatte, versäumte sie die Gelegenheit, reproduktive Rechte durch ein Bundesgesetz festzuschreiben – Präsident Obama hielt das Thema damals für zu kontrovers. Die Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, stellte sich bei den diesjährigen Vorwahlen der Demokraten schützend vor den letzten verbliebenen Abtreibungsgegner innerhalb der Fraktion.
Die eindringlichen Warnungen zum Zustand der Demokratie wirken auf viele Wechselwähler*innen wie Panikmache: Sie vertrauen aus gutem Grund keiner der beiden großen Parteien. Und auch wenn sie die Positionen der Republikaner zu gesellschaftspolitischen Themen ablehnen, haben sie im Moment andere Sorgen, wie Inflation und gestiegene Kriminalitätsraten. Die hektischen Versuche der Demokraten, in den letzten Wochen vor der Wahl noch einmal thematisch umzusteuern, wirken wie so vieles an Bidens Amtsführung amateurhaft und chaotisch. Biden mag sich selbst als »gewerkschaftsfreundlichsten Präsidenten aller Zeiten« bezeichnen, den Eisenbahner*innen drückte er in einem Schlichtungsverfahren mit den Bossen einen faulen Deal auf, den zwei Gewerkschaften bereits abgelehnt haben. Sein Schuldenschnitt für Studienkredite hätte am ersten Tag seiner Amtszeit erfolgen können, kam aber viel zu spät. Kein Wunder also, dass sich immer mehr Wähler*innen aus der Arbeiterklasse von den Demokraten abwenden.
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