Der blinde Fleck der Klimakonferenzen

Die Förderung von Kohle, Öl und Gas wurde bisher nicht thematisiert. Das ändert sich nun

Ölförderung in Peru
Ölförderung in Peru

Die Klimaabkommen und Entscheidungen der UN-Konferenzen (COPs) haben eine kuriose Lücke: Die Hauptursache für die Klimaerwärmung – das Verbrennen von Kohle, Öl und Gas – wird bisher nicht erwähnt. Daher war es eine kleine Sensation, dass im vergangenen Jahr in Glasgow zum ersten Mal das Wort »Kohle« in einer COP-Entscheidung auftauchte. Darin versprachen die Länder, die Nutzung dieses Energieträgers »zurückzufahren«. Die ursprünglich vorgesehene Formulierung, die Kohlenutzung komplett »auslaufen zu lassen«, wurde in letzter Minute von China und Indien verhindert.

Eine vor zwei Jahren gestartete Kampagne will genau diese Lücke der bisherigen Vereinbarungen schließen: Sie fordert als Ergänzung zum Pariser Klimaschutzvertrag ein Abkommen über die Nichtverbreitung fossiler Energien. Damit lehnt sich die Initiative an das Abkommen über die Nichtverbreitung von Atomwaffen (auch: Atomwaffensperrvertrag) aus dem Jahr 1968 an. Das Ziel ist eine geordnete Reduzierung der Produktion von Kohle, Öl und Gas. Während das Paris-Abkommen auf die Nachfrage nach diesen fossilen Energieträgern abzielt, würde das neue Abkommen primär das Angebot regeln.

Das neue Abkommen hat mittlerweile eine prominente Liste an Unterstützern, angefangen bei rund 100 Nobelpreisträgern und Tausenden Wissenschaftlern, über die Weltgesundheitsorganisation und die Internationale Kampagne gegen Landminen, zahlreiche Städte wie Vancouver, Buenos Aires, Bonn, London, Paris und Kolkata (Indien) sowie US-Bundesstaaten wie Hawaii bis zum Europarlament. Das erste Land, das die Initiative unterstützte, war der pazifische Inselstaat Vanuatu. Im Juli 2022 folgte dann der Vatikanstaat. »Der Planet ist bereits 1,2 Grad heißer, und trotzdem beschleunigen neue Fossilprojekte unser Rennen in den Abgrund«, sagte damals Kardinal Michael Czerny, der »Umweltminister« des Vatikans. »Genug ist genug.«

Auf der diesjährigen UN-Klimakonferenz schloss sich nun auch der Inselstaat Tuvalu an. »Das wärmer werdende Meer schluckt unser Land – Zentimeter für Zentimeter«, sagte Premierminister Kausea Natano in Scharm el-Sheikh. »Wir rufen daher die Führer der Welt dazu auf, sich dem Nichtverbreitungsabkommen anzuschließen und einen gerechten Übergang, weg von den fossilen Energien, zu organisieren.« Damit hat erstmals ein Land auf einer UN-Klimakonferenz ein Nichtverbreitungsabkommen gefordert. Harjeet Singh vom Climate Action Network lobte das Engagement von Inselstaaten, die bereits auf das 1,5-Grad-Ziel und auf Entschädigungen gedrängt hätten und sich jetzt für einen Vertrag über die Nichtverbreitung fossiler Brennstoffe stark machten. »Dies ist der nächste notwendige Schritt in der internationalen Klimapolitik für Klimagerechtigkeit«, sagte Singh. Auch andere Klimaaktivisten begrüßten den Schritt, kritisierten aber gleichzeitig die großen Verschmutzer wie die USA und China dafür, dass fossile Brennstoffe bei den bisherigen Klimaverhandlungen weitgehend geschützt wurden.

Dass weitere Länder die Idee der Initiative unterstützen, wird in Scharm El-Scheikh durchaus für möglich gehalten. Dazu könnten selbst Länder gehören, die fossile Energien fördern. An der COP 26 in Glasgow wurde nämlich eine Länderallianz gegründet, die ebenfalls aus der Förderung fossiler Energien aussteigen will. Der Beyond Oil and Gas Alliance gehören mittlerweile Länder wie Dänemark, Frankreich, Irland, Schweden und Costa Rica an. Sie sind potenzielle Kandidaten für das Abkommen über die Nichtverbreitung fossiler Energien.

Ein weiterer Erfolg der Initiative ist die Schaffung eines Registers der Kohle-, Öl- und Gasvorkommen der Welt. Es wird derzeit von dem britischen Thinktank Carbon Tracker aufgebaut, der für das Konzept der »CO2-Blase« bekannt ist. Es besagt, dass die Energiekonzerne an der Börse überbewertet seien, denn ihre Reserven könnten nicht gefördert werden, wenn die Klimaerwärmung auf 1,5 Grad begrenzt werden soll. Aus diesem Grund könnten selbst die Produzenten von Fossilenergien schließlich einen Nutzen im Nichtverbreitungsvertrag sehen, schließlich würde ein geordneter Übergang zu einer Welt ohne Kohle, Öl und Gas verhindern, dass sie zu viel Geld in diese Energien investieren und relativ moderne Förderanlagen schließlich wertlos werden.

In Scharm El-Scheikh heißt es, die Idee sollte nicht a priori ausgeschlossen werden, obwohl zunächst kaum realisierbar scheine, die Förderung fossiler Energien zu verbieten. Auch Tzeporah Berman, die Vorsitzende der Nichtverbreitungskampagne, ist optimistisch: »Wir werden in der Geschichte auf diesen Moment der Abrechnung mit der Überproduktion zurückblicken, die uns bisher davon abhält, die Kurve zu kriegen.«

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