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Ignorieren als letztes Druckmittel

Die aktive Fanszene will die Fußball-WM in Katar boykottieren

Wie beim Bundesligaspiel Freiburg gegen Union Berlin protestierten zuletzt Tausende Fußballfans gegen die anstehende WM in Katar.
Wie beim Bundesligaspiel Freiburg gegen Union Berlin protestierten zuletzt Tausende Fußballfans gegen die anstehende WM in Katar.

Derzeit ist der Göttinger Buchautor Bernd Beyer den ganzen Tag damit beschäftigt, Interviewanfragen und Vortragstermine zu koordinieren. Die von ihm mitgegründete Kampagne »BoycottQatar2022« hat längst Fahrt aufgenommen, und bis zum Ende der Fußball-Weltmeisterschaft kurz vor Weihnachten gibt es bundesweit Hunderte Alternativveranstaltungen, auf denen Beyer und seine Mitstreiter gefragte Gäste sind.

In Karlsruhe fanden am Montagabend gleich zwei davon statt. Die größere hatten die »Supporters« organisiert, der Dachverband der Anhänger des Zweitligisten Karlsruher SC. Im ausverkauften Sandkorn-Theater wollten Fans aller Altersklassen erfahren, wie Catherine Devaux (Amnesty International), Dario Minden vom bundesweiten Fanbündnis »Unsere Kurve« sowie KSC-Vereinspräsident Holger Siegmund-Schultze, Stadionsprecher Martin Wacker und der »Allesfahrer« Martin Fix (besucht alle Spiele des Klubs) auf das umstrittene Turnier in Katar blicken.

Allenfalls ein Dutzend der 170 Zuschauer hob die Hand, als eingangs gefragt wurde, wer sich die WM-Partien denn anschauen wolle. Auf dem Podium bekannte sich nur Fix dazu, der seit 2002 bei jeder EM und WM vor Ort gewesen ist. Allerdings will auch er nur bei den deutschen Spielen einschalten. Was allerdings nicht bedeute, dass er das Turnier weniger kritisch sehe. Schließlich unterstütze er auch die zweite KSC-Mannschaft in der Kreisliga B, und das sei »ehrlicher Fußball«, sagte er unter Applaus. Katar hingegen sei ein Land ohne jede Fußballtradition, das den Sport nur für seine wirtschaftlichen Zwecke nutze. »Der Fußball, den die Fifa will, den will ich nicht.« Die völlige Missachtung der Menschenrechte mache Fix eine Reise ins Emirat sowieso unmöglich.

Siegmund-Schultze wies zudem darauf hin, dass ein TV-Boykott der Fußballfans durchaus sportpolitische Folgen habe. Schließlich würden die WM-Sponsoren sehr genau beobachten, wie diese Veranstaltung ankomme – und der Fifa womöglich die Treue aufkündigen, sollte sie erneut ein Turnier in ein Land vergeben, in dem Menschenrechte mit Füßen getreten werden. »Die Zuschauer haben da eine gehörige Macht«, so Siegmund-Schultze.

Auch die Amnesty-Vertreterin Devaux lobte die deutschen Fankurven für ihren in den vergangenen Wochen mit Tausenden Plakaten und Transparenten artikulierten Protest gegen das Turnier. Schockiert sei ihre Organisation hingegen über die Aussagen des ehemaligen Präsidenten des FC Bayern, Uli Hoeneß, der die Kritik vieler Münchner Fans am Klubsponsor Qatar Airways mit einem rhetorischen Eigentor gekontert habe: »Das ist der FC Bayern München. Nicht Amnesty International.« Amnesty wiederum nutze das nun für den Slogan: »Sei kein Uli – setz’ dich für Menschenrechte ein.«

Das tat auch »Unsere Kurve«-Vertreter Minden, als er im September bei einem Kongress des Deutschen Fußball-Bunds (DFB) dem katarischen Botschafter vorhielt, dass Homosexualität dort nach wie vor mit langen Haftstrafen geahndet werden kann: »Ich bin ein Mann und ich liebe Männer. Ich habe Sex mit anderen Männern. Das ist normal. Gewöhnen Sie sich daran, oder verschwinden Sie aus dem Fußball.« Für diese Aussage bekam er auch am Montag viel Applaus. Genau wie Vereinschef Siegmund-Schultze, der betonte, dass der KSC das WM-Turnier auf seinen Informationskanälen ignorieren werde: »Wir wollen als Verein diese Bühne und diese Plattform nicht bieten.«

Nur gestreift wurde derweil eine Forderung, die »BoycottQatar2022« in der vergangenen Woche auch an den DFB gerichtet hatte: Es sei das Mindeste, dass die Verbände einen Entschädigungsfonds für Angehörige von getöteten oder schwer verletzten Arbeitsmigranten einrichten. Die WM in Katar sei schließlich nur möglich gewesen »durch den Einsatz von Hundertausenden Arbeitsmigranten, die größtenteils unter menschenunwürdigen Bedingungen schuften mussten und von denen unzählige zu Tode kamen«. Deshalb solle der DFB Druck auf den Weltverband Fifa ausüben, damit der wie gefordert die gleiche Summe, die er an Preisgeld ausschüttet – also 440 Millionen Dollar –, noch einmal in einen solchen Fonds einzahle.

Allerdings gehen die Initiatoren des gleichlautenden offenen Briefes, den neben Fanorganisationen auch Flüchtlingsinitiativen und die KZ-Gedenkstätte Dachau unterschrieben haben, davon aus, dass die Fifa sich verweigern wird. Dann, so die Initiative, müsse der DFB selbst Verantwortung zeigen, indem er sein Preisgeld spendet, das je nach Endplatzierung zwischen 9 und 41 Millionen Dollar liegen wird. Das Gleiche gelte für die Spieler, die, falls sie die Gruppenphase nicht auf Platz zwei bis vier beenden, jeweils zwischen 50 000 und 400 000 Euro an Prämien einstreichen werden. Besonders in Nepal, der Heimat, der meisten Arbeitsmigranten in Katar, hätten viele Familien ihre Haupternährer verloren und lebten nun erst recht in bitterer Armut.

Dass der DFB die Forderung komplett ablehnen wird, glaubt Bernd Beyer nicht. In den vergangenen Monaten seien aus der Verbandszentrale in Frankfurt am Main durchaus Signale gesandt worden, dass man die zumindest in den Fankurven recht einhellige Kritik an der Menschenrechtslage in Katar nachvollziehen könne. Dass der DFB noch einmal seine Teilnahme an einem Turnier in ähnlich strukturierten Ländern wie Katar zusichert, kann sich Beyer daher nicht vorstellen. So sieht es auch Dario Minden: »Der DFB weiß, dass er da Scheiße gebaut hat.«

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