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Mehr strahlender Müll für Morsleben
Der verzögerte Atomausstieg verlängert auch die Nutzung des Endlagers in Sachsen-Anhalt
Mit den Stimmen der Ampelkoalition hat der Bundestag am 11. November den Weiterbetrieb der Atomkraftwerke Neckarwestheim-2, Emsland und Isar-2 bis Mitte April erlaubt. Der Atomausstieg ist damit in ernsthafter Gefahr. FDP, CDU/CSU und AfD haben bereits erklärt, dass ihr Ziel eine jahrelange Laufzeitverlängerung der AKW ist. Kommt es zur Beladung der Meiler mit neuen Brennstäben, würde auch weiterer Atommüll produziert. Die zunächst befriedete Debatte um die Lagerung der radioaktiven Abfälle dürfte damit neu entbrennen.
Auch das »vergessene« Endlager Morsleben in Sachsen-Anhalt könnte dann in den Fokus rücken. Der Standort nahe der Landesgrenze zu Niedersachsen hat eine äußerst wechselvolle und bewegte Geschichte. Ab Ende des 19. Jahrhunderts wird in den Gruben Marie und Bartensleben, die das heutige Endlager Morsleben bilden, Kalisalz für die Landwirtschaft abgebaut. Später auch Steinsalz, das als »Sonnensalz aus Bartensleben« in den Handel kommt.
Das Hitler-Regime nutzte das Bergwerk militärisch. Die Luftwaffe des Nazireichs lagerte ab 1937 Flugzeugmunition in einem der Schächte. Ab Februar 1944 diente die gesamte Anlage der Rüstungsproduktion – und als Außenlager des KZ Neuengamme. Tausende Häftlinge und Zwangsarbeiter mussten Bauteile des Strahlflugzeugs »Me 262« und von Raketen zusammensetzen. Die Schächte Marie und Bartensleben erhielten die Decknamen »Bulldogge« und »Iltis«.
Nach Kriegsende wurde in Schacht Bartensleben wieder Steinsalz gefördert – bis 1969. Im Schacht Marie wiederum wurden von 1959 bis 1984 jedes Jahr Zehntausende Hähnchen gemästet. Durch An- und Abschalten des Lichts wurden den Tieren um etwa eine Stunde verkürzte Tage vorgegaukelt, wodurch sie schneller wachsen sollten. Andere Kammern dienen gleichzeitig der Zwischenlagerung giftiger chemischer Abfälle.
1965 begann die Staatliche Zentrale für Strahlenschutz der DDR (später: Staatliches Amt für Atomsicherheit und Strahlenschutz) mit der Suche nach einem Endlager für schwach und mittelradioaktive Abfälle. 1970 fiel nach einem Vergleich mit zehn weiteren Bergwerken die Entscheidung für Morsleben. Ein Jahr später wurden versuchsweise erste Abfälle eingelagert, 1973 erfolgte die offizielle Benennung des Standorts.
Nach einer »Probephase« erteilten die Behörden 1981 eine vorläufige und 1986 eine unbefristete Betriebsgenehmigung. Den hochradioaktiven Atommüll aus ihren AKW führt die DDR übrigens in die Sowjetunion zurück, aus der sie auch das angereicherte Uran bezieht.
Mit der deutschen Vereinigung ging das Endlager in den Besitz der Bundesrepublik über. Das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) wurde Betreiber. Auf die bereits dort lagernden rund 14 400 Kubikmeter schwach- und mittelradioaktiver Abfälle werden zwischen 1994 und 1998 unter Verantwortung der damaligen Bundesumweltministerin Angela Merkel (CDU) noch einmal gut 22 000 Kubikmeter draufgepackt. 1998 stoppte das Oberverwaltungsgericht Magdeburg stoppte die Anlieferung weiteren Atommülls.
Die Einlagerung in Morsleben erfolgte unter teilweise haarsträubenden Bedingungen. Flüssige radioaktive Abfälle wurden auf eine Schicht Braunkohlenfilterasche versprüht, große Mengen sickerten bis in die tiefen Schichten des Bergwerks. Feste Abfälle wurden zum Teil lose oder in Fässern in Einlagerungshohlräume gekippt oder gestapelt. Zudem ist das Grubengebäude instabil und vom Einsturz bedroht.
Mit Getöse krachte im Herbst 2001 ein viele Tonnen schwerer Salzbrocken von einer Zwischendecke. Das BfS ordnete umgehend Notfallmaßnahmen an und ließ mehrere Hohlräume mit zermahlenem Salzgestein verfüllen. Anderthalb Jahre später schlug die Behörde erneut Alarm, weil ganze Bereiche der Anlage einzustürzen drohten.
Auch in den Folgejahren zeigte sich das Erbe der Vergangenheit in Morsleben: 27 Abbaue mussten mit Spezialbeton verfüllt werden, um die Sicherheit zu verbessern. »Ohne diese Maßnahme hätte die fortschreitende Verformung des Gesteins langfristig das wasserundurchlässige Hutgestein zwischen Endlager und Deckgebirge schädigen können«, räumt die Bundesgesellschaft für Endlagerung ein, die 2017 auch für Morsleben die Verantwortung vom BfS übernommen hat.
Morsleben ist das erste deutsche Endlager, das nach Atomrecht und unter Verbleib der Abfälle stillgelegt werden soll. Dafür erprobt die BGE seit Jahren neue Techniken. Das für die Stilllegung notwendige Genehmigungsverfahren läuft parallel – die Genehmigung wurde noch nicht erteilt. Die Stilllegung wird mehrere Milliarden Euro kosten.
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