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Wieder ein Corona-Flickenteppich
Drei Länder schaffen Isolationspflicht ab, der Grüne Kretschmann erhält Gegenwind aus der eigenen Partei
Auch wenn mittlerweile viele andere politische Themen in den Vordergrund gerückt sind, treibt das Coronavirus in Deutschland immer noch sein Unwesen. Und dennoch ist die Situation in diesem Herbst eine andere als in den Vorjahren. Nach der kurzen Oktoberwelle sinken die Infektionszahlen wieder: Das Robert Koch-Institut (RKI) hat die bundesweite Sieben-Tage-Inzidenz am Donnerstagmorgen mit 199,2 angegeben. Am Vortag hatte diese noch bei 203,4 (Vorwoche: 262,3; Vormonat: 680,9) gelegen. Auch wenn viele Fälle gar nicht mehr erfasst werden und die gemeldeten Infektionszahlen somit längst nicht mehr der Wahrheit entsprechen, dürfte zumindest die Entwicklungstendenz dieser Zahlen ein einigermaßen brauchbares Bild abgeben. Gleiches gilt für die Entwicklung der Todeszahlen: Die Gesundheitsämter meldeten dem RKI zuletzt 162 Todesfälle (Vorwoche: 175) innerhalb eines Tages, auch dieser Wert geht also wieder leicht zurück.
Viele Menschen in Deutschland haben mittlerweile durch Infektionen und/oder Impfungen einen gewissen Schutz gegen das Virus aufgebaut, was die Situation im dritten Corona-Herbst zumindest verbessert, auch wenn nach wie vor viele Menschen schwer erkranken, sterben oder Langzeitsymptome (Long Covid) bekommen. 62,4 Prozent der Bevölkerung haben mindestens drei Impfungen gegen Corona erhalten; 13,2 Prozent sind bereits viermal geimpft. Nicht wenige haben bereits mehrere Infektionen durchgemacht. Das Virus hat es immer schwerer, neue Wirte zu finden. Aber es ist ja nicht harmlos geworden und kann immer noch großen Schaden anrichten. Umso schwerer ist es, einen vernünftigen Umgang damit zu finden – politische Maßnahmen eingeschlossen.
Drei Bundesländer preschen nun voran und stoßen einen der grundlegendsten Pfeiler der bisherigen Corona-Politik um: die Isolationspflicht. In Schleswig-Holstein, Bayern und Baden-Württemberg müssen infizierte Personen ab sofort nicht mehr zwingend zu Hause bleiben. Auch Hessen will sich dieser Regelung anschließen, doch hält sich den genauen Zeitpunkt der Abschaffung der Isolationspflicht noch offen. »Wir sind im Übergang von einer Pandemie zur Endemie. Dann gilt dasselbe wie für die Influenza«, begründete Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) bei »Maischberger« seinen Schritt: Am Schluss sei jeder selbst verantwortlich.
Bemerkenswert ist, dass mit Kretschmann ausgerechnet ein Grünen-Politiker in dieser Frage auf Eigenverantwortung setzt. Die Grünen waren bisher eher dafür bekannt, tendenziell strengere Maßnahmen zu befürworten. Der Grünen-Gesundheitspolitiker Janosch Dahmen hält denn auch nichts von einer Abschaffung der Isolationspflicht: »Es gibt keine neuen, medizinisch evidenten Gründe, warum jetzt von den bisher gesetzlich vorgesehenen Absonderungs- und Isolationspflichten oder aber der Maskenpflicht im Nahverkehr abgewichen werden sollte«, sagte der Bundestagsabgeordnete der »Welt«. Auch Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hält dagegen: Der Vergleich mit der Grippe hinke, »schon wegen Long Covid und der Ansteckungsgefahr, die bei Covid viel höher ist«. Kassenärzte-Chef Andreas Gassen kritisierte den sich abzeichnenden Flickenteppich bei den Corona-Schutzmaßnahmen in Deutschland.
Fraglich ist, wie sich die Pandemie im Winter weiterentwickelt. Neue Varianten stehen in den Startlöchern, es besteht Sorge vor einer neuen Welle durch die Omikron-Sublinie BQ1.1. Strenge Maßnahmen wie in den Anfangstagen der Corona-Pandemie wird es aber natürlich nicht mehr geben. Vielmehr wird darüber diskutiert, ob die weitreichenden Regelungen überhaupt eine ausreichende gesetzliche Grundlage hatten. Die Verfassungsrichter in Thüringen hatten dazu eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts angefragt, jedoch will sich Karlsruhe nicht dazu äußern. Die Vorlage erklärte der zuständige Erste Senat für unzulässig, teilte das Gericht am Donnerstag mit.
In den ersten Monaten der Pandemie hatte es im Infektionsschutzgesetz nur den allgemeinen Paragrafen 28 zu Schutzmaßnahmen gegeben, die auch schon vor Corona möglich waren. Erst im November 2020 war das Gesetz um spezielle Regelungen dafür ergänzt worden (§ 28a). Damals war heftig diskutiert worden, ob das für derart tiefgreifende Grundrechtseingriffe wie Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen ausreichend ist.
Denn grundsätzlich ist es erforderlich, dass wesentliche Fragen des Gemeinwesens durch den unmittelbar demokratisch legitimierten Gesetzgeber entschieden werden. Juristen sprechen von Parlamentsvorbehalt. Die Corona-Verordnungen mit den einzelnen Maßnahmen wurden von den Landesregierungen erlassen. Am Thüringer Verfassungsgerichtshof ist ein Verfahren anhängig, in dem diese Frage eine Rolle spielt: Die AfD-Landtagsfraktion klagt gegen eine Corona-Landesverordnung vom 31. Oktober 2020, die sie für verfassungswidrig und nichtig hält. Die Weimarer Richter meinen, dass als Grundlage dafür Paragraf 28 gerade noch ausreichend war.
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