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Blutige Selbstermächtigung

In der 5. Staffel von »The Handmaid’s Tale« rächen sich die Opfer der männlichen Gebärsklaverei

  • Jan Freitag
  • Lesedauer: 4 Min.
Nach dem Tod ihres Gatten ist auch Serena Joy (Yvonne Strahovski), die Gilead einst ideologisch mitbegründet hat, nicht mehr sicher.
Nach dem Tod ihres Gatten ist auch Serena Joy (Yvonne Strahovski), die Gilead einst ideologisch mitbegründet hat, nicht mehr sicher.

Wem das Blut anderer an den Händen klebt, wäscht es normalerweise – aus Gründen der Hygiene, Ästhetik oder Klandestinität – bei nächster Gelegenheit ab. June Osborne denkt überhaupt nicht daran, das von Commander Waterford, dessen Name einst auch der ihre war, zu beseitigen. Im Gegenteil: Stundenlang läuft Desfred, wie die Sklavin der Near-Future-Fiktion »The Handmaid’s Tale« zuvor hieß, blutverschmiert durch den Auftakt der neuen Staffel und schert sich einen Dreck um hygienische, ästhetische oder Geheimhaltungsgründe.

Zu groß ist ihr Stolz auf das, was sie am Ende der vorherigen Staffel getan hat: ihren Peiniger zu töten. »Mit meinen eigenen Händen«, schwärmt sie beim Frühstück im Kreis ihrer Komplizinnen, die ebenfalls Opfer eines misogynen Ausbeutungssystems sind, das nur in so einer Fernsehserie möglich erscheint – 46 Folgen á 60 Minuten in fünf Jahren. Nun kommen zehn weitere hinzu, und man fragt sich trotz anhaltend hoher Güte einer qualvoll fesselnden Serie: Wie lange müssen wir uns das eigentlich noch antun?

Antwort: zwei Staffeln. Was der üblichen Ausschlachtung rentabler Stoffe zum Trotz unverändert angemessen ist. Als Showrunner Bruce Miller den Weltbestseller von Margaret Atwood mithilfe einer ganzen Armada an Regisseuren und Autoren fürs Videoportal Hulu adaptierte, war das noch ein wenig anders. Damals wirkte die Story als blanke Dystopie – viel zu frauenverachtend, grausam und bizarr für realistische Zukunftsaussichten, am Ende also wie »The Walking Dead« bloß Science-Fiction für berufspessimistische Horrorfans.

Weil fast alle Amerikanerinnen infolge von Naturzerstörung und Geschlechtskrankheiten unfruchtbar geworden sind, spaltet sich der christliche Gottesstaat Gilead in der Erzählung von den USA ab und degradiert zeugungsfähige Frauen zu Gebärmaschinen. Eine davon: die junge Mutter June, der Elizabeth Moss seither so trotzig-desperate Energie verleiht, dass es für ihr Ringen mit der patriarchalischen Diktatur Fernsehpreise hagelte. Eine reale Trump-Präsidentschaft plus Putschversuch und Rückkehroption später wirkt die Abschaffung von Demokratie, Freiheit und Gleichberechtigung allerdings nicht mehr ganz so undenkbar wie zu Drehbeginn.

Dass June auch in den Folgen 46 bis 55 unbeirrbar gegen die Mauern patriarchaler Gewalt anrennt, mehr noch: vom kanadischen Exil aus Teil einer feministischen Untergrundbewegung wird, die das Regime mit Gegenterror überzieht, ist daher durchaus als Statement gegen die neoliberale Appeasement-Politik zu verstehen, mit der hierzulande viele gerade zur Kooperation mit dem Kriegsverbrecher Putin aufrufen, um sich Stress zu sparen oder Stimmen zu kaufen. »When they go low, we go high«, sagte Michelle Obama vor Trumps von verlogenen Tweets und russischen Hackern gepushter Wahl 2016.

Kurz, bevor sich Trumps Triumph 2024 möglicherweise wiederholt, drehen Junes Rächerinnen das Motto der früheren First Lady um und unterbieten das Niveau ihrer Feinde lieber, als moralisch überlegen zu verlieren. Nachdem sie Fred Waterfords Blut doch endlich abgewaschen hat, sucht June nämlich nicht nur mit Mann Luke (Olatunde Olateju Olaolorun Fagbenle) das gemeinsame Baby; an der Seite ihrer Vertrauten Moira (Samira Wiley) gleitet sie langsam ab auf den Rachepfad einer wachsenden Schar Rebellinnen.

Kein Wunder: Während sich der Widerstand gegen Gileads Männerherrschaft formiert, richtet die teuflische Aunt Lydia (Ann Dowd) dort weiterhin lebende Brutkästen zu. Parallel zieht Waterfords – überraschend schwangere – Witwe Serena (Yvonne Strahovski) gegen die Mörderin ihres Mannes zu Felde. Es bleibt kompliziert. Ob es auch erfolgreich bleibt, ist dagegen schwerer zu sagen. Bewertungsportale von Metacritic bis Rotten Tomatoes haben die Serie mit jeder Staffel schlechter bewertet. Seit Elizabeth Moss vom Superstar zur Produzentin aufgestiegen ist, die in Staffel vier sogar erstmals Regie führte und jetzt drei weitere Folgen verantwortet, schlägt sich das Format zusehends offen auf die Seite seiner Protagonistinnnen und billigt besonders Serena und Lydia spürbar mehr Profil jenseits allmächtiger Männer zu.

Aber auch wegen der dringlichen Bildsprache, dem präzisen Sound, seiner pointierten Dialoge hat »The Handmaid’s Tale« zwei weitere Runden (inklusive eines geplanten Spin-Offs wegen Amazons Ankauf der MGM-Studios wohl bei Prime Video) vollauf verdient.

»Ich hatte Glück«, sagt June von einer Rebellin auf all ihre Beharrlichkeit angesprochen. »Das sagen alle Frauen, wenn sie was Außergewöhnliches vollbracht haben«, lautet deren Antwort und bringt auf den Punkt, worum es dieser Staffel geht: Selbstermächtigung derer, die niemanden an ihrer Seite haben außer ihresgleichen – und sei es mit Blut an den Händen.

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